Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

Die chinesische Philosophie


Von Josef Maria Mayer



1


China ist das Paradies

Der Weisen und der Dichter.


Vor zwei Millionen Jahren

Und dreihunderttausend Jahren

Schmiedete Pan Ku, der erste Mensch, das Universum.

Achtzehntausend Jahre lang hat er gearbeitet.

Sein Atem wurde zum Wind,

Seine Stimme zum Donner,

Seine Adern zu Flüssen,

Sein Fleisch zur Erde,

Sein Haar zu Gras und Bäumen,

Seine Knochen zu Metall,

Sein Schweiß zu Regen,

Die Insekten, die an seinem Körper klebten,

Wurden zum Menschengeschlecht.


Jeder der ersten Kaiser

Regierte achtzehntausend Jahre

Und versuchte, aus Pan Kus Insekten

Kultivierte Menschen zu machen.


Vor der Ankunft der himmlischen Herrscher

Waren die Menschen wie Tiere,

Kleideten sich in Felle,

Nährten sich von rohem Fleisch,

Kannten ihre Mütter, aber nicht ihre Väter

(Und das gibt’s heute noch).


Im Jahre zweitausend

Achthundert und zweiundfünfzig erschien

Der Kaiser Fu-Hsi.

Mit Hilfe seiner erhabenen Kaiserin

Lehrte er sein Volk die Ehe,

Die Musik, das Schreiben, die Malerei,

Das Fischen mit Netzen und das Flicken von Netzen,

Die Zähmung der Tiere,

Die Seidenraupenzucht.


Sterbend ernannte Kaiser Fu-Hsi

Shen-Nung zu seinem Nachfolger auf dem Thron.

Shen-Nung führte den Ackerbau ein,

Erfand den hölzernen Pflug,

Begründete Märkte und Handel

Und die Wissenschaft der Medizin,

Ausgehend von der Heilkraft der Pflanzen.


Der mächtige Kaiser Huang-Di beschenkte

Während seiner hundertjährigen Herrschaft

China mit dem Magneten

Und dem Spinnrad,

Ernannte die Historiker,

Errichtete erste Ziegelbauten,

Baute ein Observatorium zum Studium der Sterne,

Verbesserte den Kalender

Und verteilte neu das Land.


Yao regierte so gut,

Daß das chinesische Volk

Schon vom bloßen Anblick Yaos tugendhaft wurde.

Yao stellte außen an seinen Palast eine Trommel,

Damit die Menschen ihn rufen können,

Um ihre Beschwerden vorzubringen,

Und brachte eine Tafel an,

Daß die Menschen ihre Ratschläge aufschreiben

Für die Vervollkommnung seiner Regierung.


Yao war gütig und wohltätig wie der Himmel,

Weise und gerecht wie die Götter.

Von weitem strahlte er wie eine leuchtende Wolke,

Kam man ihm nah, so glänzte er wie die Sonne.

Er war reich, doch nicht überheblich,

Ein Kaiser, aber nicht verschwenderisch.

Er trug eine gelbe Kappe auf dem Kopf

Und trug ein dunkles Kleid,

Fuhr in einem roten Wagen,

Der von weißen Stuten gezogen wurde.

Sein Haus war schlicht und schmucklos.

Seine Nahrung bestand aus einer einfachen Suppe,

Er trank die Linsensuppe aus einer hölzernen Schüssel.

Er selbst war nicht mit Juwelen geschmückt,

Seine Kleidung war ohne Stickereien.

Er lauschte keinen Liebesliedern

Und keiner sinnlichen Musik des Südens.

Im Sommer trug er ein einfaches Kleid aus Leinen,

Im Winter trug er ein Hirschfell.

Und doch war er der Reichste und der Weiseste,

Der Langlebigste und der Geliebteste

Von allen Kaisern, die je regierten

Im blühenden Reich unterm Himmel.


Ihm folgte Shun,

Das Vorbild eines pietätvollen Sohnes,

Der Held, der geduldig kämpfte

Gegen die Fluten des Huang-He,

Er verbesserte den Kalender,

Brachte Gewichte und Maße in eine Norm,

Machte sich bei der Schuljugend beliebt,

Indem er die Länge der Peitsche kürzte.


Im hohen Alter setzte Shun

Seinen fähigsten Diener neben sich auf den Thron,

Yü, den Ingenieur.

Der regulierte die Fluten der neun Flüsse,

Durchbrach die neun Berge,

Bildete neun Seen.


Wenn es nach Yü gegangen wäre,

Wären alle Chinesen Fische geworden.


Zu Yüs Zeiten wurde der Reiswein entdeckt,

Aber Kaiser Yü warf den Reiswein zu Boden und sprach:
Der Tag wird kommen,

An dem das Reich der Mitte zugrunde geht am Reiswein!

Yü verbannte den Erfinder des Reisweins

Und verbot das Reisweintrinken.

Später erhoben die chinesischen Dichter

Den Reiswein zum nationalen Kultsymbol.


Yü aber gründete eine Dynastie,

Die Dynastie der Xia.

In der Xia-Dynastie galt noch das Mutterrecht.



2


Lao Tse kannte die Weisheit des Schweigens.


Szu-Ma Qian erzählt,

Wie Lao Tse,

Der Intrigen der Politiker satt

Und seiner Arbeit in der kaiserlichen Bibliothek von Chou,

Beschloß, China zu verlassen,

Um eine abgeschiedene Gegend aufzusuchen.

Als er die Grenze erreichte,

Sagte der Wächter Yin-Hsi zu ihm:
So gehst du also in die Einsamkeit!

Ich bitte dich, ein Buch für mich zu schreiben!

Da schrieb Lao Tse ein Buch in zwei Teilen

Vom Tao und vom Te,

Von der Weisheit und der Kraft,

In fünftausend Worten.

Dann ging er fort

Und niemand weiß, wo er gestorben.


Tao ist der Weg, die Weisheit,

Die Weisheit der Natur und des heiligen Lebens.

Es ist eine Art zu denken

Oder besser: Nicht zu denken!

Denn das Denken ist eine Kunst,

Gut zum Streitgespräch,

Dem Leben aber eher schädlich.

Man findet die Mutter Tao,

Die Ewige Weisheit,

Nicht durch den Intellekt,

Sondern durch ein heiliges Leben in der Stille,

Durch die Einfachheit

Und die Beschauung der Weisheit der Natur.

Denn Wissen ist nicht Weisheit.


Die Guten üben sich nicht in Redekünsten,

Die Redekünstler üben sich nicht in der Güte.

Laß ab vom Lernen

Und die Sorgen schwinden von selbst.


Auch das Schreiben ist eine unnatürliche Kunst

Und ein Einfluß des Teufels.

Der spontane Impuls des Volkes,

Des Volkes Lebensdrang

Und Wunsch nach Liebe,

Hält ungehindert von den Gesetzen der Herrschaft

Das Leben in Gang.


Der Alte Meister unterscheidet

Zwischen natürlicher Kultur

Und gelehrter Zivilisation.


Die Natur ist das Leben,

Der schweigende Ablauf der traditionellen Feste,

Die Ordnung der Jahreszeiten.


Die Natur selbst ist die Mutter Tao,

Der Weg und die Weisheit und das Leben.

Die Ewige Weisheit

Ist in jedem Bach, in jedem Stein, in jedem Stern

Als Spur geheimnisvoll offenbar.


Die Mutter Tao

Ist ein unpersönliches Weltgesetz,

Dem sich das Tugendgesetz des heiligen Lebens anschmiegt.


In Wahrheit sind das Weltgesetz der Ewigen Weisheit

Und das Tugendgesetz des heiligen Lebens eins.


Das menschliche Leben in seinem Rhythmus

Ist ein Teil vom großen Rhythmus,

Der die ganze Schöpfung durchpulst.


Die universale Mutter Tao

Vereinigt alle Gesetze der Natur

Und des menschlichen Lebens

Und ist die Ursubstanz des Seins.


Die Mutter Tao ist die Urform aller Formen

Und das Einig-Ein vor aller Zweiheit,

Sie ist das Absolute,

In welchem alle Teile ihre All-Einheit finden.


Im glückseligen Altertum

War das menschliche Leben einfach

Und friedlich

Und alle Welt war glücklich.

Dann aber erlangte der Mensch Erkenntnis,

Verkomplizierte sein Leben

Durch Kunst und Erfindung,

Verlor die geistig-moralische Unschuld,

Zog vom Land in die Städte

Und begann gar, Bücher zu schreiben!

Ach, da begann das Elend der Menschen

Und es flossen die Tränen der Philosophen!


Das Geheimnis der Weisheit

Und der stillen Genügsamkeit,

Die allein ein dauerhaftes Glück beschert,

Ist die Ergebenheit

In den Weg der Ewigen Weisheit,

Frei von allem Künstlichen

Und vom Verstand des Menschen.


Das Zeichen des vollkommenen Menschen

Auf dem Weg der Ewigen Weisheit

Ist die tiefe Stille,

Es ist die Art des philosophischen Nicht-Tuns,

Das Geschehenlassen des höheren Willens.


Wer nicht streitet mit den Menschen,

Mit dem vermögen die Menschen nicht zu streiten!

Vergilt die Feindschaft der Menschen

Mit der Tugend der Ewigen Weisheit,

Der Ursprungskraft der Mutter Tao!

Den Guten behandle gut,

Den Bösen behandle ebenfalls gut!

Den wahrhaftigen Menschen begegne in der Wahrheit,

Den unwahrhaftigen Menschen begegne in der Wahrheit!

So findet der Unwahrhaftige auch zur Wahrheit!

Das Weiche wird das Harte überwinden!

Nichts ist weicher und schwächer als das Wasser,

Doch das weiche Wasser bricht den härtesten Felsen!


Wie ihr vom Heiligen sprecht,

Dem Helden des Glaubens und der Güte,

So spricht Lao Tse vom Weisen,

Vom reifen und abgeklärten Geist,

Der zurückkehrt in die Einfachheit

Und das mystische Schweigen.


Das Schweigen und das Ruhen in der Stille

Ist der Anfang der Weisheit.


Der vollkommene Mensch

Spricht nicht von der Ewigen Weisheit,

Denn sie kann durch Worte nicht mitgeteilt werden,

Der vollkommene Mensch lebt die Weisheit

Und zeigt sie durch das Beispiel seines Lebens.


Wer die Mutter Tao kennt,

Der redet nicht,

Wer aber redet,

Der kennt die Mutter Tao nicht.

Wer die Mutter Tao kennt,

Der schließt den Mund

Und die Pforten der Wahrnehmungssinne.


Der vollkommene Mensch

Ist bescheiden.


Mit fünfzig Jahren

Kennt er die Grenzen seines Wissens.

Er weiß, dass alle Erkenntnis

Nur ein Stückwerk bleibt.

Weiß er mehr als andre,

So versucht er das zu verbergen.

Er mäßigt seinen strahlenden Glanz

Und sucht sich dem Staub der Weltlichkeit gleichzumachen.

Die Einfalt des Kindes steht ihm näher

Als die Klugheit der Belesenen.

Er hat aber auch nicht den Widerspruchsgeist

Des Neulings aus der Schule des Wissens.


Alles, was uns in der Jugend erfüllte,

Alles, wofür wir kämpft,

Alles verliert einst seine Bedeutung.

Wir ziehen uns zurück aus dem Kampf

Und werden den Kindern überreichen,

Was uns an Idealen geblieben!


Dann werden wir uns

Mit Lao Tse

In die Waldeinsamkeit zurückziehn

Nur mit Einem Buch,

In dem wir alle Weisheit finden,

Mit dem Buch von der Weisheit und Kraft Gottes!



3


Konfuzius liebte die Klarheit

Und Ehrlichkeit im Denken

Und im Ausdruck des Gedankens.

Wenn man sich durch seine Worte

Verständlich machen kann,

So ist das Ziel erreicht.


Was du weißt, das gelte als dein Wissen,

Was du nicht weißt, gelte als deine Unwissenheit.

Wenn du beides gelten lässt,

Besitzt du die Weisheit.


Du musst die Begriffe klären,

Einen unväterlichen Vater

Nenne nicht mehr Vater!

Einen nicht kindlichergebenen Sohn

Nenne nicht mehr Sohn!


Der Metaphysik ging er aus dem Weg,

Denn seine beherrschende Leidenschaft war

Die gute Lebensführung

Und die weise Herrschaft.


Er sprach gelegentlich vom Himmel und vom Gebet

Und lobte die Verehrung der Toten

Und das Opfer des Himmels.


Aber als Tse-Kung ihn fragte:
Besitzen die Toten ein Wissen?

Da gab Konfuzius keine Antwort.


Als Tse-Loo ihn fragte, wie man den Geistern dienen kann,

Da sprach Konfuzius:
Wenn ich den Menschen nicht diene,

Was frage ich danach, den Geistern zu dienen?


Als Tse-Loo ihn nach dem Wesen des Todes fragte,

Sprach der Meister: Wenn du das Leben nicht kennst,

Was fragst du nach dem Wesen des Todes?


Fan-Che frug: Was ist Weisheit?

Konfuzius sprach: Weisheit ist,

Die Götter ehren,

Den Dämonen fern bleiben

Und seine Liebe den Menschen erweisen.


Der Meister sprach nie von Magie

Und Dämonen der Natur.


Doch die Metaphysik des Konfuzius war

Die Einheit in allen Erscheinungen,

Die dauerhafte Harmonie

Zwischen dem Gesetz der Natur

Und der tugendhaften Lebensweise.


Seine größte Leidenschaft galt

Der Moral.

Das Chaos seiner Zeit erschien ihm

Als moralisches Chaos,

Herbeigeführt durch Schwächung des alten Glaubens

Und Ausbreitung eines Zweifels

An der Unterscheidung von Gut und Böse.


Konfuzius wünschte

Eine Revolution der Moral,

Ausgehend von der Restauration

Der heiligen Familienbande.


Wer die Natur der Menschheit heiligen will,

Der ordne den Staat.

Wer den Staat begründen will,

Der heilige die Familie.

Wer die Familie gründen will,

Der heilige sein Selbst.

Wer sein Selbst heiligen will,

Der verwirkliche die Ideen,

Der komme mit der Erkenntnis ans Ziel.

Das Ziel der Erkenntnis ist

Das Erfassen der Wirklichkeit.


Der Weisheit Anfang

Liegt im Innern des Menschen.

Grundlage der Gesellschaft ist

Der disziplinierte Mensch

In der Ordnung der heiligen Familie.


Tse-Loo befragte den Meister

Nach dem Wesen des Edlen.

Der Meister sprach: Er bildet sich selbst

Mit heiligem Ernst.


Der Edle ist

Zum einen ein Philosoph,

Zum andern ein heiliger Mensch.


Der Edle besitzt

Einen klaren Verstand,

Einen getrosten Mut

Und einen guten Willen.


Der Edle trauert um der Wahrheit willen,

Er trauert nicht wegen seiner Armut.


Der Edle ist vollkommen

Wie der Himmel vollkommen ist

Und sein Herz ist nicht eng.


Der Edle duldet kein Chaos

In seinen Worten.


Nicht allein Verkörperung ist er der Intelligenz

Und nicht nur ein Schriftgelehrter

Und nicht nur einer, der die Weisheit sucht,

Er besitzt die Vernunft

Und einen guten Charakter.


Die Grundlage seines Charakters

Ist die Wahrhaftigkeit.

Vollkommene Wahrhaftigkeit

Zeichnet den Edlen aus.


Der Vulgäre stellt Anforderungen an die Gemeinschaft,

Der Edle stellt Anforderungen an sich selbst.

Der Vulgäre fordert Gerechtigkeit für sich,

Der Edle ist gerecht zu allen.


Der Edle leidet,

Wenn er nicht genügend Fähigkeiten besitzt,

Er leidet aber nicht darunter,

Daß er nicht berühmt ist in der Welt

Und dass die Menschen ihn nicht verstehen.


Dennoch hasst er den Gedanken,

Die Welt zu verlassen,

Ohne einen bleibenden Namen zurückzulassen.


Der Edle benimmt sich so,

Daß seine Art und Weise

Jederzeit als Vorbild genommen werden kann.

Der Edle redet so,

Daß seine Worte

Jederzeit als Gesetz genommen werden können.


Was ist das Wesen der Tugend,

Fragte Chung-Kung den Meister, der sprach:
Was du selbst nicht wünschst,

Das tu du nicht den andern.


Tse-Kung den Meister fragte:
Nach welchem Wort kann man sein Leben gestalten?
Der Meister sprach: Nach dem Wort

Der allgemeinen Nächstenliebe.


Womit soll man Güte vergelten?

Güte vergelte man durch Güte,

Unrecht vergelte man durch Geradheit.


Der Grundcharakter des Edlen ist

Die überströmende Zuneigung zu allen Menschen.


Wenn der Edle einen Würdigen sieht,

So sucht er ihm gleich zu werden.

Wenn der Edle einen Unwürdigen sieht,

So prüft er sein eignes Inneres,

Ob er den gleichen Fehler auch noch an sich trage.

Wenn die Menschen ihn verleumden,

Achtet er nicht darauf,

Sondern ist höflich

Und leutselig allen Leuten gegenüber.


Aber der Edle ergießt sich

Nicht in uneingeschränktem Lob des Menschen.


Da er ein Werk zu schaffen hat,

Ist er fleißig in seiner Arbeit,

Das begründet seine Würde.


Selbst den Familienangehörigen gegenüber

Bemüht er sich um Höflichkeit.


Aber er wahrt einen gewissen Abstand

Sogar seinem Lieblingssohn gegenüber.



4


Mo Di war Philanthrop.

Sich von Kopf zu Fuß

Den ganzen Körper kahl zu scheuern,

Um der Menschheit zu helfen,

Dazu war er bereit!


Mo Di verurteilte Konfuzius

Und seine Lehre von den Familienbanden

Und wollte die Liebe in der Familie ersetzen

Durch allgemeine Menschenliebe.


Was ist das Fundament?

Man findet das Fundament

Im Studium der alten Weisen.

Wie gelangt man zu einem umfassenden Überblick?

Man prüfe die Erfahrung des Volkes.

Wie wendet man seine Erkenntnisse an?

Man führe sein Denken

In Gesetz und Herrschaft ein.


Mo Di wandte sich gegen Konfuzius

Und seinen unpersönlichen Himmel,

Mo Di betonte die Persönlichkeit

Des Vaters im Himmel.


Mo Di sprach: Die allgemeine Menschenliebe

Ist die einzige Lösung

Für jedes soziale Problem.


Wenn die Menschen sich lieben würden,

Würde der Starke den Schwachen nicht unterdrücken,

Würde der Arme vom Reichen nicht gekränkt,

Würde der Gemeine vom Edlen nicht verachtet

Und würden die Hinterlistigen

Nicht die Einfältigen bedrängen!


Egoismus ist die Wurzel allen Übels.

Das beginnt schon bei der Besitzgier

Des kleinen Knaben

Und führt bis zur Eroberung

Eines kleinen Reiches durch ein großes Reich.


Mo Di lehrte durch sein Vorbild.

Eh der Herrscher den Weisen sah,

Wollte er ein Nachbarreich überfallen,

Aber als er den Weisen gesehen,

Wollte er das Nachbarreich nicht einmal geschenkt,

Wenn Unrecht damit verbunden wäre.

Da sprach Mo Di zum Herrscher:
Bei dieser deiner Gesinnung

Kann ich dir den Nachbarstaat anvertrauen

Und ruhigen Herzens bleiben.

Wenn du weitermachst

Und Gerechtigkeit übst,

Kann ich dir die ganze Erde anvertrauen.


Der Erste Kaiser von China,

Shi Huang-Di, der Tyrann,

Verbrannte die Schriften von Mo Di.



5


Yang Chu, der Egoist, kam.

Er sagte, das Leben sei voller Leiden

Und sein Sinn sei das Vergnügen!

Es ist kein Gott, sprach der Tor,

Es gibt kein Leben nach dem Tod, sprach der Tor.


Was ist der Mensch?

Der Mensch ist eine Puppe,

Gelenkt von natürlichen Kräften,

Von dem Erbe der Ahnen

Und dem unveränderlichen Eigenwesen.


Der weise Mensch, sprach der Tor,

Erträgt das Schicksal, das ihm zugemessen,

Aber wird sich nicht beirren lassen

Durch den Wahnsinn der Philosophen,

Die von der heiligen Liebe reden

Und vom dauernden Namen des Weisen.

Die Moral ist nur ein Betrug,

Den die Weisen an den Narren begehen.

Allumfassende Liebe

Ist ein Kindertraum.

Kinder nur wissen noch nicht,

Daß der Haß die Welt bewegt.

Ein dauernder Name ist ein eitler Tand

Für Toren, die den Tand bezahlen

Mit dem Verlust der Lust!


Im Leben leiden die Guten

Wie die Bösen leiden,

Aber die Bösen können besser genießen!


Die weisesten Menschen

Des goldenen Zeitalters

Waren nicht moralische Herrscher,

Sondern Sensualisten,

Die die Lüste jeden Impulses genossen!


Die Weisen hatten nicht einen Tag der Freude,

Im Tode haben sie ewigen Ruhm.

Was haben sie denn davon?

Die von der Geschichte Bösewichter genannt sind,

Die genossen alle Lüste des Lebens,

Im Tod besitzen sie einen schändlichen Namen.

Was kümmert sie das?
So sprach der Tor, der Egoist, der Sensualist!


Doch an dieser Weisheit der Sinne

Ging China zugrunde!



6


Mencius will ich singen,

Die Weisheit aber lehrt mich,

Die Mutter des Mencius zu besingen.


Sie war die vorbildliche Mutter!


Dreimal, so heißt es,

Wechselte sie den Wohnort

Aus Liebe zu ihrem Sohn.

Zuerst weil sie am Friedhof wohnten

Und der Sohn begann,

Wie ein Toter zu wandeln,

Dann weil sie bei einem Schlachthof lebten

Und der Sohn begann zu brüllen

Wie ein Schlachtvieh,

Dann weil sie in der Nähe einer Bank gelebt

Und der Sohn begann,

Das Geld zu lieben.

Schließlich wohnten sie

In der Nähe einer humanistischen Schule,

Da war die Mutter zufrieden.


Doch als der Sohn das Studium vernachlässigte,

Da zerriß die Mutter ihr Kleid,

Sie sprach: Ich ahme deine Nachlässigkeit nach

Beim Studium der Alten Weisen.

Nun wurde der Sohn

Ein fleißiger Schüler

Und nahm sich eine Frau

Und widerstand der Versuchung,

Die Frau zu entlassen.

Er öffnete eine Schule der Philosophie

Und sammelte eine Schar Studenten um sich

Und diskutierte mit ihnen seine Theorien

Von der Hierarchie der Herrschaft.


Als die Mutter alt geworden,

Wollte der Sohn sie nicht verlassen,

Aber die Mutter sprach: Nur Mut, mein Sohn!


Die Mutter sprach:
Es ziemt sich nicht für eine Frau, zu herrschen,

Denn sie soll sich unterordnen.

Als Mädchen soll sie sich Vater und Mutter unterordnen,

Als Ehefrau soll sie sich ihrem Ehemann unterordnen

Und als Witwe ordne sie sich dem Sohne unter.

Du bist ein Mann in voller Reife,

Ich bin eine alte Witwe.

Handle, wie es dein Glaube gebietet

Und ich will mich verhalten, wie es der Glaube vorschreibt.

Du brauchst um mich also nicht besorgt zu sein.


Mencius gab der Monarchie den Vorzug

Vor der Demokratie,

Da es leichter sei,

Einen Philosophen auf dem Kaiserthron zu sehen

Als ein wohlanständiges Volk.


Als die Mutter heimkehrte

Zu der Versammlung der Ahnen,

Begrub der Sohn sie mit großem Pomp,

Ob ihn die Schüler auch tadelten,

Aber er sprach:
Es ist das Gebot der Pietät, des Glaubens,

Daß der Sohn die liebe Mutter ehrt!


Dann zog sich Mencius zurück

Aus dem öffentlichen Leben

Und widmete seine restlichen Jahre

Dem Studium

Und dem Unterricht der Studenten

Und der Fertigstellung eines Werkes,

Da er die Fürsten seiner Zeit beschrieb

Im Gespräch mit Frau Weisheit.


Daß Mencius aber

Das Recht des Volkes auf Revolution behauptete,

Das erzürnte den Kaiser der Ming,

So dass Mencius vom Sockel gestürzt ward!



7


Mencius sprach: Der Mensch ist gut,

Ist von Natur aus gut.

Hsün-Tse sprach aber: Der Mensch ist böse,

Von Natur aus böse.


Selbst Yao und Shun und Yü,

Sie waren bei ihrer Geburt

Nur Wilde!

Die Natur des Menschen ist böse,

Sein Gutes kommt nur von der Erziehung.

Von Geburt an hat der Mensch die Natur

Des Begehrens.

Folgt man der Begierde,

So entsteht der Streit, der Zank,

Die Freundlichkeit und die Großmut gehen zugrunde.

Von Geburt an hat der Mensch

Begierden,

Begierden nach Augenlust und Ohrenschmaus.

Folgt man der Begierde,

So entsteht die Unzucht,

Die Sitte geht zugrunde.

Nachgiebigkeit gegen die Natur des Menschen

Und das Ausleben seiner Leidenschaften

Bringen nur Zank hervor,

Die Ordnung verfällt

Und der Mensch wird zum wilden Tier.

Darum bedarf es des wohltätigen Einflusses

Einer Erziehung durch die Weisen,

Einer Erziehung in den Tugenden,

Damit die Freundlichkeit entsteht,

Die Ordnung eingehalten wird

Und alles der Regel der Weisheit entspricht.

So gesehen ist die Natur des Menschen böse

Und alle menschliche Güte

Kommt von der Kunst der Weisheit.



8


Tschuang-Tse betrachtete Mutter Natur

Als einzige wahre Geliebte,

Die ihn trotz seiner Sünden und seines Alters

Immer willkommen hieß!


Er schlug zweimal ein Amt am Fürstenhofe ab:
Geht schnell weg,

Beschmutzt mich nicht

Mit eurer sündigen Gegenwart!

Eh ich mich den Gesetzen und Schranken

Des Hofes unterwerfe,

Ziehe ich es vor,

Mich im Schlamm zu wälzen!


Die Herrschaft genoß bei ihm die gleiche Achtung

Wie bei seinem Ahnherrn Lao Tse.

Es bereitete ihm ein Vergnügen,

Darauf hinzuweisen,

Wie viel die hohen Majestäten

Mit Dieben gemeinsam hatten!


Man soll die Welt nur leben lassen,

Lasst sie nur gewähren!


Im goldenen Zeitalter

Lebte vollkommene Tugend,

Die Menschen lebten in Eintracht

Mit Vögeln

Und alle Lebewesen bildeten eine Familie.

Sie kannten nicht die Unterschiede

Zwischen Edlen und vulgären Menschen.


Ich suche den Frieden,

Ich jage dem Frieden nach,

Ja, wahnsinnig begehre ich den Frieden!

Wir wollen in der Stille der Wälder

Glücklich wie Kinder sein!


Frei von aller Künstlichkeit

Und aller Verstandesbeschränkung

Folg ich der göttlichen Mutter Tao!


Worte verwirren ebenso oft,

Wie sie als Wegweiser dienen.


Die göttliche Mutter Tao

Kleidet sich nicht in Worte

Und wird nicht ergriffen vom Denken.


Das ist meine Erkenntnis:
Alles gehört dem Einen Schatz!

Tod und ewiges Leben gehören dem Einen Schatz!


Ich hatte die Vision

Einer überperönlichen Einheit.

Es ist wahr, ich bin ein Pessimist,

Doch das hindert mich nicht,

Vom heißen Wein der göttlichen Mutter Tao berauscht zu sein!


Himmel und Erde sind mein Sarg,

Sonne und Mond sind meine Totenlampen,

Die Sterne sind meine Perlenschnüre

Und die ganze Schöpfung gibt mir Trauergeleit.

So hab ich ein prächtiges Begräbnis,

Da müssen meine Freunde nichts hinzutun.


Die Mutter Natur ist ein glühender Schmelzofen

Und Gott der Schöpfer ist der Große Gießer,

Wohin Er mich sendet,

Will ich gehen!



EPILOG


Der harmonische Leibnitz sprach:
Derart scheinen unsre Verhältnisse heute zu sein,

Da die Sittenverderbnis

Ins Unermessliche anschwillt,

Daß ich es für notwendig halte,

Daß chinesische Missionare zu uns kommen!

Sie sollen uns die Übung

Und das Ziel der Theologie lehren.

Nämlich wenn ein weiser Mann

Zum Schiedsrichter würde bestellt,

So würde er den goldenen Apfel

Sicher der Jadejungfrau China schenken!


Als die Franzosen in Deutschland wüteten

Mit ihren Bomben,

Vergaß der Vater Goethe den Lärm der Heiden

Und beachtete nicht die wüsten Sünder,

Denn er war versunken

In die Betrachtung

Der chinesischen Philosophie.