Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

Das Leben des Jünglings Tau Ti


von Josef Maria Mayer


Wenn jemand meinen Kummer wiegen wollte

Und meine Leiden auf die Waage legte,

Sie wären schwerer als der Sand am Meer.

Was Wunder, wenn ich wirre Reden führe!

Die Pfeile Gottes haben mich getroffen

Und meinen Geist mit ihrem Gift verstört.“

(Hiob 6,1-4)



PROLOG


Ich, der Poet, war im Geist einst auf einem fernen Berg im Morgennebel und las in einem alten Buch die Zeilen: "Es war ein Mann von Ramatajim-Zofim, vom Gebirge Ephraim..." Und da ward ich mit einemmal entrückt über die schwimmende Traumbrücke und kam ins Himmelreich. Da führte mich eine Himmlische in das Haus des Hohenpriesters, der mir in der Gestalt eines älteren Mannes mit langem weißem Bart erschien, auf dem Haupt trug er als Tiara eine Seidenkappe mit bläulichen Seidenbändern, in der Rechten hielt er einen Jadestab, er war in einen rötlichen Seidenstaat majestätisch gewandet, mit einem blauen Umhang um seine Schultern. Freundlich teilte er mit mir das Manna und reichte mir einen Becher gegorenen Weines. Er vertraute mir ein Geheimnis an: "Über allen Geistern ist Eine Göttin mit dem Namen MA..." Nachdem ich dies vernommen, führte mich die Himmlische auf einer Wolke langsam durch die Himmelsweiten; wir kamen zum Morgenstern. Da sagte sie zu mir: "Da siehst du deine Heimat China. Nun wird dir die Gnade der Allerhöchsten zuteil, deine Heimat wiederzusehen. Da, was erkennst du auf der Erde da? Meere und Berge, das ist China, und als einziges Bauwerk ist die Große Mauer erkennbar. Du wirst in das Reich der Mitte gelangen, anzuschauen Tau Ti in seinem Dasein. Ich werde bei dir sein, und du wirst alles, was du erkennst, niederschreiben und dann den Bericht der Nachwelt hinterlassen." Wir schwebten zusammen langsam nieder auf einer Wolke und nahten uns den Meeren und Bergen. Wir kamen zur Erde nah am Gelben Meer bei der Großen Mauer, wo das Erste Tor auf Erden geschlossen war. Wir schwebten als Genien durch Raum und Zeit, und ich schrieb die Geschichte nieder als Liebeswerk: Dies ist das Buch Tau Ti.


VERKÜNDIGUNG


Nachdem die junge Dame Ma-Ma zu Bett gegangen und in Schlaf gesunken, geschah mit ihr etwas merkwürdig Seltsames. Sie war allein; ihr Mann I-Se war nämlich auf einem Esel in die Stadt geritten, um dort mit Händlern zu verhandeln. Ma-Ma schlief auf der bequemen Ruhematte, nachdem sie einen Schlummertrank genommen. Im Traum war ihr, als erwachte sie und sei im Traum wach. Da saß sie vor einem Spiegel, neben ihr auf einem kupfernen Kandelaber steckte eine Kerze, die sie mit einem Glimmstab angezündet hatte. Im Spiegel sah sie den Widerschein des Flämmchens, das ganz ruhig war. Sie saß im Lotussitz vorm Spiegel und meditierte über den Widerschein des Flämmchens. Da war die Flamme wie eine Mandorla, darin sah sie die Gestalt eines schönen jungen Mannes, der einen Baum im Rücken hatte und die Arme weit ausbreitete, sein Haupt war schräg geneigt und voller Leiden und zu gleicher Zeit sanftmütig-gütig lächelnd. Auf dem Haupt trug der Jüngling einen Kranz von Dornenblumen rings gewunden. Dann verschwand der Mensch aus der Mandorla, und Ma-Ma sah ein neues Bild in der Mandorla, im Spiegel wieder jenen Jüngling, den Baum im Kreuz, das Leiden im Gesicht; er transformierte sich und war ganz Herz und füllte die Mandorla ganz aus. Und Ma-Ma fühlte sich zutiefst verbunden mit diesem Herzen, mit diesem Licht; das war ihr zu einem Mutterschoß geworden, sie schaute darin einen Embryo und sah sich selbst als diesen Embryo. Und immer deutlicher erkannte sie das langsame Werden des ungeborenen Lebens. Mit einemmal wandelte sich das Bild im Flammenschein im Spiegel, und sie sah den eignen Rücken, kam sich selbst näher, ohne sich zu bewegen, kam diesem Bilde näher. Gleichzeitig merkte sie, wie etwas ihr im Kreuz war, ein unsichtbares Wesen. Sie hörte eine Stimme im Raum: "Nie war ich dir so nahe, wie jetzt." Da war sie innen seelisch überwältigt, als sie eine große Liebe überkam. Darauf sank sie auf den Boden und lag da mit ausgestreckten Armen. Da sah sie glühend eine Himmlische schimmern im Raum, die säuselte mit einer sanften Stimme: "Erhebe dich, Ma-Ma." Da setzte sie sich wieder auf und schaute die Gestalt: wie in ein weißes langhinwallendes Seidengewand mit weiten Ärmeln gehüllt, mit einem roten Seidenband gegürtet, das an der Seite hinunterhing, das schwarze Haar von einem seidenen Glanz, das Angesicht wie Pfirsichhaut. In der einen Hand hielt das Himmlische Wesen eine rote Primel; die Blume wird auch Himmelsschlüssel genannt. Mit einer wohltönenden Stimme sprach das Himmlische Wesen: "Mein Name ist: Wer ist vollkommen und vollendet? Ich bringedir eine gute Botschaft. Weißt du noch, wie du vor kurzer Zeit, als Sterne sanken, wie Tau, daß du da zu den sieben Söhnen ein weiteres Kind dir wünschtest? Ich bin nun gekommen, dir zu sagen, daß du jetzt ein Kind zur Erde bringen wirst, o Ma-Ma. Du wirst ihn Tau Ti nennen. Er wird der Himmelssohn in China werden. Ich segne dich." Daraufhin benetzte die Himmlische ihr mit einem Tropfen Tau das Haupt und führte Ma-Ma in das Bad, wo sie ein wenig Wasser aus der Wanne schöpfte und ihr die Füße wusch, und Ma-Ma bat die Himmlische: "Wäscht du mir auch die Hände?" Und sie wusch ihr die Hände und sprach: "Du hattest teil am Himmel." Darauf gingen sie zurück zur Glut im Spiegel, die Himmlische sprach noch: "Ich scheide jetzt." Da begann Ma-Ma laut zu weinen wie eine Grotte, und sie wollte der Himmlischen in die wunderschönen Himmelsgefilde folgen. Da sank sie in eine Ohnmacht. Und am nächsten Morgen erwachte sie mit der Morgenröte. Sie sprach zu niemandem von diesem Traum, es schien ihr selber auch zu wunderbar. Langsam nur fand sie sich ins Leben zurück. Sie zündete täglich eine Kerze vorm Spiegel, der von einem Gazeschleier verhüllt war. Bald darauf bemerkte sie, daß sie schwanger war mit einem Kind.


TOD DER MUTTER


I-Se und Ma-Ma waren in Baxian, das ist dem Bo Hai nahe, der Bucht im Norden zum Gelben Meer Huang Hai. Ma-Ma war geboren auf der Insel Cheju-Do, die liegt im Gelben Meer, nahe der Wasserstraße von Tsushima. I-Se war vom Südland gekommen. Als sie geheiratet hatten, war Überschwemmung des Gelben Stromes, des Huanghe, nach dem Deichbruch. Dann hatten sie in Baxian gewohnt, wo weite Wälder sind, und hatten sieben Söhne. Aber nach jener himmlischen Erscheinung war anders nun die Schwangerschaft als sonst. Neun Monde ging sie hin mit wachsender Glückseligkeit und wurde, so wie ein Tautropfen im Wasser Kreise zieht, von innen freudiger: daß sie vielleicht vor Glück gestorben ist. Sie ist entschlafen. Aber die Geburt im Hause in Baxian war ja gewollt, sie lag da im Bett, wo Ziegelsteine aufgeschichtet waren und Matten darüber, Seidenkissen mit Brokat bestickt, da lag sie. Bei ihr waren eine Hebamme und ein Mediziner und I-Se und Ma-Mas Mutter, Oma Pau. Das Kind kam aus ihrem Schoß hervor, wobei der Ma-Ma selbst die Sinne schwanden. Die Amme hatte das Kind, das mit dem Kopf zuerst nach unten auf die Welt kam, vorsichtig mit den Händen am Kopf gefaßt und sacht herausgezogen. Der Mediziner trennte die Nabelschnur ab, und die Hand hat dabei nicht gezittert. Der Mediziner gab das Kind der Oma Pau zu Händen, die es in einer kleinen messingnen Wanne wusch und dann wickelte. Die Windel war gebunden worden aus dem Hochzeitsschleier Ma-Mas. Das Kind lag da, geschlossner Augenlider, wimmernd. Drei Tage später aber konnte sich Ma-Ma noch immer nicht erheben vom Lager, und immer häufiger sank sie in Schlummer, bis sie am dritten Tag entschlief. I-Se fand sie, da war sie schon ganz kalt. Das ganze Haus brach aus in lautes Weinen. Nach dem Begräbnis, bei der Trauerfeier, schenkte I-Se zum Trost den Trauernden den Wein Kan-Peh aus. Alle sieben Söhne waren da: Tam, Fu, Tsing, Meng, Sung, Jin, und Ping der Jüngste; sie sprachen Sprüche aus als Angedenken an Ma-Ma. Und drei Monde später kam zum Ort Baxian der Priester von der Kapelle der Barmherzigkeit und Gnade. Der war schon alt und hatte weiße Haare und ging am Knotenstock, der eben diesen Tag wundersam zu sprießen angefangen hatte. Er kam in einem langen blauen Kleid mit purpurrotem Überhang, gegürtet, und am Gürtel war ein Onyxstein. So kam er in das Haus I-Ses und Oma Paus. Da stellten sie ein Becken auf von feinem weißlichen Porzellan und schön gemustert, da zwischen Zweigen eine junge Dame gemalt war, die schwarzen Haare aufgebunden, das weißliche Gewand herniederwallend, von einem roten Band zusammengehalten, das an der Seite lang hinunterfiel. In diesem Becken war gewärmtes Wasser, und rosa Pfirsichblüten schwammen darauf. Das Buch vom Himmel, von der Erde und vom Menschen schlug der alte Priester auf und las ein Wort: "Tao ist die Mutter."


KONFUZIUS SAGT


Ma-Ma leitete ihre Ahnentafel bis auf die Xia-Dynastie herab. Wie sie im Traum besucht ward, so ist es auch beschrieben in den Lenz- und Herbst-Annalen Konfuzius', dort heißt es nämlich: "Markgraf von Dscheng war Wen und hatte eine Zweitfrau, mit Namen Dji von Yän. Im Traum erblickte sie einst einen Boten des Himmels. Er gab ihr eine Orchidee und sagte: 'Ich bin einer deiner Ahnen. Du wirst gebären einen Sohn, der dieser Lan-Orchidee gleich scheint. So wird auch er der Duft des Landes sein. Das Volk wird ihm vertrauen und ihn lieben, wie die Blume.' Und später suchte sie der Markgraf auf, da schenkte er ihr eine Orchidee und wollte sich ihr nähern, doch sie wies ihn sanft zurück und sprach: 'Eure Dienerin ist ohne Talent. Soll dennoch ihr das Glück beschieden sein, Euch einen Sohn zur Welt zu bringen, würde niemand glauben, daß Ihr ihn selbst gezeugt habt. Darf sie sich erkühnen, diese Blume als Beweis den Menschen vorzulegen?' - 'Ja', sprach er. Hernach gebar sie Markgraf Mu und rief ihn: Lan-Orchidee." Soweit die Annalen.


BEGRÄBNISFEIER


Als es lichter Morgen war, da hatte die alte Oma Pau sich aufgemacht, einen Sarg zu besorgen, Weihrauch, Kerzen, einige Silberschuhe, Pappgebilde, wie man sie bei Begräbnissen verbrennt. Nach ihrer Rückkehr zündete sie eine kupferne Totenlampe an und stellte sie am Haupt der Leiche auf, diese Lampe wurde von einer knieenden Figur aus Stein gehalten. Das Totenkleid der Ma-Ma war aus vielen Jadeplättchen, zusammengehalten wurden sie von Golddraht. Am Abend gab es einen Schmaus für alle Trauergäste, und am nächsten Tag lasen die frommen Priester vom Kloster der Barmherzigkeit und Gnade die Totenmesse für der Ma-Ma Seele. Am dritten Tag erschien ein Trupp und trug den Sarg vor die Mauern des Ortes. Etliche Nachbarn gaben das Geleit, voran in einer Sänfte zog der Witwer in weißer Trauerkleidung, tief bekümmert. Nachdem der Sarg außerhalb der Mauern am Platz der Irdischen Wandlung angekommen, wurde der Sarg der Erde übergeben. Es schloß sich eine Speisung der Vielen beim Kloster der Barmherzigkeit und Gnade an, auf Kosten I-Ses, des Weinenden. Ach! Beim Trostmahl hielt die Oma Pau eine Trauerrede, sie sprach: "Wie heißt es doch im alten Buch der Lieder? Die Fische gehen in die Reusen ein, Sahm und Schlei geht in die Reusen ein, der Herr hat Wein genug und guten. Die Fische gehen in die Reusen ein, Karpfen und Butt gehn in die Reusen ein, der Herr hat Wein genug und guten. O wie die Dinge reichlich waren und der Zeit und dem hohen Herrn zum Wohlgefallen!" Darauf schenkte I-Se Wein aus den Kannen, Kan-Peh, der aus dem Sorghum-Korn gemacht wird. Sie leerten alle die Becher, die sieben Söhne; und sie überkam mit einem Mal der Geist der Allerhöchsten, daß sie es drängte, jeden einzelnen der sieben, zu sagen der Trauergemeinde einen Trostspruch. Zuerst erhob sich Tam, er sprach die Worte: "O, meine Mutter war mir Zuversicht und Hoffnung von meiner Jugend an." Darauf redete der zweitgeborne Fu: "Für viele bin ich ein Zeichen tiefer Trauer, doch soll die Seele meiner Mutter täglich das Lob meiner Lippen sein." Da erhob sich Tsing und sprach: "Mir war die Mutter eine feste Burg, zu der ich immer fliehen konnte, sie war meine Zuflucht und mein hoher Berg." Darauf erhob sich Meng und sprach: "Ach, meine Mutter hat mich verlassen! Nacheilen wollt ich ihr! Sie sei mir nicht fern! Die Göttin komm in der Not, mir zu helfen!" Nun erhob sich Sung und sprach: "Dein Angedenken will ich wahren, Mutter, und allezeit erzählen deine Werke und Taten, die ich nimmer zählen kann." Jetzt erhob sich Jin und sprach: "Von meiner Jugend an hat mich meine Mutter geleitet, und noch jetzt weiß ich von ihren Wundertaten zu reden." Schließlich erhob sich Ping und sprach: "Aus dem Mutterschoß hat die Göttin mich hervorgezogen, so werde ich immerdar sie voller Liebe ehren." Nachdem die sieben Söhne ausgesprochen hatten, schwiegen die Gäste eine Zeit, versunken in Traurigkeit. Die Erde und das Korn, die Heimat gab zum Trost gegornen Wein. So tranken die Betrübten sich zum Troste, bedurfte Ma-Ma dessen doch nicht mehr. Sie leerten die Becher grünen Weines. Einige Augenblicke später erhob I-Se sich von seinem Sitz, er stand im weißen Trauerkleid, gebeugt von der Last der Kümmernis und Traurigkeit. Er sprach mit seiner wohlgestimmten Stimme: "Es mangelte mir früher und gebrach mir am Wein, nun füllt der Opferwein den Becher. Köstlicher Most, wie man ihn im Mai genießt, wann wird dies wiederum mein Herz erfreuen? Die Tische stehen voll mit Speisen, doch Tränen von Kindern und Gästen benetzen die Speise. Ach ich möchte wohl reden, doch mir versagt die Stimme; sehen wollt ich, doch bricht mein Auge. Eben ward die Holde im hohen Leichensaale aufgebahrt, schon ist sie in der Nacht, und weiße Blümchen blühn auf ihren Staube. Weit sind die Länder, doch einsam ist die Ruhe; fernhin ist die Sicht, mir aber unüberschaubar die Leere. Frühen Morgens aus dem Tor gekommen, bald Heimkehr zur tiefen Dunkelheit, zum Himmlischen Gefilde." So sprach I-Se.


OMA PAU UND TAU TI


Tau Ti war gerade ein halbes Jahr alt, da zog die Familie um, von Baxian zum nahegelegnen Orte Anci hinüber, wenige Meilen weiter nördlich, wo I-Se mit Hilfe seiner sieben Söhne ein Haus gebaut hatte. Sie hatten Pfähle in die Erde gestemmt und Fundamente gelegt, die Wände aufgerichtet und eine hohe Mauer ringsumher gezogen. Sie brannten Steine, schichteten sie an der Richtschnur entlang auf, eine Reihe über der andern. Ping hatte daran besondere Freude, denn er hatte schon als kleines Kind am Meer Lehm aufgefunden, Schlänglein sich gedreht und diese übereinander aufgewunden, dies in den Sonnenstrahlen trocknen lassen, anschließend glatt gestrichen; so hatte er schöne Vasen gemacht, die er mit trocknen Immortellen im Haus der Oma aufgestellt hatte. Sie hatten Kiefern gefällt und diese dann kantig geschnitten, sie erbauten den Dachstuhl, den deckten sie mit Ziegeln und Keramik. Sie vergaßen auch nicht, in der Wand Freiraum zu lassen für die Tür und für die Fenster. Bei der Schwelle stellten sie ein Paar Pfosten auf, woran sie Angeln befestigten, dort war die hohe Tür eingehängt. An allen Seiten des Hauses waren schöne Fenster. Es waren nun zwei Wohnungen in einem, und jede Wohnung hatte eine Tür. I-Se wohnte im größeren Haus mit den Söhnen, im kleineren Haus wohnte Oma Pau mit Tau Ti. Tau Ti wuchs schnell heran im alten Park, der neben dem Haus in Anci blühte, im Garten, den I-Se angelegt hatte. Oma Pau mit ihren weißen Haaren und dem Kimono aus Japan sagte: "Tau Ti, spiel du nur im Garten." Dann bedeckte sie das Gesicht mit einer dünnen Schicht Reispuder. So glättete sie sich die Falten. Ihr schönes Antlitz hätte erstarrt zu einer Maske ausgesehen, versteinert, wenn da nicht die schmalen Augen, die mandelförmigen, erleuchteten, gewesen wären. Mächtige schwere Zweige einer Magnolie breiteten sich nah am Eingang zum Haus der lieben Oma. Von einer kleinen Mauer rings umgeben, stand in der Mitte jenes schönen Parks ein Ginko-Baum unerschütterlich. Da war an jener Mauer eine Tafel von Stein, mit dieser Inschrift eingraviert: "Dieses Baumes Blatt gibt den geheimen Sinn zu kosten, wie es den Wissenden erbaut." Da waren viele Obstbäume im Garten gepflanzt, der Garten war durch einen Graben vom schönen kultivierten Park getrennt.


DER SCHWANENSEE VON XIAN


Am Schwanensee von Xian war eine Steinstele aufgestellt mit diesen Zeichen: "Die Majestät von Xian möge dies empfangen, denn ich bitte sie um die drei schwarzen Schwäne vom Schwanensee; drei weiße Nephritsteine wollt ich dafür spenden. Die schwarzen Schwäne sind so schwarz wie schöne schimmernde Mädchenhaare. Ihre Schatten sinken im transparenten Schwanensee. Sie reinigen sich ihre Schwingen nahe dem Jadebaum. In den Nächten schlafen sie still im Schein des Mondes, auf den Wassern im Morgenrot schwimmen sie gemächlich bei Pfirsichblüten hin. Die schwarzen Schwäne wollt ich zum Eigentum und im Huanghe mit ihnen spielen und im Gelben Meer. Die Majestät möchte sie mir bitte schenken, dem Boten diesbezüglich ein Zeichen überreichen."


REISE NACH CHEJU-DO


Tau Ti spielte mit der Nachbarin Jiu. Ihr Vater war Architekt und lud die beiden zum Segeln auf dem Bo Hai ein. Mit Puppen hatten sie zuvor gespielt, Schattenspiele hatten sie gespielt. Im Garten war ihm eine Imme ins Ohr gekrochen; ein wenig später hatte er drei Tage lang Fieber, keine mit Chitin getränkten Wickel konnten das Fieber lindern, da redete er wirr: "Die Berge stürzen ein, die Erde bricht auf!" Gesundet, begann er süß zu singen. Der Vater Jius hatte eine kleine Dschunke. Er hisste das rote Segel und zog den Anker hoch, und mit dem Westwind begaben sie sich aufs Meer. „Da wir Gegenwind haben, müssen wir kreuzen", sagte der Vater, "dann ist immer abwechselnd Wind von rechts und links im Segel. Das ist Yin und Yang. Die Alten nannten unser Land: die Berge und Meere. Wie ich euch nun Yin und Yang erklärt hab mit dem Wind überm Meer, so haben es die Alten mit dem Licht am Berg erklärt. Denn die Seite des Gebirges, die der Sonnenschein erhellt, ist Yang; die Schattenseite Yin." Da sprach Tau Ti: "Die Sonne wandert aber, dann ist die Sonne auf der andern Seite, die Sonne da, wo vorher Schatten war." Jiu stand neben Tau Ti und zeigte zur Küste, die sie rechts begleitete: "Was liegt denn da?" Der Vater sprach: "Der letzte Ort dort heißt Penglai, den man in Erinnerung ans Eiland der Unsterblichen und Geister so nennt, es sind glückselige Genien dort. Doch weiß man nicht, wo jenes Eiland der Seligen liegt, am Land dort ist allein der Ausguckturm." Der Wind wurde heftiger und die Wellen stiegen höher an der Bordwand auf. Doch die Dschunke kam darüber hinweg. Sie hatten Gegenwind und kreuzten. Der Vater sprach zu Tau Ti, dem er die Schiffermütze aufs Haupt gesetzt hatte, und sprach zu Jiu, die vorn am Bug stand, eine Strähne ihres schwärzlichen Haares wehte im Winde: "Die Wasserstraße von Tsushima werden wir doch nicht überqueren, und die Insel Cheju-Do erreichen wir heute nicht mehr. Es wird bald dunkel werden, wir müssen umkehren." Tau Ti ward traurig: "Da kam doch meine Mutter zur Welt, und ich war da so lange schon nicht mehr. Wie gerne wollt ich doch die Heimat meiner lieben Mutter sehen, wo sie geboren." Sie machten rechterhand im Küstenhafen Zwischenstation. Es war eine Kabine an Bord, da schlief der Alte mit der Tochter. Tau Ti wollte im Freien übernachten, unter den Sternen. Schon stieg der Abendstern auf, der nach dem Tod der Nacht genannt wird Morgenstern. Sie schliefen auf der Dschunke. Morgens den Anker aufgezogen und das Segel gehisst, schwamm die Dschunke aus dem Hafen. Sie kamen an dem hafennahen Strand vorüber. Unansprechbar war der Vater, denn ihn entzückte eine junge Dame, die am Wasser wandelte, am Strand ging, gehüllt in feine weiße Sommerseide. Sie zog den Haarpfeil eben aus den Haaren und schüttelte ihren Zopf und fasste ihn und löste ihre Haare auf, daß sie bis auf den feuchten Boden niederfielen. Die Dschunke aber setzte die Fahrt fort, und so verlor sich die schöne Aussicht in verschwommener Ferne. Bald waren sie hinausgefahren vom Bo Hai aufs Huang Hai, das Gelbe Meer im Osten. In der Unendlichkeit vergeht die Zeit sehr schnell. Tau Ti und Jiu setzten sich in der Kajüte auf Matten von Bambus und spielten Schach. "Die vierundsechzig Felder", sprach Tau Ti, "entsprechen im I Ging den Hexagrammen." Jiu fragte: "Hast du schon mal ein Schafgarbe-Orakel gezogen?" - "Ja, ich nahm mir einst die fünfzig Halme, und eines hab ich weggelegt für unsere Göttin, die Höchste. Dann hab ich die Schafgarbe-Stengel von einer Hand in die andere gezählt und immer wieder welche ausgelesen. Und da erfuhr ich vom ersten Menschen und vom Himmelssohn, dem letzten Menschen." - "Laß ab von abergläubischer Magie!" sprach in Tau Ti die innere Stimme sanft. Die Dschunke fing nun heftig zu schaukeln an, der Vater rief von oben: "Kommt schnell heraus, ich sehe einen Drachen!" Tatsächlich gingen die Wogen hoch, es spritzte Gischt über des Schiffes Deck. "Bald stehen uns die Wasser bis zum Hals!" rief Tau Ti durchs laute Meeresbrausen. Da stellten sich die Wogen auf wie Mauern, ein Haupt erhob sich, golden und morgenrot, der Panzer war wie Stein, der Schweif war wie ein Regenbogen, schillernd in Buntheit. Das Ungeheuer tauchte wieder unter und das Meer beruhigte sich. Der Regenbogen blieb eine Zeit lang am Himmel stehen. "Das ist ein gutes Zeichen", sprach Tau Ti, "nun wird das Ungeheuer abgewehrt. Daß der Drache uns nicht vernichtet, das kommt daher: wir stehen im Bund mit dem Königsvater des Ostens." Am Mastbaum und am Querholz aufgehängt mit Schlaufen wehte das rote Segel im leichten Wind. Sie setzten ihre Reise nach Cheju-Do fort. Schon war da ein schmaler Landstrich am Horizont zu sehen, Tau Ti breitete seine Arme sehnend aus und schwebte mit den Füßen überm Boden, den Planken, bot vor Euphorie sein Herz dem Himmel an. Sie liefen nun den Hafen im Westen an. Im Norden sah man den Leuchtturm von Yösu, der sah weit über die Wasserstraße von Tsushima zum Eiland Cheju-Do. Der Kapitän und Jiu wollten in den Ort gehn, auf der Terrasse beim Sommerpavillon den Tee zu trinken und etwas zu speisen; aber Tau Ti sprach: "Nach Speis und Trank steht mir der Sinn nicht, am Ostrand der Insel will ich atmen, wo früher meine Mutter gesungen." Sie besprachen sich, daß sie zur neunten Stunde wieder bei der Dschunke sein wollten. Tau Ti ging den Pfad, der von Steinen schön gepflastert war und gelegt von Planken, schließlich in der Wildnis sich verlor, sich sandig durch die Wiesen in schönen Kurven wand. Zu Seiten waren Gruben der Kaninchen, dann kam er durch ein dunkles Kiefernwäldchen, wo das gelbe Licht der Sonne entlang den Rändern der Schatten strahlte. Er ging über einen Hügel und kam zum Ostrand. Da sank Tau Ti auf die Knie, Trauer überschwemmte sein Herz, als er an seine Mutter dachte, die nun nicht mehr auf Erden war. Er schloß die feuchten Augen und redete in seinem Geist mit der Göttin.Da wurde es auf einmal Licht um ihn, als wär umher der reinste Schnee. Da sprach er: "Wache auf, Allerhöchste! O sende einen Trost in meine Trauer! Siehe, meine Seele ist gebeugt zum Sand, mein Körper ist wie Staub, ich bin nicht mehr als Nichts. Mach dich auf vom himmlischen Gefilde! Komm, erlöse mich aus meinem Dasein im Elend, um deiner Gnade willen!" Wie schnell ward es Abend, eben war es noch Mittag. Tau Ti ging den Pfad zurück, da viele Ginsengpflanzen wie kleine Wunderwerke wuchsen. Er grub eine Ginsengwurzel aus und tat sie in seine Tasche. Er ging den Pfad zum Südstrand, wo er Muscheln aufhob und schwarzen Tang und jenen Tang aufrollte wie schwarzes Haar und in die Muscheln legte, wie ein Schlänglein in ein offnes Grab. Dann schloß er die Muscheln, übergab sie dem Meer. Nun wünschte er sich Glück. Noch waren seine schmalen Augen feucht, Trauer war die Stimmung seiner Seele. Er ging zurück zur Dschunke, da empfing der Vater ihn mit seiner Tochter Jiu. Sie machten sich wieder auf die Fahrt. Das ruhige weite Wasser überquerten sie bei genügend Wind in einer Mondnacht. Der Kapitän blieb wach noch über Nacht, Tau Ti und Jiu zogen sich in die Kabine zurück, da noch eine Lampe mit dunklem Schimmer brannte. Tau Ti war eingeschlafen, da hörte er im Schlaf eine lieblich sanfte Stimme, die rief ihn. Und er redete: "Hier bin ich." Da erwachte er und trat hinaus und redete zur Göttin: "Hier bin ich. Rede, Himmelsgöttin, denn dein Diener hört." Da gingen ihm die Augen auf, und er sah überm nahen runden und grünweißen Vollmond eine Lichtgestalt, ebenso erleuchtet wie das Mondlicht. Ein wunderschönes liebliches Gesicht, die Haut wie Pfirsichhaut, die schmalen Augen, wie Mandeln, halb verborgen unter Lidern mit Wimpern, die Augenbrauen waren fein gezogene Bögen, und der Mund war himbeerrot, ein Lächeln um die Lippen. Schwarzes Haar umfloß die Lichtgestalt, umgab sie ganz vom Haupt bis zu den Füßen. Die Füße waren wie Seelilienblüten, umschwommen ganz von Mondlicht, ein Schwan schmiegte in der Haare Schatten sich an ihre Füße an. Und dann sprach eine liebevolle Stimme: "Tau Ti, ich bin des Himmels Allerhöchste! Ich habe dich geprüft und dich geläutert, so wie man Silber läutert. Wahrlich, sag ich, die Hoffnung aller Elenden ist nicht für immer verloren. O mein Kind, ich liebe dich, und meine Gnade und mein Erbarmen werden dich dein Leben lang begleiten. Wenn du deinen Geist aufgibst, wenn du vollbracht hast, was dir die Bestimmung in dieser Welt gewesen, dann wirst du in meiner Liebe ewige Freude finden." Das offne Reich des Himmels schloß sich wieder. Tau Ti sank überwältigt nieder und sank in einen tiefen, tiefen Schlaf.


IN JIUS GARTEN


Dann kamen sie endlich in Anci an. Tau Ti blieb über Nacht im Haus des Architekten, damit er seine Oma Pau nicht wecken mußte. Am nächsten Morgen bereitete die Frau des Architekten, Lan, das heißt Orchidee, ein leckeres Frühstück. Da gabs Hirse in Honig und Kirschsaft für die Kinder; für die Älteren gabs die dunkle gekochte Pflaumenbrühe. Danach gingen Tau Ti und Jiu in den Garten, Ping-Pong zu spielen. Schön sah Jiu aus in ihrer weißlichen Seide mit dem Phönixmuster, sie trug ein faltergleiches Band im Haar, Sandalen trug sie, bunt wie Morgentau im Lichte schillernd auf den grünen Gräsern. Mit beiden Händen hielt sie einen Becher mit rotem Saft und setzte an und trank, da war ein Lächeln auf ihrem Angesicht. O wenn ihr Antlitz lächelte, so wurde still seine Seele. Eine weiße Wolke am blauen Himmel war sie, eine Orange in ihrer kindlichen Reinheit. Tau Ti nahm Abschied mit wohlgesetzten und gebührenden Dankesworten vom Vater, von Orchidee und ihrer Tochter Jiu. Drei Wochen später zogen sie ins schöne Südland, in ein Haus in Kanton, das umgeben war von Orangenbäumen.


DAS VOLLMONDFEST DES HERBSTES


Es nahte das Fest des Mondes im Herbst. I-Se rief Tau Ti ins Haus, er tat die Eingangstür auf, die ward genannt: das Tor des Himmels. I-Se kam aus dem inneren Gemach des Hauses durch den Wasserperlenvorhang. Er war in ein dunkles Gewand gehüllt, setzte sich eine angegossene Kappe aufs Haupt und wickelte sich eine purpurne Schärpe um die Hüfte. Da saßen am Tisch Tam, Fu, Meng, Sung und Jin. Sie saßen vor den Jadebechern mit Reiswein, auf dem Chrysanthemenblüten schwammen. Der von allen wegen seiner Schönheit hochgerühmte Tam hob seine Stimme: "Nun sind wir fast vollzählig. Nur Tsing und Ping fehlen. Ping ist noch auf den Weiden, die Eselinnen sind ausgebrochen, so ist er bemüht, sie auf die Weiden zurückzuführen. Hoffentlich stößt Ping nichts zu, die Gegend ist unsicher, seit Kaiser Tsao den Krieg ausgerufen hat. Seit dieser Zeit weiß keiner: wer ist kaiserlicher Söldner und wer ist Räuber aus der Bande Dschis? Die Räuber nennen sich nach dem berühmten Dschi, der vor dreitausend Jahren zur Zeit des Gelben Kaisers das Seine tat. So muß nun Ping achtgeben, wenn er die geflohenen Eselinnen verfolgt, daß er nicht in die Hände der Banditen gerät, denn dann verlöre er sein Leben. Besser die Eselinnen verlieren. Ach", seufzte Tam, "auch Tsing vermissen wir. Es kämpft im Heer hoch im Norden gegen die mongolischen Barbaren. Aber wir haben einen Boten mit einem Rollsiegel gesandt, ob er Urlaub bekommt zu unserm Familienfest. Vielleicht hat er sich schon auf die Reise gemacht. Drei Tage noch, dann scheint der Vollmond. Dann werden wir alle beisammen sein." Tam sprachs. Die alte Oma Pau kam herein, gewandet in ein seidenes Gewand, mit einer Kopfbedeckung aus gelbem Kaschmir, die über ihre schmalen Schultern fiel. Sie sprach: "Ihr Lieben, ich habe mir eben in der Unschuld meine Hände gewaschen. Drei Hühner hab ich geschlachtet, ich gab sie zum Opfer. Wenn das Ende kommt, dann kommt das Ende. Kochen werde ich die Hühner, um das Gefieder abzupflücken, dann sie köstlich zubereiten. Also werden wir Hühner speisen mit süßsaurer Sauce und Reis. Lieber I-Se, ich werde langsam alt. Des Menschen Leben währt nicht wie ein Stein. Auch habe ich das Elixier der ewigen Jugend noch nicht gefunden. Also meine ich, du solltest dich nach einer Dienerin umsehen, die dir den Haushalt besorgt. Denn wenn du Holz sägst oder deine Söhne arbeiten auf dem Feld oder sind auf dem Feldzug, könnt ihr nicht auch noch den Haushalt besorgen. Wenn ich dir dies als Älteste sage, dann hoff ich, daß du meinen Rat beherzigst." Also sprach sie und lächelte. Am nächsten Tag kam Ping zurück, es waren die Eselinnen wieder auf der Weide. Er sprach: "Ein Mann des Kaisers hatte sie gefunden und am Messingplättchen am Ohr erkannt, wem sie gehören. Er hat sie zu mir gebracht und sagte noch: 'Wenn ich die Eselinnen meines Feindes fände, müßt ich sie ihm wiederbringen.' So ist es recht im Sinn der Tugendlehre unsres Meisters Kung Fu Tse. Ich selbst zog mit den Eselinnen zur Weide, da traf ich unterwegs einen Wanderer, der sprach: 'Ich will zum weisen Seher, den Weg der Unsterblichkeit von ihm erfahren.' Wohl, die Eselinnen sind eingebracht. Nun fehlt uns nur noch Tsing, dann ist die Familie wieder vollzählig.“ Am nächsten Tag kam ein Bote vom hohen Norden. Es war einen Tag vor Vollmond, da das Fest stattfinden sollte. Der Bote grüßte die Familie würdig: "Ich wollte Ihnen eine Botschaft bringen, lassen Sie mich in Pietät sagen, wie es Tsing ergangen ist. Wir waren am Berg Tianshan, wo wir kämpften mit Schild und Schwert. Groß ist die Wüste in großer Hitze, doch wir fanden bald eine Oase und schönes Weideland. Schon vor zweitausend Jahren weideten verschiedene Stämme dort die Ziegenherden. Der Kaiser Tsao sandte eine Armee, das Land urbar zu machen. Nachdem die Grenze zum Barbarenland gesichert worden war, legten andre Abteilungen die Schwerter nieder und nahmen Pflugscharen. Wir bildeten eine Abteilung Kundschafter, die Tsing anführte, ich ging an seiner Seite. So gingen wir durch den Pinienwald am südlichen Gebirge. Müde machten uns hohe Temperaturen. Öfter tauchte in gelber Steppe eine Jute auf. In weiter Ferne war ein Wasserfall. Dann stiegen wir zusammen den Bogdashan hinan, den hohen Berg. Der hob sich in den Himmel mit schneebedeckten Gipfeln, um welche Wolken flogen. Tsing leitete die Truppe Kundschafter, er leitete uns zum Himmelssee. Ich sprach zu ihm: 'Gut, daß wir hier fern sind von den kriegerischen Fronten, dort verliert man leicht das Leben, wird vom Schwert gefällt.' Da sagte Tsing: 'Das sei ferne, daß ich das Schwert nicht gürten wollte. Tu dein Ohr auf, das Jenseits zeigt sich hold. Den Menschen sind in diesem Dasein Nichtigkeiten Trost, sie kriechen durch den Staub. Dem Himmel näher, siehe, spiegelt sich im Himmelssee das Himmelsfenster. Aber nur ein Dieb kommt durch das Fenster ins Haus, ich wollte durchs Tor gehn.' Jener See ward gespeist von Schmelzwasser, das von oben herabkam. Wir waren am See des Himmels, Tian Chi. Dreitausend Jahre vorher gab der Kaiser ein reiches Festmahl für die Himmelsmutter, das war an diesem See. Wir tranken etwas gegorenen Wein Kan-Peh und speisten ein paar Baumpilze Mu-Err. Tsing gürtete sich mit seinem Hemd und schwamm im See. Er war schon in der Mitte, da rief er plötzlich: 'Himmel, Himmel, hilf mir!' Aber da sank er. Ich weiß nicht, ob ihn ein Sog hinabgezogen, doch er tauchte nicht mehr auf." So sprach der Bote. Und die ganze Versammlung brach in laute Tränen aus. Ping saß zur Rechten des verstummten I-Se und weinte: "Ach mein lieber Bruder, was hast du mich alleingelassen, Liebling!" Sie speisten etwas Melonen und Rosinen, die der Bote ihnen aus dem hohen Norden mitgebracht hatte. Tam hielt die Karaffe in seiner Hand und schenkte I-Se Wein in den Becher ein. Der setzte den Becher an und leerte ihn in Einem Zug und sprach: "Wie herrlich ist der Himmel über dem Reich der Mitte, die Macht ist des Himmels! Ich will nun ein Opfer bringen: Nun ist wohl Tsing bei Ma-Ma jenseits der Gelben Quellen im Gefild der Geister." So sprach I-Se. Tau Ti sprach: "Ich habe gehört, die altehrwürdige Se, das edelste der Saitenspiele, wird im Himmel von den Seligen vernommen. Ich wünschte mir einmal, mit der Allerhöchsten Segen und aller Seligen, die Se zu streichen und zupfen. Ich vernahm vom blinden Seher, daß sie einen schönen geschwungnen Leib von Holz besitzt und Saiten von Fischdarm." Am nächsten Tag, es war der Tag des Herbstmondfestes, ging Ping mit seinem Bruder Tau Ti im Freien. Da standen in den Beeten Chrysanthemen, die Blumen des Herbstes, wie die Pfingstrose Blume des süßen Lenzes ist. Sie gingen im nahegelegnen Park des Dorfes Anci, dort waren die Wu-tung-Bäume und ließen fallen das goldenrote Laub. Bei der Steinlaterne setzten sie sich auf die Wiese nieder; auf einer granitenen Säule war der Lampenkörper von Mandelstein, darauf der Baldachin von purem Nephrit. Da sagte Ping: "Nun von den Vasen will ich sagen: Unsre Ahnen und Mütter hinterließen uns ein Erbe, das reicht von den sakralen Bronzen bis zu feinen Porzellan-Vasen, die glasiert sind auf verschiedne Arten. Fische und Vögel nennt sich ein transparentes Dekor." Ping sprachs. Da sprach Tau Ti: "Einst werde ich im Himmel sakrale Bronze sehn." Sie saßen vorm Haus auf der Terrasse, und Jin kam durch den Wasserperlenvorhang des inneren Tores, durch den Bambusvorhang des äußeren Tores, sein schwarzes Haar war glatt, eine Locke hatte Jin wie eine Schlange aufgerichtet. Jin sprach zu Tau Ti: "Fürwahr, es gibt, nah am Gelben Meer gelegen, einen Ort, der Ji geheißen ist, nahe bei Tongxian. Es gibt nun die Weissagung, daß dort die Verbotene Stadt errichtet werden soll. Ich, Jin, war einmal dort. Es gibt Legenden, daß die Mutterkönigin des Westens, Hsi Wang Mu, eine Tochter besaß, die Ji hieß. Sie weilte oft bei den Himmlischen und kam einmal für einen Tag zu einem Jüngling auf die Erde." So sprach Jin. Manchmal wird es im Herbst in Anci früh schon kühl, darum lag auf der Mondterrasse Reisigholz gebündelt. Und Jin sprach: "Des Himmels liebste Tochter Ji ist sehr schön. Aussagen kann ich das nicht. Ich wollte ihr weihen eine Porzellan-Vase mit einem Pflaumenblütenzweig darauf, ganz weich gepinselt mit Mangan, die Vase nennt sich Mei Ping, die Pflaumenblütenvase." Es trauerte aber Tau Ti um seinen Bruder Tsing, im hohen Himmelssee ertrunken. Tau Ti schwamm unterm Lid eine Träne. Die Augen aufgetan, die Träne rollte hinab die Wange, die pfirsichrote Wange. Er sagte: "An den Knöcheln des Gebirges, zum Gipfel klangen Horn und Trommel. Der Feind umzingelte uns mit tausend Mann, wir blieben standhaft und wichen nicht. Unsre Verteidigung war wie eine feste Mauer, unser Wille war wie eine Festung. Jenseits der Scheide stiegen die Raketen wie zum Neujahrsfest; das Heer der Andern war auf der Flucht, verschwand in tiefer Nacht." Er ging ins Haus, wo ihn Oma Pau begrüßte: "Yao, Shun und Yü, die alten würdigen Patriarchen, segnen dich. Der Himmelsbaldachin ist über dir." Sie kam vom Spiegel, und ihr Angesicht glich einer weißen Maske, und Tau Ti fand, daß die Neunundneunzigjährige unübertroffen war an edler Anmut. Sie sprach: "Ich dachte jüngst an meine Mutter, sie hatte einen Kranich; wenn sie den betrachtete, so sprach sie ein Orakel: Tao wird verkörpert im Te, die ewige Weisheit in der Lebenskraft. Nun aber, o mein Junge, geh und schmücke dich herrlich." Tau Ti ging auf sein Zimmer, wählte aus den Stoffen einfaches schwarzes Linnen zum Ober- und Unterkleid, legte sich um den Hals ein grünes Kragenband von Seide, mit silberner Verzierung mäanderförmig, darüber legte er ein Tuch von himbeerfarbenem Kaschmirstoff. Die schwarzen Haare auf der Stirn reichten ihm nicht ganz zu den schwarzen Augenbrauen, den schwingengleichen. Seine Augen waren schmal und dunkeltief. Er hatte bei der Unschuld des Angesichts Falten um die Augen, unter den Augen lagen Schattenfelder, da sammelten sich oftmals seine Tränen. Die Wangen waren sanft wie Pfirsichhaut, die Nase war ein wenig blasser, die Lippen von der Farbe rosiger Himbeeren, es lag ein tieftrauriger Ausdruck um den lieblichen weichgeschwungnen Mund. Das schwarze Haar hing ihm mit einer Strähne an der Wange hinab, gleichmäßig schmiegte es sich an das Haupt wie dämmerschwarzes Seidentuch, die Ohren waren unterm Haar verborgen. Er nahm vom Tisch eine Messingschere und schnitt sich seine Fingernägel, wusch sich die Hände und roch an der Mimose, die er in einer Vase stehen hatte. Er ging mit schwärmerischen Taumel in seiner Seele aus dem kleinen Zimmer. Oma Pau hatte sich einen Vollmond aus Papier ausgeschnitten. Lange hatte sie sich kunsthandwerklich betätigt, etwa kreisrunde Rahmen bestickt, gesponnen, gewoben, wofür sie die Wolle vom Hirten hatte. "Laß uns hinübergehn", sprach sie. Auf der Terrasse saßen schon I-Se und seine Söhne. Tau Ti hielt den Papiermond in der Hand, mit einem Nagel befestigte er ihn an einem Balken. Dann sprach I-Se: "Geehrte alte Oma Pau, nach deinem klugen Rat hab ich nach einer Haushälterin mich umgesehn, die ich als Dienerin einstellen möchte. Morgen wird sie einziehn in dies Haus." Da sprach Oma Pau: "Wie heißt es im Gedicht? Das leere Bett ist schwer allein zu halten." Die Jadebecher standen auf dem Tisch und eine marmorne Karaffe mit gegorenem Wein, auf dessen Spiegel schwammen duftende Chrysanthemenblüten. Auf dem Tisch stand eine bronzene Schildkröte, deren oberen Deckel man abnehmen konnte, darin war etwas Weihrauch. I-Se trug am kleinen Finger einen goldenen Ring, worauf sich ein Brillant befand, der aber ausgehöhlt war, ein Deckel war eingearbeitet, er konnte den Stein öffnen und ein grünlichen Jadestaub zum Wein einnehmen. Er winkte und der Wein ward ausgeschenkt, Mandeln waren in den Speiseschalen. Tau Ti saß geistesabwesend versunken und starrte, wie ein Kaninchen auf die Schlange, zum Mond, der rein und rund am Himmel stand. Sie nahmen es mit der Sitzordnung nicht so genau; sonst ist es, wie der Meister sagt: "Bei gutem Anlaß: rechts der Ehrenplatz; bei bösem Anlaß: links der Ehrenplatz." Tau Ti zu Seiten saßen Oma Pau und I-Se. Tau Ti sprach: "Mein Vater, du wirst eine junge Frau finden, die wird der Ma-Ma ähneln." Dann sanken ihm die Augen zu. Sie schliefen.


SU-NGO


Drei Tage später kam Su-ngo ins Haus. Am Morgen erhob sich Tau Ti und salbte seine weißschorfigen Schuppen an Ellenbogen, Knien und Haupt. Er zog sein Kleid an, legte die roten Kniebinden an, ging hinaus und sang dies Lied: "Ein Entenpaar ruft quakend Wechsellaut, sie haben auf dem Inselreich ein Nest. Wie still ist die wunderschöne Maid, sie ist dem Fürsten eine liebe Braut. Seerosen schwimmen mannigfach dahin, wir langen nach den Rosen rechts und links. Wie still ist die wunderschöne Maid, Glocke und Pauke herzen ihre Seele." Su-ngo, die junge Maid, zog schließlich ein. Su-ngo, das Weißgänschen, sprach von ihrer Herkunft: Sie kam vom Küstenort Lu Cheng, dem Gefilde des Hirsches; dort sahen die Einwohner einst einen weißen Hirsch und deuteten dies als ein Zeichen des Glücks. Nahe diesem Küstenort ist ein Berg, das Nordgebirge der weißen Wildgans; und dort war Su-ngo zur Welt gekommen. Sie ging dort oft im Gebirge, wo die höchste Erhebung Gipfel der Göttin genannt wird. Jedes Jahr im Herbst ziehn ganze Wildgans-Schwärme dorthin, an einem Bergsee überwintern sie. Beim Gipfel der Göttin gibt es drei Wasserfälle. Su-ngo hatte sich vorgestellt und I-Se hatte sie aufgenommen. Von jetzt an hieß man die Zimmer: reine Duftgemächer. Su-ngo war wie eine Mangofrucht. Sie war die Perle vom hohen Gipfel der Göttin. In den Haaren trug sie die Nadel der Heiratsmündigkeit. Sie war zu einer zierlichen schlanken Maid herangewachsen von wahrer Schönheit. Hauchdünn und zart wie Falterfühler waren ihre Brauen, phönixmäßig leuchteten die Augen. Sie hatte ein ovales Angesicht und Wangen wie im Mai die Pfirsichblüten. Die Knochen waren jadezart, ohne jeglichen Makel schimmerte die Haut, die fühlte sich glatt an wie Eis. Mit kleinen zierlichen Lotusschritten ging sie wie im Luftmeer eine Mauerschwalbe schwebt. Kam man über ihre Schwelle ins Duftgemach, dann hielt man jenen Ort für den Aufenthalt einer Himmlischen. Sie war noch Dschu-Nü, das heißt Jungfrau. In ihrem seidenen hellgrünen Kleid trat eines Morgens Su-ngo aus der Tür, da hatte sie blauen Lidschatten aufgetragen wie feinen Staub, der schimmerte. Da gab Tau Ti ihr ein Rollsiegel, das von Sung war, darauf es hieß: "O lobenswürdige Su-ngo! Siehe, zwei Kinder laden dich heute in der neunten Stunde der frühen Nacht zum nahen Park der Birnbäume, wo wir dir dann lobsingen wollen. Zwei geheime Liebende." Da Su-ngo in der schönen Jugend aufgelegt zu Scherzen war, ging sie zur neunten Stunde zum wunderschönen Park der Birnbäume. Die Strecke führte am Magnolienbaum und am Ginkobaum vorüber, führte entlang der Wasserquelle, die dem Stein entsprang und als ein Rinnsal ein wenig weiterrollte. Dort war ein Bachbett von Gestrüpp und Steinen, und Gräser wehten im Wind. Die Vögel riefen aus den dunklen Wolken, Tautropfen sanken von den hohen Ästen. Die Sängerin des Himmels gab den Vögeln unsterbliche Gesänge ein. Da kam zum schönen Park der Birnbäume Su-ngo, wo auch der Wu-tung-Baum und der Papierbaum standen und der Maulbeerfeigenbaum. Sie dachte an die Bäume der Erkenntnis, da sah sie schon die grünen Birnbäume, den geraden jungen und den krummen alten. Unter dem jungen Baum, durch dessen Wipfel silbernes Mondlicht schimmerte, standen Tau Ti und Sung. Sie sah zu ihnen, still und gespannt. Da sangen sie dies Lied: "Du bist wie der Mondenschein. Der Mond muß überall erscheinen zur rechten Zeit, anzeigen die Gezeiten, und muß eine Zeichen sein dem Lauf der Zeit. Man rechnet Fest und Feier nach dem Mondlicht; es ist ein Licht, das ab- und wieder zunimmt, es ist wie Ebbe und Flut, da wächst es und verändert sich wunderbar; Feldzeichen ist es für die Himmelsschar, wenn es aufglänzt am Firmament des Himmels. Jegliches ist geordnet im Sinn der Bestimmung. Wenn wir manches singen, immer reicht es nicht aus, die Schönheit schön zu loben, die Schönheit von Himmel und Erde. O Lob der Schönsten der Menschentöchter!" Aber im inneren Gemach, im Duftgemach sprach I-Se zur neuen Gattin Su-ngo: "Setze dich zu meiner Seite." In der Nacht erkannte er die Schöne. Und des Morgens klopfte Tau Ti mit seinem Nephrit-Zepter ans Tor und fragte: "Was macht ihr da?" Su-ngo war schwanger. Sie gebar ein Kind, es war ein Mädchen, sie nannte sie Li-Li. Su-ngo sprach: "Wenn ich das Baby entwöhnt hab, kann sie mit Tau Ti im Garten sehr schöne Spiele spielen." Zzum Opfer der Allerhöchsten brachte Su-ngo ein Yak-Rind, einen Scheffel Reis und Wein dar. Da sprach Su-ngo: "Dieses Kind hab ich mir gewünscht, das wundervolle Kind Li-Li. Nimm du den Wurm auf deine Arme, Vater." Da freute sich Su-ngo, ihre Schönheit erblühte wie eine weiße Blüte am schneebedeckten Pflaumenbaum im Winter. "Ich neige mein Haupt zu Boden vor der Gnade der Himmlischen", sprach sie, "mein Mund ist nicht verschlossen. Kein Fels ist fest wie der Fels der Allerhöchsten. Taten und Worte werden gewogen von unserer Göttin im Himmel. Ja, die Schwachen umgürten sich mit Stärke; und die Hunger erlitten, hungern nun nicht mehr; die Durst erlitten, dürsten nun nicht mehr. Wer tötet und macht lebendig? Tote wurden einst hinabgeführt, sie steigen nun hinauf zu den Unsterblichen. Die Armen sitzen bei Fürsten. Recht wird herrschen an allen Enden der Erde. Macht besitzt die Allerhöchste des Himmels, und des Menschenkindes Haupt wird hoch erhoben sein in Seligkeit." So sang Su-ngo und freute sich des Kindes Li-Li. Laternen glänzten farbig durch die Nacht, denn es war Winter, und das Neujahrsfest ging vorüber, und wieder kam der Lenz!


KAISER TSAO


Es herrschte zu der Zeit der Kaiser Tsao in Luoyang, der Residenz am Huanghe. Er leitete den eigenen Stammbaum ab vom legendären Gelben Kaiser, dem Huang Ti, er nahm sich ihn zum lichten Vorbild. Er wußte, daß der Gelbe Kaiser einst dem Reich der Mitte viel Errungenschaften gebracht, wie den Gebrauch des Feuers und des Pfluges und den Seidenwebstuhl auch. Der Kaiser las desöfteren die geheime Überlieferung des Gelben Kaisers, seine Gespräche mit der Himmlischen Su Nü, Musik und Liebe waren die Themen. So kannte Kaiser Tsao auch die Gespräche des Gelben Kaisers mit der Himmlischen Tsai Nü, dem Mädchen im Regenbogengewand, im Libellenflügelkleid. Und schließlich waren überliefert die Gespräche mit dem Heiligen Tien Lao über das Zurückkehren zum Quell des Seins. Geheimes Buch der Überlieferung, in dir las oft und gern der Kaiser Tsao! Und dies war Trost in seiner Traurigkeit, denn er war Verkörperung der Melancholie. Einige meinten zwar, zu der Zeit des Gelben Kaisers gab es noch nicht der Chinesen Schrift, doch alle Wissenden bezeugten: das geheime Buch war in der Himmlischen Schrift geschrieben. Schließlich hatte der Gelbe Kaiser abgeschlossen sein demütig-frommes Leben und stieg auf zum himmlischen Gefilde der Allerhöchsten. Der Kaiser konnte nicht zu jeder Zeit geheime Überlieferungen lesen, er mußte nämlich seine kaiserlichen Aufgaben auch erfüllen, er war ja das Oberhaupt der kaiserlichen Truppen. Die Residenz in Luoyang war ein großer Palast, wo viele Mandarine und Gelehrte weilten und sein ganzer Heeresstab.


PING


Im inneren Palast der Residenz wohnte der Kaiser Tsao mit seinen Kindern, Mei-Shan, der Tochter, und Gen, dem Sohn. Nun kam zur Residenz des Kaisers Tsao Bruder Ping, der Bruder von Tau Ti. Ping war anstelle seines verstorbenen Bruders einberufen zu Kaiser Tsaos kaiserlichen Truppen. Dort wurde er das Haupt der kaiserlichen Leibwache. Kaiser Tsao hatte Reichtümer angehäuft zu seinem Ruhm; einige Edelsteine lagen ihm besonders am Herzen. Er hatte den Jüngling Ping zum Hüter seines Schatzes befördert. Vor ihm lagen da der Sternsaphir, Star of Asia, der Diamant der Mandschurei und der Rubin des Großmoguls von Bengalen. Und Ping, Liebhaber schöngeschmückter Schönheit, geriet in Versuchung. Mit dem Schwert teilte er die Schatztruhe und nahm die Edelsteine an sich. Da entdeckte ihn die Wache. "Der ist es!" riefen sie, dann nahmen sie ihn gefangen mit Stangen. Der Kaiser ließ ihn ins Gefängnis werfen. Vier Wachen von je vier Soldaten wachten. Enthauptet werden sollte er später und sein Haupt auf der Mauer aufgerichtet werden, die Feinde abzuschrecken. So ward Ping im Gefängnis festgehalten. Inzwischen hatte dies auch die Familie erfahren, sie weinten, opferten Weihrauch der Allerhöchsten, daß die Göttin sich über Ping erbarme und ihm beistehe in der Not. In jener Nacht, bevor Kaiser Tsao am nächsten Morgen Ping enthaupten wollte, schlief Ping ruhig zwischen zwei Soldaten. Vorm Tor des Gefängnisses standen Wachen; da hörte er etwas wie einer Nachtigall Gesang, er erwachte und sah: Es kam eine Himmlische herein zu ihm: "Ich heiße Ji, ich bin des Himmels Tochter." Ein Purpurduft umschwebte sie, und wenn sie schwebte, klangen leise kleine Glöckchen. Ihr Angesicht war lieblich, ihre Stimme war wie Gesang. Ein Schimmer leuchtete sanft in der Zelle. Sie rührte Ping an seiner Seite und sagte: "Steh schnell auf!" Die Ketten fielen ihm von seinen Gliedern. Sie sprach: "Tu deine Schärpe um, zieh die Schuhe an und folge mir." So tat er. Da sagte Ji, die Himmlische: "Häng deinen Umhang von weißem Lammvlies um und folge mir." So ging nun Ping hinaus und wußte nicht, daß ihm dies wahrhaftig durch Ji geschah; er meinte, eine trügerische Erscheinung zu sehn. Sie gingen aber mitten durch die Wachen und kamen zum bronzenen Tor, das ging nach Luoyang. Und überm Tor stand Tian Men geschrieben: Himmelstor. Sie gingen am Gelben Strom entlang, da verließ Ji den Jüngling Ping, auf einer purpurfarbnen Wolke schwebte sie leicht davon. "Ji, Ji, wohin entfleuchst du?" stammelte Ping. Dann nahm er sich zusammen. Er sagte zu sich selber unter Tränen: "Mir scheint, vom Himmel kam die schöne Ji, nach dem Befehl des Himmels half sie mir aus der Hand des großen Kaisers Tsao. Das Volk wird auf der Mauer nicht mein Haupt sehn; ich bin nicht wie die Freier Turandots, denen die Liebe zum Verhängnis wurde; mein Haupt wird sein erhöht auf andre Weise." Als er sich so besonnen und gesammelt, machte er sich auf den Weg zu seiner Freundin Erl Nü, die an der Küste zum Gelben Ostmeer wohnte, im Ort Penglai, sie lebte dort mit ihrem einzigen Sohn, der ein Fischer war und An-To hieß. Sie saßen dort zusammen und tranken Tee. Sie sammelte Porzellan-Blumen, Teekannen und Vasen. Da kam Ping ans Hoftor und klopfte an, daraufhin kam eine Magd, zu hören, wer da wäre. Und als sie Ping an seiner Stimme erkannte, tat sie vor Freude doch das Tor nicht auf, sie lief hinein und sagte Erl Nü: "Ping ist da!" Doch Erl Nü meinte, von Sinnen wäre die Magd; doch die bestand darauf, daß Ping da sei. Da meinten sie, die Dienerin hätte seinen Genius gesehen. Ping aber klopfte wieder ans Tor, da öffnete Erl Nü das Hoftor und entsetzte sich, denn er war sehr heruntergekommen. Ping winkte mit der Hand: "Der Ritt hat mich erschöpft, der Staub hat mich entstellt." Und dann erzählte er den Leuten, wie er aus dem Gefängnis befreit worden. "Ich will euch nur nicht in Gefahr bringen, darum will ich im Untergrund verschwinden. Laßt bald I-Se und der Familie eine Nachricht zukommen." Dann ging Ping davon. Er kam auf seinem Ritt an Baxian und Anci zwar vorbei, doch kehrte er nicht ein, um I-Se nicht zu gefährden. Doch sah er auf dem Wege Tau Ti, der dort mit einer Bambusflöte ging. Da streckte Ping die Hand aus und ergriff Tau Ti und küsste ihn, dann eilte er weinend weiter. "O Tau Ti, mein junger Bruder, du hast mir das Herz geraubt!" seufzte Ping. Er hatte in den Ohren noch das Spiel der Bambusflöte, als er ankam im Städtchen Sui-zhong, bereitete ein Schälchen Reis und aß mit Stäbchen, dann setzte er einen Becher Wein an den Mund und leerte ihn auf Einen Zug. Also erfüllte sich die Rede Su-ngos: "Die Hungrigen werden nicht mehr hungern, die Durstigen werden nicht mehr dürsten." Die kaiserliche Truppe war ihm aber dicht auf den Fersen. Ringsumher waren viele heftige Kämpfe. In Suizhong ging Ping umher und sprach: "Tao des Himmels! wie es im Sinn des Himmels ist, will ich tun. Das Eine ist doch besser als die zehntausend Dinge. Himmlische Herrin, du errette mich aus dieser schweren Bedrängnis!" Da trat er ans Tor der Stadt und sah das viele Kriegsvolk ringsumher; sie sahn ihn aber nicht. Der Kaiser Tsao hatte geboten: "Bringt Uns bald den Hüter des Schatzes, der Uns die drei Edelsteine entwenden wollte!" Und es nahte sich dem Ort die kaiserliche Truppe. Kämpfe breiteten sich über das ganze Land aus. Der Wald fraß an dem Tag mehr des Volkes als das Schwert fraß. Die Bäume schritten vorwärts im Kampf. Ping ritt auf seinem schwarzen Roß, begegnete der kaiserlichen Truppe; da floh er, von den Reitern rasch verfolgt. Er kam vor die Mauern Suizhongs, da rief er aus: "Mit deiner Hilfe kann ich über Mauern springen, Himmelsmutter!" Er erklomm die Mauer, sein Roß lief ihm davon, er kam über eine efeubewachsne Mauer, wollte auf der andern Seite wieder herunterspringen, blieb mit den Füßen im Efeu hängen und fiel und hing den Kopf zuunterst an der Mauer. Da sah es einer der Bewohner, der meldete dies dem Haupt der kaiserlichen Truppe; der kam rasch herbeigeritten, in der Hand den Speer, den stieß er Ping in das getroffne Herz, als er noch lebend an der Mauer hing. Tau Ti sprach: "Einst wird der Gottmensch kommen und wird sich selbst für uns dem Tode hingeben! Hingebungsvoll mit Leidenschaft, so ist das Himmelswesen." So saß nun Tau Ti im Garten, wo die beiden Bäume standen: der Ginko und die Magnolie. Wie sang doch die Mauerschwalbe vom Dach die Botschaft? Vom Gesimse rief sie: "Schau,, ein Bote kommt, ein Mann allein." Der Knabe sprach: "Dies ist ein guter Bote." Der Bote sagte: "Zehntausendfacher Friede!" und senkte die Stirn zu Boden, denn er sah sofort der Zukunft Himmelssohn in Tau Ti. Da fragte Tau Ti: "Wie geht es meinem Bruder Ping?" Denn er sah im Boten gleich den Boten des Kaisers Tsao, das erkannte er am Tigersiegel, das als Kaiserszeichen galt und an Boten ausgegeben wurde. Und der Chinese vom Volk der Han sprach so: "Es müsste den Feinden meines Herrn, des Kaisers Tsao, so ergehen, wie es dem jungen Menschen Ping ergangen ist: Nun ist der Staub, nun ist das Grab sein Erbe. So solls mit allen jenen gehen, die schütteln den Speer, und allen Völkern gehen, die das Haupthaar schütteln über dich!" Tau Ti war wie der Erde Beben. Er ging hinauf in sein Zimmer und verschloß die Tür, verloren in Gedanken und versunken in seinen Schmerz, ins Weh wie in einen See. "O Ping, o Ping, mein Bruder, o mein Bruder Ping! Wollte die Mutter Natur, ich wäre für dich dahingegangen, wie du nun gestorben, ach wäre ich an deiner Stelle tot!" Da hörte seine Oma Pau sein Schluchzen. Sie dachte sich: "Schau, der Himmelssohn weint und trägt ein schweres Leid um seinen Bruder." An diesem Tag war eine Trauer, als sich Tau Ti um seinen Bruder grämte, sein Antlitz war verhüllt, er schrie laut: "Ach Ping, mein Bruder Ping, ach Ping, mein Bruder!"



TAM UND Y-MA


Im Mai sang Tau Ti das Wort des Dichters mit dem Namen Morgenstern, da sang Tau Ti: "Wir sind noch nicht durchs Jadetor gezogen!" Wenn auf der andern Seite des Hauses ein Wagen zu hören war, dachte er: "Ein Bote ist gekommen!" Und es kam ein junger Bote, der brachte einen Brief an Tam. Der schöne Tam brach eilig das Siegel mit den langen schlanken Fingern auf. Ein Phönix stieg mit Rosenfedern auf. Es hatte Tam ja eine Heißgeliebte: Y-Ma hieß sie, Lotos von Hindostan. Sie schrieb: "O Lotos mein! O Schwan mein! Siehe, Mondstein und Perlmuttglimmer fand ich am Himalaya. So wie ein Spiegelrahmen des Mondes Aura, Wolken wie die Insel der Kindheit. Ich hab ein Kind in Hindostan. Ich habe Gemüse angepflanzt, das Kind zu nähren. Du kennst doch den Satz: Nährende Mutter ist Tao. Himmlische Schrift, dich wollt ich lesen können, wie dich der Gelbe Kaiser lesen konnte. Wie wird man alt wie Peng Dsu Djing, der wurde zweihundertneunundneunzig Jahre alt? Ob wohl ein Seidenwurm im Maulbeerfeigenbaum daran denkt, daß mir ein seidenes Gewand gewoben wird aus seines Cocons Fäden? Der Vorhof zu den allerheiligsten Gemächern, der ist dort zu sehen, wo das hohe Himmelstor aufgetan ist; wo aus den Wolken Regen sich ergießt, wo sich ein Regenbogen schwingt als Brücke. Erinnerst du dich noch an unsre Tochter Ho Hua, die Lotosblüte? Sie ist wie eine Verzweiflungsflamme, wenn sie ausbricht: 'O je! Der Ozean ist heimgegangen!' Die Lenden des Gemüts sind gegürtet, so wie das Reich der Mitte gegürtet von der großen Mauer. Da ist viel in mir, das führt zu Meditation und Stille, wenn die Ruhe einkehrt und die Bewegung schläft im Rücken. Es gibt ein Zeichen, daß ein Gottmensch kommt, der wird dann zu den Toten niedersteigen. Gefunden hab ich am Himalaya den schönsten Jaspisstein. Wer hat zum Himmelstor, zum Tian Men die Schlüssel? Ich wandle an dem Kauriala-See und sehe die Lotosblüten auf den Wellen. Allmächtiger du meiner armen Seele, ich bin wie eine Bettlerin um Liebe! O welche wunderbare Morgenröte nach dieser langen Nacht der Sternenschauer! Scheidende reden trunken. Deine Y-Ma."


SU-NGO UND LI-LI


"Wie weiß ich, daß die Liebe zum Leben nicht eine Täuschung ist? Wie weiß ich, daß ich, wenn ich den grimmigen Tod hasse, nicht ein Mensch bin, der seine Heimat in der Kindheit ließ und dann den Weg zurück vergessen hat? Der echte Mensch, der findet wohl Gefallen an seinem Tod." Tau Ti vernahm das Klingeln der Kettchen an den feinen Knöcheln Su-ngos, denn er saß einen Apfelwurf weit weg vom Tor. In einem Weidenkörbchen beim Magnolienbaume lag die kleine Li-Li, der Su-ngo Tochter, ach, der wunderschönen. Kam Su-ngo durch den Wasserperlenvorhang und kam dann durch das Tor ins Offene, war sie gewandet in zartgrüne Seide, die Ärmel hingen über ihre Hände. Tau Ti ging daraufhin ins Haus, wo er eine Mango für Su-ngo holte. Sie faltete die Hände, neigte sich, bedankte sich mit ihrer süßen Stimme, verzücktem Lächeln um die süßen Lippen. Und Li-Li wimmerte im Weidenkorb. Da zog Tau Ti die kleine Jadeflöte hervor und spielte Li-Li eine Weise, die Weise: Ich bin stille zu dem Fels. Bekanntlich war das alte Liedgut Ausdruck des Geistes, wer die Ohren auftat, sah den Geist, wie er hineingestellt war in das Wandelwesen der Persönlichkeit.


LUOYANG


Tau Ti nahm sich eine Eselin und reiste allein nach Luoyang. Die Bäume streuten ihre Blüten, die Maulbeerfeigenbäume und die Wu-tung-Bäume, die Phönixbäume und Papyrusbäume. So kam er schließlich in Luoyang an. Schon im grauen Altertum waren hier Siedlungen, wie die Funde bewiesen. Dreitausend Jahre vor unsrer Zeit ward eine Stele hier errichtet, diese: "Zu meiner Göttin bin ich stille, dem Fels." Neun Dynastien hatten zur Hauptstadt die kaiserliche Hauptstadt Luoyang. Gigantisch war die Bücherei. Da war das I Ging, das Tao-Te-King, das Buch vom wahren südlichen Blütenland, die Frühlings- und Herbstannalen, die einst Kung Fu Tse zusammenstellte, der Kommentar zu den Annalen, das Dso Tschuan, das Buch der Riten, welches von Seide und Edelsteinen spricht, Urkundenbücher, das Kräuterbuch Pan Tsao, Historische Aufzeichnungen von Sima Qian, dem Großhistoriographen der Han, die Reichsgespräche, die drei Klassiker der Poesie (Die Neunzehn Ehrwürdigen Gedichte, die Dreihundert Oden und die Elegien von Tschu), die Sammlung der fünfzigtausend Gedichte von zweiundzwanzigtausend Dichtern. Ein selbstgemachtes Buch besaß noch Tau Ti, mit Schriften der geheimen Weisheit. Pfingstrosenstadt wird Luoyang genannt. Den Wandelgang mit der Balustrade ging Tau Ti. Die beiden Dichter Du Fu und Li Tai-Bo werden hier einst leben. Im Schatten Xians wird noch Luoyang lange Zeit erblühn, die Pfingstrosenstadt. Gerechtigkeit und Gnade und Erbarmen für immer walten über Luoyang. Tau Ti ließ sich am Gelben Strome nieder, Pfingstrosen dufteten um sein Gemüt, im Wasserspiegel sah er seinen Bruder Fu. Der ging in Luoyang und ward umschwebt von einem Falter, er wandelte im Kiefernwäldchen nah der Bücherei. Dort sah er eine alte Dame sitzen, das schneeweiße Haar zum Knoten aufgebunden, mit einem goldnen Haarpfeil in den Haaren. In ihr erkannte er die edle Mutter des Kaisers Tsao. Voller Ehrfurcht war ihm seine Seele da. Er wollte sie nicht stören in der Stille. Stille war sein Schlüsselwort. So ging er in den Hain, wo der Bambus rauschte. Dort ging auch der Kaiser oft und las in seinen Lieblingsdichtern. Da er die Poesie sehr liebte, die sein Gemüt besänftigte, erlaubte er den jungen Dichtern im Reich der Mitte, in seiner näheren Umgebung sich zu ergehen, in der Stille zu singen. Nun sah Fu den Kaiser Tsao kommen, ihm folgten seine beiden Kinder, Mei-Shan und Gen. Deren Worte wurden vom Wind getragen an die Ohren des lauschenden Fu: "O meine liebe Schwester Mei-Shan, ich werde dich bald verlassen", sprach der Bruder Gen. "Mein lieber Bruder Gen, warum denn müssen wir uns trennen?" sprach die Schwester Mei-Shan. Darauf sprach Gen: "Von meinem Vater erhielt ich den Auftrag, westwärts zu reiten. Mit einer kaiserlichen Truppe werde ich die Seidenstraße durchs Jadetor ziehn, durchs Land der Perser in das Land von Juda."


DER KAMPF UM DEN SCHOHAM-STEIN


Gen sprach: "In Juda war ich einst mit einem Kundschafter, meinem Jugendfreund Shih, dem Stein. Wir ritten, Fels und Stein, in Juda. Ich wandelte mit meiner lieblichen Selima dort am Berge Sina. Der Berg erhebt sich zum Wolkenmeer. Droben steht wie eine weiße Tafel aus Jade eine Schrift, die berichtet von einem erlesnen Stein: Schoham. Ich ritt mit Selima an den Tigris, dort sollte der Stein Schoham zu finden sein. Wohl tausendmal vernahm ich, dieser Stein wäre ein Diamant; doch es war anders. Wir kamen damals nicht über den Tigris, wir hätten übers Wasser wandeln müssen. Und so bekamen wir den Edelstein nicht, denn der Schoham war am andern Ufer. Nun gut, ich will mein Schwert gürten, ich will ausziehn, den Stein zu finden, meine Schwester. O meine Schwester Mei-Shan, ich sehe voraus: Ich werde wie ein Fels im Kampf stehn mit meinem lieben Freunde Shih, dem Stein. Die Perser werden sich zum Kampfe sammeln, die Hufe ihrer Rosse werden den Staub schlagen, doch zehntausend Li fern der lieben Heimat wird des Kaisers Heer in den Kampf ziehn. Wir lagern uns am Tigris. Wir wollen diesen Stein Schoham finden. Die Gnadengöttin vom Himmel möge mit uns sein! Die Allerhöchste ist mit uns! So werden wir errettet aus der Hand der Feinde, die sich drängend um uns lagern. Doch werden wir in unsre Hände klatschen! Die Perser ziehen wieder in den Kampf, und ihre vollblütigen Rosse schäumen, und unsre kaiserliche Truppe wird geschlagen. Viele können in die verborgnen Zelte fliehn. Bedeutend ist die Niederlage. Dreiunddreißigtausend aus unseres Kaisers Truppe werden fallen, wie man hohe Kampferbäume fällt. Da kam unser junger Bruder Renmin, zerriß sein Kleid und warf sich in den Staub! Und wieder überkamen uns die Perser und raubten uns den Stein Schoham und brachten ihn in ihre Hauptstadt Susa, dort stellten sie den Edelstein neben die Statue ihrer lilienschönen Beschützerin Susanna. Aber als wir durch den Ratschlag unserer Göttin nach Susa kamen, sahen wir die Statue der Lilie Susanna auf dem Boden im Staub liegen vor dem Stein Schoham. Und wieder wurden wir zurückgeschlagen, und wieder überkamen wir die Perser, da sahen wir das Bildnis der Susanna enthauptet liegen vor dem Stein Schoham. Bei dem verschütteten Gewässer im Tempel lagen die getrennten Hände Susannas, und der Rumpf der Statue lag allein dort im Raum. Die Hand der Allerhöchsten lag schwer auf den Persern, blaue Beulen schlug sie ihnen auf ihre Zehen. Wir führten nun den Stein Shoham mit uns und ritten wieder heimwärts ins Reich der Mitte, um dem Kaiser Tsao den Stein zu bringen. Auf dem Weg entlang der Seidenstraße kamen wir über Samarkand, wo unsre Truppe die Skythen schlug, ins Land Kirgisien. Da rief Kirgisien: 'O weh, die Han! Sie kommen mit dem Stein Schoham ins Land, damit sie mich ermorden! O mein Haar wird schwimmen im Blut, mein Herz wird springen, wie ein Stein-Ei im Meere aufbricht!' So redete die wilde Landesseele. O meine Schwester Mei-Shan, höre, wir bringen den Stein Schoham nach China und werden ihn mit anderem Namen nennen, wir bringen ihn zu unserm großen Kaiser. Wir ritten von Kirgisien vorbei an Alma Ata zum See Issyk-Kul, wo wir in Unschuld unsre Hände wuschen und die Lenden des Gemütes gürteten, zogen dann die Tarimhe entlang, die strömt die weite Tarimsenke durch, gelegen über der Taklamakan-Wüste. Da sahen wir den wunderbaren See Miran, in den die Tarimhe mündet. Ein Phönix schwebte über den Wassern. Von dort begaben wir uns zum Berg Yadradagze Shan. Von dort nimmt der Gelbe Strom den langen Lauf. Ich stand am Quell des Gelben Stromes, fünftausend Meter überm Meeresspiegel. Der Gelbe Strom wird bald in zwei verbundne Seen strömen und sich dort sammeln. Mit dem Gelben Strome zogen wir den langen Weg vom Berg hinab zum Meer. Die Mitte im schönen Reich der Mitte erkannten wir: da zogen wir durch Xian. Die Treue ist der Tochter Xian sicher, ja meine Treue ist der Grabstadt sicher, so gebet nun der Allerhöchsten, sagt eine Stele, was der Allerhöchsten; dem Kaiser aber gebt, was seines ist! Dann kamen wir von Xian zur Stadt unsres Kaisers Tsao, Luoyang. O meine Schwester Mei-Shan, ich muß scheiden, nun das Gesagte zu vollbringen. Im Ewigen ist alles schon vollbracht." Gen sprachs. Die Schwester Mei-Shan ging fort.


DIE DICHTERIN SARL


Die Unschuld hat im Himmel einen Freund! Tau Ti schaute in des Gelben Stromes Wasser, das war ein Spiegel für ein fernes Geschehen. Es war am Meere. Raum und Zeit waren ein Punkt, Tau Ti sah in den Punkt hinein, wie einer anschaut ein Kerzenflämmchen im Spiegel und darüber meditiert. Das war nun seine Vision, die er aufnahm mit dem Gemüt aus junger Trauer und junger Tugend: Seine beiden Brüder sah er reiten, Sung und Meng, sie ritten entlang der Küste des Gelben Meeres zur Halbinsel Shantung. Dort wird dereinst der Himmelsmeister mit dem gelben Turban den Samen seiner stillen Lehre säen. Meng ritt auf einem roten Roß und Sung auf einem weißen Roß, so flogen sie dahin. Am Saum des Meeres hielten sie, ganz nah dem Ort Penglai, dort sahen sie den grünen Tang am Ufersteine hängen. Meng sprach: "Wonach mir nun der Sinn steht, das sind Betten, Schüsseln, irdene Gefäße, Weizen, Mehl, Mandeln, Bohnen, Linsen, Erbsen und Honig." Sung sprach: "Wir wollen zur Dichterin Sarl reiten. Ein todeswürdiges Vergehen ist ess, mit einer alten Zauberin zu reden. Sie weilt ja nah im Ort mit ihrem Fischersohn An-To." Sung sprach: „Das soll mir nur recht sein, wir wollen reiten in den Ort Penglai. Du weißt, die Insel Peng-lai-shan ist die Insel der Seligen, der unsterblichen Geister; danach ist dieser Ort benannt. Das Eiland soll im gelben Ostmeer liegen. Hier von der Küste von Shantung wollte ich mich oft schon auf die Reise machen zur sagenhaften Insel Peng-lai-shan." Die Dichterin Sarl stammte väterlicherseits von einem Kirgisen ab, sie hatte eine Zeit studiert in Alma Ata, wo Tao, der Schöpfung Mutter, sie genährt mit dem Wort. In der Luft der Liebe dachte sie an die Mutter, die begraben lag beim schönen Kloster Sera Sela Si. Da sprach Sarl zu Sung: "Wir wollen uns tausend gelehrte Reden um die Ohren schlagen." Da sprach Sung zu Sarl: "Wir wollen uns zehntausend liebliche Lieder singen mit der Schönheit der Stimme und die Leiersaiten schlagen." Vorm Fenster hüpfte eine Siamkatze durchs Beet von Thymian und Petersilie. Sie tranken vom Jasmintee und besahen die Porzellanmimosen, die die schöne Sarl sammelte. "Mir", sagte Sarl, "mir steht der Sinn danach, den heiligen Berg Taishan heute zu besteigen." Der Stein schläft in dem morgenroten Ostwald. "Der Berg Taishan ist Ostberg auch genannt, einer der fünf verehrten Berge Chinas", antwortete darauf der junge Sung. Und Sarl zog ihren neuen Mantel an, genäht von vielen Vliesen, darunter das Vlies eines purpurroten Füchsleins. Dann gingen sie ins Offne. Beide waren zu zweit alleine auf dem Felde. Plötzlich nahm Sarl den neuen Mantel, riß ihn in zwölf Teile und sprach: "Nimm du neun Teile zu dir! Bezeichnen sollen sie die Königreiche im Kaiserreich, nimm du dir an dein Herz Xian!" Sie gingen nun in Richtung Ostberg.


AUF DEM HEILIGEN OSTBERG


Einer der fünf verehrten Berge ist der Ostberg; seit dreitausend Jahren kommen die Kaiser hierher, um Opfer darzubringen. Entworfen wie mit Pinselstrichen eines fähigen Meisters in der Höhe und Breite, stellte sich der Berg in der Landschaft vorm Aug der Seele dar. Ayaya, wie schön ist mit den vielen Wasserfällen und den Tempeln und Pavillons das wolkenverschleierte Gebirge. Wie ein Zeuge in einem Meer von Schweigen steht der Ostberg, bezeugt die Dauer dieses Landes der Berge und Meere: China. Es war ein warmer lächelnder Tag im Wonnemonat Mai. "Wer einst im Altertum gut war als Meister, der war sublim, geheimnisvoll und weise", sprach Lao Tse. Die Menschen unter ihnen, die Menschen unter Sarl und Sung, bewegten den feinen Seidenfächer unablässig; doch in der Höhe spielte eine kühle Brise in den Zweigen der Zypressen. Sie kamen nun zu einer Plattform, wo ein Pavillon auf rotem Fundament von Pinienholz befestigt stand mit elfenbeinernen Säulen, darüber war ein grüngedecktes Ziegeldach und über dem Pavillon das Azurmeer des Himmels. Phantastisch bunt geschwungene Gesimse im Rücken Sungs. Und um den Pavillon war eine lange Mauer, mit Efeuranken schön behangen bis zum Grund, und oben war die Mauer mit fein ziseliertem Perlmuttglimmer glänzend geschmückt. Das Mauerwerk war immer wieder mit kleinen Toren offen für den Wind. Die offnen Tore waren so wie herzgeformte Blätter oder wie das Fehlen kleiner herzgeformter Steine. Tau auf den Lippen, redete Sung: "Wie schön du bist, Sarl, wie schön du bist, dein langes Haar ist schön wie schwarze Seide." Es kamen Sung und Sarl aus einem Tempel und standen auf dem Berg, da sahen sie mit einemmal einen Knaben vor sich von neun Jahren. Denn Tau Tis Geistleib war vom Geist des Himmels hingetragen worden. Doch sie erkannten ihn nicht. Durch die Lüfte der Höhe wurden Sung und Sarl mit einemmal müde, sie sanken auf das Steinbett, so wie der Tau des Morgens niedersinkt. Tau Ti in seinem Geistleib stieg weiter auf. Wie schlummertrunken war ihm seine Seele, da sprach er und wußte nicht, was er da redete: "Bald wird ein Mensch das Diesseits überwinden. Ich winke mit dem Wolkenstab dem Himmel, dem Morgenmeere überm Himmel zu." So sprach Tau Ti in seiner Träumerseele, nun redete er so zur Felsenwand: "Musik und Speisen locken Wanderer an, doch niemand bleibt beim Wort von Tao stehn." Südöstlich schaute Tau Ti den Gipfel der schönen Aussicht auf die Morgenröte. Dann stieg der schöne Knabe zum Gipfel der Allerhöchsten, da sang Tau Ti: "O Mutter im Himmel! Tao! Allerhöchste! Die heiligen Gebirge sind von dir gegründet, die Tore sind dir lieb. Wie ist mir? Seh ich offen doch den Himmel, und mir erscheint die reine Herrlichkeit! Ja, meine Meisterin erscheint mir, die Liebe! Die Allerhöchste erscheint mir! Sie kommt auf dem Wolkenboot des Himmels." Nun ging der Geistleib des Tau Ti zurück zu Sung und Sarl und weckte beide auf: "Könnt ihr nicht Eine Stunde mit mir wachen?"


MOSÜ


Tau Ti erhob sich am Gelben Strom aus einer tiefen Meditation, ritt auf seiner Eselin nach Kaifeng und spielte seine neue Knochenflöte. Dann begann er selbst zu singen, es war als gäbe der gute Geist die Worte ihm ein, dieweil er über Zwillingshügel und blümchenübersäte Wiesen ritt, da sang er am Gelben Strom ein Lied. Bald zog er ein in Kaifeng, wo dem Tor zur Rechten ein Pfirsichbaum stand, zur Linken ein Pflaumenbaum, beide in Blüte stehend. Da begann Tau Ti zu reden: "Eine Stadt wird sein in aller Schönheit, Jadepfade führen kreuz und quer hindurch in weiser Ordnung, Jaspis-Mauern umgürten fest die Stadt, ein Dutzend Türme stehn an den Seiten aufrecht, dreiunddreißig Stadtteile gibt es dort, zu hören ist das Tönen von zehntausend Saitenspielen." So zog er auf dem Esel durch das Tor in Kaifeng ein. Nun kam er zu dem Hause von Mosü, an der weißen Friedensbrücke gelegen. Mosü war ein Freund seines Vaters. Mosü saß in der Eingangshalle mit einer Rolle in der Hand, darauf stand geschrieben: "Seid so weise wie die Schlangen, wahrhaft wie die Tauben." Tau Ti hatte ein selbstgemachtes Buch in seiner Tasche mit den Orakeln aus dem Altertum und den Orakeln seines jungen Meisters. Dieses Buch presste er in Angst ans Herz und bettete darauf sein Haupt. Tau Ti trat ins Haus, er verneigte sich anstandsvoll vorm alten Mosü, der mit Freundlichkeit Tau Ti entgegentrat und sprach: "Ich habe eine Überraschung für dich, mein lieber Sohn Tau Ti, komm mit ins Freie." Sie gingen in den Garten. Der Weg war gesäumt von Kiefern und Zypressen. Neben einem runden Zierteich, in dem Goldfische schwammen, lag ein großer leuchtender Wunderstein, das Blumenherz genannt. In malerischer Pose standen zwischen Bäumen und Gebüschen halb verborgen zierlichschöne Pavillons. In des Gartens Mitte ragte auf der herrlichschöne Pavillon des Friedens mit der zinnoberroten Balustrade und silbernem Gesims, überm Dach ein zweites Dach schön hinaufgeschwungen. Zu Seiten waren gewundene Arkaden, dahinter lag das Wohnhaus mit den inneren Gemächern. Eine mächtige Veranda bis in den Innenhof hinein. Dies alles sahen Mosü und Tau Ti, die in den weißen Pavillon des Friedens traten. Da, und das war die Überraschung, saßen Su-ngo und ihre kleine Tochter Li-Li. "Tau Ti!" sprach Su-ngo und umarmte ihn. "Schau, ich las soeben über den Erfinder des Papiers. Cai Lun war nämlich Eunuch am Hof des Kaisers. Eines Tages dachte Cai Lun daran, Baumrinde, Hanf und Fischernetze an des Bambus Stelle als Material zum Schreiben zu benutzen. Er wurde hochgelobt für sein Talent. Er wurde aber später in Intrigen verwickelt zwischen seiner Kaiserin und seines Kaisers Großmutter, die für ihn entschiedene Folgen hatten: Denn Cai Lun ging in sein Haus und nahm ein Bad und kämmte sein Haar und tat sein reinlichstes Gewand an und leerte einen tiefen Kelch mit Gift." So sagte Su-ngo im Pavillon des Friedens, so sprach die Schöne zu Tau Ti. Da fragte er die hübsche Su-ngo, wie es der Familie ergangen sei. Es glich ihr Angesicht dem zarten Teint der Blüte eines Erdbeerbaums im Frühling; die Augen waren wie lichte Sterne, die durchs dunkle Nachtgefilde schimmern mit der grünen Welle von der Farbe der ersten Weidensprößlinge; herzförmig und kirschrot die Lippen; ihre Augenbrauen mondsichelschmal; die Grübchen reizend wie mit Purpur angehaucht. So schön und unvergleichlich war sie. Wohlgeruch war im Raum. Mosü saß still mit einer Pfeife im Pavillon, als Su-ngo anhob zum Flug, das Weißgänschen dies erzählte: "In Zorn und Grimm war ausgebrochen jüngst I-Se, denn Tam hatte den Respekt des Altertums übertreten (mehr will ich dazu nicht sagen), so daß I-Se Tam erschlagen wollte. Doch da kam in des Alters Schwäche unsre Oma Pau herein und rief: 'Tötest du den Tam, so töte mich zuerst!' Die Macht der Oma verlangte unbedingten Gehorsam, so daß sich der Vater und das Oberhaupt der Sippe ihr unterwerfen mußte. 'Geschehe dein Wille!' rief I-Se und warf sich auf den Boden, schlug mit seiner Stirn auf die harten Steine und bat um Vergebung. Großmutter wandte sich ab, sie schritt davon, ich begleitete sie mit Li-Li, und Tam ging ihr zur andern Seite, schließlich ging I-Se auch mit und folgte wie ein Knecht und bat die Oma um Vergebung." So sprach Su-ngo zu Tau Ti, sie sprachs im weißen Pavillon des Friedens. Tau Ti und Mosü, Su-ngo und Li-Li, sie setzten sich alle zusammen nieder zum Essen, setzten sich im Innenhof an einen runden Tisch. Da stand zur Seite ein leerer Stuhl. Tau Ti fragte Mosü, was dies doch für ein schöner Stuhl sei. "Nun", sprach Mosü, "ich bekam ihn einst geschenkt von meinem Meister, einst zum Tag I-Mau im zweiten Monat, jedes Jahr am Tag I-Mau begeh ich feierlich das Stuhlfest; ansonsten bleibt der Sitzplatz unbesetzt." Nun nahmen sie die Mahlzeit ein: Da war kleingeschnittner Fisch in delikater Fischsoße, Rinderbraten mit Ingwer gewürzt in Essigfleischmustunke, klebriger Reis, leckere Essigpflaumen. Mosü und Su-ngo tranken grünen Wein, Tau Ti und Li-Li tranken Birnensaft. Nun sprach Tau Ti, überschwemmt von Mitleid: "Draußen auf den Straßen sah ich Bettler, sie haben nicht genug Geld, um sich einen Hahn zu kaufen. Wir wollten doch den Armen geben." - "Die Bettler sind doch alle Tage in der Stadt", sprach Mosü, "aber ihr seid nur heute meine Gäste, da wollte ich doch zusehen, daß ihr alle satt werdet." Das kleine Kindlein Li-Li sabberte, da putzte Su-ngo ihr mit einem Tuch das Angesicht. Sie gingen bald schlafen. Vor dem Zubettegehen stand Tau Ti am Waschbecken vorm Spiegel, und dieweil er sich mit den schlanken Händen frisches Wasser ins Antlitz schöpfte, sang er dieses Lied: "Aus dem Munde der Säuglinge und Kinder hast du dir, Mutter im Himmel, Lob breitet. Denn wessen Finger Werk ist doch der Himmel, der Mond, die Sonne und die vielen Sterne? Ich denke an das schöne Menschenkind und denke an des Menschenkindes Kind. Ich wollt dem Menschenkind wohl Pfirsichblüten ins Haar tun, und dem Kindeskinde schenkte ich Glöckchen zum Spiel der Musik. Der Li-Li wollt ich eine Lilie sein, ich wollt sie nähren mit Litschi und Liedern." Da tat Tau Ti die Augen zu und sank in tiefen Schlaf, wie durchs Tor des Todes und über die Gelben Quellen ging er. Auch Mosü ging in sein Ohrenzimmer, da hing eine Rolle an der Wand mit diesen Zeichen: "Darum, so begürtet die Lenden eures Gemüts und seid nüchtern, setzt eure Hoffnung auf die Gnadengöttin, die sich euch wahrlich angeboten." Auch schwebte Li-Li schon in ihrem Traum, allein bettete sich Su-ngo nackt. Und Mosü kam im Traume ein Gesicht: Da schien ihm eine Schönheit durch ein Tor zu kommen, das geschlossen war. Ein Leib wie transparente Jade, unaussprechlich reich an Schönheit, mit aufgebundnen Haaren. Ein Schauer überkam den alten Mosü, "Ich scheide", redete die Schöne und entschwand. Tau Ti, mit dem Haupt auf seinem Geheimen Buch, Tau Ti träumte dies: Die Allerhöchste sprach: "Laß ihren Tisch zu einem Fangnetz werden, zur Berückung. So die Wurzel aber gut ist, so wird es gut stehen mit den Früchten auch." Im Traum schwebte mit dem Geist Tau Ti und sah das Gelbe Meer, da schaute er die Allerhöchste, wie in weiße Seide gewandet, so wandelte sie über dem Meer, die Wellen umspielten ihre Füße. Sie hielt ein schönes Baby auf dem Arm, sie sprach: "O mein liebes Kind Tau Ti, dies Kind wird einst der Sohn deiner Seele sein, du sollst ihn Erbprinz nennen. Der Erbprinz wird nach dir die Verbotene Stadt erbauen." Dann wandelte sich die Göttin des Himmels und setzte sich mit überkreuzten Beinen, das Meer war da ihr Sitz, die schönen Haare von Glanz erfüllt wie von Salböl. So kam sie mit den Wellen an das Land, dort trat sie auf den Uferstein und hielt in ihrer Rechten einen Hirtenstab von Tung-Ölbaumholz, den stellte sie auf, befestigte ein schmales Brettchen quer daran von Maulbeerfeigenholz, darauf stand geschrieben: "Die Allerhöchste ist die Gottheit Chinas!" Dort bei dem Kreuz stand sie nun, umschimmert von Morgenrot, die Weißgewandete ging wieder übers Gelbe Meer davon.


DAS MÄDCHEN MAHANAJIM


Tau Ti ging durch Kaifeng, wo die Kinder um Gaben bettelten, Fremdlinge aus dem fernen Juda. Da saß ein Mädchen am Straßenrand und hielt in ihrer Hand ein selbstgemachtes Saitenspiel. Ihr Antlitz war weiß wie Bergschnee in der Mittagssonne. Tau Ti sprach sie an: "Was hast du für ein wundersames Instrument in den Händen?" Das Mädchen sprach: "Ich hab es selbst gebaut. Siehe, der Körper ist der Panzer einer Schildkröte, das Griffbrett ist von Holz, die Saiten sind von Fischdarm. Aber ich hab auch noch andere Instrumente bei mir zuhause." - "Wie heißt du und wo bist du zuhause?" - "Ich heiße Mahanajim und wohne in Kaifeng, geboren bin ich im fernen Juda." - "Mahanajim, das ist ein schöner Name." - "Ich habe einst ein Instrument gemacht, da höhlte ich mit dem Beil einen Baum aus, bespannte die Öffnung mit einer Schweinsblase, daß man es auch als Trommel nutzen konnte, bespannte das Holz mit sieben Saiten, daß man es auch als Gitarre nutzen konnte. Dann hab ich noch ein anderes Instrument: Ich fand einst einen Totenschädel nachts im Mondlicht, da hatte eine Spinne einen Faden über den Schädel zum Grabrand hin gezogen; nun wehte leicht der Wind, und von der linden Luft bewegt, tönte der Spinnenfaden, von dem Schädel ward dann der Ton verstärkt; so hörte ich ein Singen der Natur. Ich nahm den Schädel mit mir, ging dann mit Pfeil und Bogen und schoß eine Mauerschwalbe aus den Lüften; ich machte aus dem Schwalbendarm die Saiten." So sprach Mahanajim. Tau Ti sprach: "Mahanajim, du streichst sehr schön die Saiten. Sag mal, was gibt es denn für Instrumente in Juda?" Und sie sprach: "Da gibt es die Harfe, das Saitenspiel mit zehn Saiten und das Saitenspiel mit acht Saiten und die Gittith und die Flöte." Sprach Tau Ti: "Im Reich der Mitte gibt es an Saitenspielen die alte Se, das edle Saitenspiel, die Zengh, die nur ein Meister spielen kann, die Chin, auf der die Tao-Jünger spielen, die Pipa, eine Art Chinesenleier. Dann gibt es auch die Jadeflöte und die Knochenflöte und die Bambusflöte. Dann gibt es auch das Glockenspiel aus Bronze, den Klangstein, den Musikstein (und es sprach Kung Fu Tse: Der Meister des Musiksteins, Siang, ging vondannen übers weite Gelbe Meer)." Tau Ti sprach zu Mahanajim und sprach: "Wieviel wäre noch zu sagen, doch ich sehe, Mosü, Su-ngo und Li-Li drängen, denn sie wollen weiter durch Kaifeng spazieren. Aber sage mir noch rasch: Bleibst du in China oder mußt du fort?" - "Ich bleibe hier, ich weiß auch nicht, warum ich einst geboren worden in der Ferne." - "Dann können wir uns einmal wiedersehn." So sprach Tau Ti gefühlvoll und ging fort.


VISION DES GÖTTLICHEN THRONES


Tau Ti schied von Kaifeng, zog am Gelben Strom entlang, dem Huanghe, dann am Kaiserkanal hinauf, die Ebene des Ostens hindurch. Und wo der Gelbe Strom den Kaiserkanal trifft, mußte er seine gelbe Mütze festhalten, denn ein Sturm kam auf. Da war es um ihn wie Schwingenrauschen, eine Wolke kam daher, ein Feuer, und Glanz und Schimmer war es ringsumher, und mitten im Feuer wars wie Messing. Da erschien ihm eine Himmlische! Sie hatte ihre Hände in den langen Ärmeln verborgen. Da schien es ihm auf einmal, als ob sie vier Gesichter hätte, über dem Haupt wars einer Kerzenflamme gleich. Sie kam auf einem großen Himmelswagen, die Räder waren von Türkis und über dem Wagen war ein kristallener Baldachin. Und wenn sie sich bewegte, wars wie Rauschen mächtiger Wasser, wie des Gelben Meeres Wasser. Sie wies Tau Ti einen funkelnden Sternsaphir über dem lichten Haupt, der Sternsaphir war wie ein Thron, worauf ein Wesen saß, und das war von den Hüften aufwärts wie Kupfer. Und zu Tau Ti sprach das Wesen: "Tu deinen Mund auf, iß, was ich dir gebe." Da reichte das Wesen ihm ein Papier. Das Wesen sprach: "Mein Kind, du sollst dies Papier verschlingen." Er tats, in seinem Mund wars wie ein Pfirsich. Das Wesen sprach: "Ich habe deine Stirn gemacht wie von Diamant. Was ich nun rede, das nimm mit deinem Herzen auf." Da hob die Göttin Tau Ti empor, unter ihm war lärmendes Getöse, da war ein Rauschen, da war ein Klingen, als die Räder rollten. Die Göttin ließ ihn wieder auf die Erde und zog davon auf ihrem Himmelswagen.


DER SELIGE TOA


Tau Ti hörte von einem Seligen mit Namen Toa, der ein Jüngling auf Erden war, in der Ruhestätte Xian. Da sah er plötzlich eine Himmlische, die sanft an ihm vorüberging, er sah ihr mit Staunen nach. Nun hatte Toa Klage geklagt der Göttin, denn er fand sie nicht in Xian, doch die göttlichen Gewänder lagen noch da. „O wenn ich ihren Tod in Xian stürbe!“ rief Toa, und sah sich um und sah im Tal Scharen von Seligen, mit Pfirsichblüten in den Haaren, vom Strom der Himmelsharmonie dahingerissen. Toa wandelte hinab im wallenden Gang, im Tal von Xian zu singen seine Tränen. Und verwundert empfand er seine Seele schwebend. Lange nicht, da sah er seine Heimat China leuchten, wie man den Morgenstern am Himmel sieht, er sah und staunte. Eine Himmlische mit Namen Moa führte seine Seele hinan, da sagte Toa: „Himmlische, wohin entführst du mich?“ Die Himmlische schwieg das erste Mal. „Warum hab ich geweint?“ sprach Toa. Und die Himmlische schwieg das zweite Mal. „Hilf mir, ich sinke!“ rief Toa wiederum. Die Himmlische schwieg das dritte Mal. Wie Purpurglut auf ihren Wangen, sie wurde bleicher als Schnee. Zusammen in der Stille schwammen sie hin auf einer Wolke mit den Schwingen des Windes. Eben sahen sie die Erde, von ferne zwar noch, aber offne Gräber. Sprach Toa: „Das ist Xian, das Tal des Todes!“ Sprach Moa: „Da steht eine Stele mit den Zeichen: Ach der Schlachtstaub verdunkelte die Wolken und die Meere. Gras und Baum von Todeshauch geschüttelt. Ihren Glanz verloren die Gestirne, jäh verborgen der Mond von einer schwarzen Wolke. Weiße Gebeine wurden mächtige Gebirge.“ Sprach Toa: „Wie wird mir? Ich seh es glänzen, ich meine, ich sehe gar die Allerhöchste!“ Sprach Moa: „Ja, du siehst die Allerhöchste.“ Sprach Toa: „Führst du mich zu ihr?“ Sprach Moa: „Bald! Zu der Erde nieder kommen die Seligen vom Himmelreich.“ Und Toa kam mit den Geistern zum Himalaya, wo die Tibeter sich versammelt hatten, wo der höchste Gipfel Qomolongma-Feng (die Dritte Göttin) genannt ward. Am liebsten wäre Toa geflohen, doch Moa hielt ihn mit den warmen Armen. Und Toa stand vor der Allerhöchsten selbst! Da sammelten sich auch die Seligen.


SA-MUAN


Tau Ti ritt weiter nach Tongxian. Da wollte er Sa-Muan besuchen, der seines wunderbaren Vaters Freund war. "Zehntausend Wesen, sie erlangten durch das Eine ihr Dasein", stand auf dem Tor der Stadt und war ein Spruch von Lao Tse. Tau Ti trat ins Vordertor des Hauses Sa-Muans, ins Haus und grüßte dort: "Tsing an, der Friede sei mit diesem Haus!" Pin, der Sohn von Sa-Muan, hatte Tau Ti schon vorm Haus gesehen, da hatte er hoch in einem Maulbeerfeigenbaum gesessen, eilig sprang er vom Baum herunter wie ein Eichhörnchen. Bald saß Tau Ti mit Sa-Muan im Haus beim Mittagsmahl. Sa-Muan war eingesetzt im Dienst des Kaisers Tsao und arbeitete als Amtsrichter. Sa-Muan war umgürtet mit einer seidenen Schärpe, dazu hatte ihm seine Mutter von Purpurtuch ein Obergewand gemacht, darüber trug er einen Blauhuhnmantel. Jetzt aßen die drei zusammen, tranken etwas Tee und strichen sich mit einem feuchten Tuch übers Antlitz und über ihre Hände: Dann teilten sie den bergschneeweißen Reis aus, dazu gabs Schwalbennester, Haifischflossen und Seegurken. Dann gab es Fisch gefüllt mit Nudeln und Aal mit Chrysanthemen gefüllt und Hummer mit Bambussprossen gefüllt. Das Hühnerfleisch war zugeschnitten in Fischform und mit Garnelen schön geziert. Anschließend stand Sa-Muan auf und holte den trunkenmachenden Reiswein im Jadekrug. Da bekam Tau Ti auf einmal Nasenbluten. Sa-Muan gab ihm ein Seidentuch, in kaltes Wasser getaucht, daß es die Blutung ihm stille, die aufgeplatzte Ader sich schließe. Tau Ti ging in sein Gästezimmer und sah, ob alles in Ordnung war. Sein Messer steckte im Futteral, sein Buch war in der Tasche seines Mantels, die Knochenflöte in der Seidenschärpe. Nun trat Sa-Muan ins Zimmer ein und sagte: "Einmal wirst du lesen, was der Gelbe Kaiser aufgeschrieben über den Weg zu Unsterblichkeit und ewigem Leben in ewiger Jugend." Draußen war es dunkel, die Nacht war wie Samt, Sa-Muan entzündete eine Kerze im Zimmer, in einer Steinlaterne, die schimmerte im Raum wie Sternenlicht. Bald sank Sa-Muan in tiefen Traum und hörte eine ernste Stimme mahnen: "Wer mich ehrt, den will ich auch wieder ehren, wer mich verachtet, den will ich verachten. Es kommt die Zeit, daß ich den Arm abhaue und deines Vaters Arm abhaue, daß es keinen Alten mehr geben soll im Haus, das deines ist, niemand wird da alt. Nicht jeden will ich vom Hausaltar fortnehmen, daß nicht verschmachten werden deine Augen. Pin aber wird, dein eigner Sohn, wird sterben." Nun war Tau Ti in seinem Traum ein Falter, ein Trauermantel, der den Mai verkündet. Da flehte er zur allerhöchsten Mutter, da flehte er zur allerhöchsten Göttin im Himmel, die war ein Schild und Schirm ihm immer. Er hörte eine wunderbare Stimme: "O Tod, o Tod, ich werde dir ein Gift sein!" Das war ein Trost in seiner Klageseele. Und da sang seine Seele dieses Lied: "Vom Himmel sank ein lichter Tau herab. Ich werde allein sein in den öden Bergen. Von weither schimmern Steinlaternen sanft, ein Schiff schwimmt übers Gelbe Meer des Ostens. Zwei Bambushölzer werden überkreuz geschlagen am Platz, wo ich die Hände in Unschuld wusch. Ach mich erreicht kein Brief, kein Mensch erbarmt sich meiner armen Seele! Wo Mauerschwalben am Gesimse nisten, da steh ich einsam auf den Stab gestützt. Ich schaue hinauf zum Sternbild Rinderhirt und schaue auf zum Sternbild des Nördlichen Scheffels. Ich möchte dir ein Hirte sein, und du stelle nicht deine eigne Flamme unter den Scheffel. Der Milchpfad reicht bis an die Phönixstadt!" Mit einem bangen zitternden Gemüt wachte Tau Ti am frühen Morgen auf, da sprang schon Pin umher im roten Hemd. Da kam Sa-Muan hervor aus seinem Zimmer und sagte: "Ich bin krank an meiner Seele."


DER STEIN DES HIMMELS


Ich bin sehr weit geritten in den Südwesten Chinas, durch Tibet, die Stiegen des herrlichen Himalaya hinauf, bis zum hohen Grenzort Pedo Shankou. Dann kehrte ich übers Westgebirge Kunlun zurück, das mythische Gebirge, ritt südlich an der Tarim-Senke entlang, ritt am Gelben Strom entlang und kam nach Xian. Tochter Chinas, wie sie schlummert beim Schwanensee von Xian! Dort war ich, im Morgen schlummerte ein weißer Schwan. Ich wollte hören den Schwanensang! Denn nach dem Tode ist das Singen schön, die Ahnung naher Schönheit stimmt das Wesen wohl auf den hohen Ton der Seligkeit. Nun war ich im Gebiet von Xian und ritt in Richtung Luo-yang. Ich traf auf halber Fahrt den Kaiser Tsao mit seinen Truppen. Nun will ich berichten von dem Stein, der einst zwischen Euphrat und Tigris lag, Schoham genannt, wir nennen ihn den Stein des Himmels. Er ist das Eigentum des Kaisers Tsao. Es befragten die Mandarine die Lose, was denn mit dem Stein des Himmels geschehen solle und an welchen Ort der Stein des Himmels aufgestellt sein solle. Da lasen sie ein seltsames Wort: „Der Geist des Himmels wacht am Tor zum Norden.“ Die Mandarine verstanden das Wort nicht und fragten abermals, da lasen sie dies Wort: „Macht euch fünf goldene Beulen und fünf goldene Mäuse, diese richteten euer Land einst zugrunde.“ Die Mandarine verstanden auch dies Wort nicht und fragten abermals. Beim dritten Mal hieß das Losungswort so: „O Tochter Xian, o Tochter Xian! Segen gibt der Himmel!" Es wurde also ein Wagen angefertigt. Vom Weg zum verborgenen Geheimnis: Den Himmel nimm als Dach, die Erde als Wagen, so steigt man durch die Wolken, fliegt bis zur Milchstraße und erhebt sich dann auf eine hohe geistige Stufe vor dem Schöpferischen. Verstand und Geist frei von gemeinen Wünschen, gelangt man zu den himmlischen Gefilden; dort schreitet man, die Füße nicht benutzend, rasch aber ohne Eile leicht voran, bedient sich des Regens, den Weg zu ebnen, des Windes, um den Staub wegzublasen, den Blitz macht man sich zur Peitsche, den Donner zu Wagenrädern. So schwebt man empor, im Strom der Weißen Straße sich zu baden. Von dort schwebt man auf, passiert die Pforte, passiert die Pforte der Unsterblichkeit! So etwa war der Wagen unseres Kaisers, von Rossen nicht gezogen, sondern von Kühen, säugende Kühe zogen jenen Wagen, auf die kein Joch gekommen war bisher, und ihre Kälber blieben auf der Weide. So legten nun die Mandarine jenen Himmlischen Stein in eine Elfenbeintruhe und stellten sie auf den Wagen. In einem Kästchen ganz aus Ebenholz verwahrte man die andern Edelsteine des Kaisers, den Saphir von Asien, den Diamanten der Mandschurei und den Rubin des Großmoguls von Bengalen. Diese waren des Kaisers Steine als Zeichen freundschaftlicher Nachbarschaft zu seiner großen kaiserlichen Macht. Ich selbst habe eine Sammlung von Steinen aus China, unter anderem den tibetanischen Türkis. Es war die Truhe aber mit dem Stein des Himmels auf des Kaisers Wagen; die Kühe gingen geradewegs nach Xian und immer auf dem gleichen Pfade am Gelben Strom entlang, sie brüllten immer und wichen nicht zur Rechten noch zur Linken. Die Bauern in Xians weitem Umland waren alle fleißig bei der Mais-Ernte. Mit den Schaufeln warfen sie das Getreide in die Luft, die Körner von der Spreu zu trennen. Mit Besen fegten sie den Mais zusammen. Später werden die Frauen die Spreu von einzelnen Körnern entfernen, die dem Reinigungsprozeß entgangen; andere werden das Getreide auf einer Waage wiegen und dann tauschen gegen Soyabohnenquark. Es werden in den Höfen lange noch Maiskolben von der letzten Ernte liegen, sie werden aufgeknüpft an einem Hanftau an Bäumen hängen oder vom Gesims, gespeichert auf dem Dach des Bauernhauses. Da kam ein Knabe an und strich die Saiten der Chin und sang dies Lied: „O Gelber Strom, o Gelber Strom, o Vene Chinas du! O Stein des Himmels, o Pokal des Kaisers! Die Schlüssel zum Tor des Nordens gingen verloren? Wurden sie nicht überflutet von Schweigen und von Blut? O Hirten und Geschwister, ist erloschen die Laterne im kaiserlichen Park? Vom Felderfrieden des Wasserbüffels zu den schimmernden Gestaden ertönt mein Lied. O schwarzer Schwan von Xian! Schneegänse und Mandarin-Enten Xians! Mein Land, ich bin wie eine Purpurlanze Tochter China, dein Duft klimmt auf zu mir durch meine Wurzeln, ja bis zur Schale, die ich gänzlich leere, ja bis zum Wort, dem letzten Tropfen Tau. Wer ohne Schwert (so scharf wie des Geistes Zunge) bewahrt sein Blut? Der Tung-Ölbaum errichtete sich, der Mais erwuchs, die Gestalt entkörnte sich, der Mais verteilte sein Mehl, unter den Wurzeln sind bewahrt die Toten, sie ruhen in ewigem Frieden an der Gelben Quelle.“ So sang der Knabe und strich die Saiten seiner Chin, auf der die Tao-Jünger gerne spielen. Die Leute auf dem Felde sahn den Wagen des Kaisers mit der Truhe, sie riefen: "Barbaren schlagen Häupter ab, wir schlagen die Saitenspiele zum Empfang des Kaisers!" Die Mandarine aber, als der Wagen in Xian angekommen war, hoben die Truhe mit dem Stein des Himmels vom Wagen und stellten sie auf einen Felsen. Der große Felsen ist Zeuge ihrer Tat. Er ist dort immer noch zu sehen bis auf den heutigen Tag, beim Maisfeld der Tochter Xian, der Stein des Himmels auf dem Felsen der Tochter Xian. Da sprach der Kaiser zu den zwölf Mandarinen und zu den zweiundsiebzig Leibwächtern, und es sprach der Kaiser zum Volk: „Ach, wenn ihr euch doch nur von ganzem Herzen der herrlichen himmlischen Göttin zuwenden wolltet! Tut von euch ab die fremden Geister und richtet euer Herz nur auf die Eine Gottheit und dient ihr allein.“ Sie kamen alle zusammen in der Morgenfrühe und schöpften vom Gelben Strom Wasser, gossen es aus vor der großen Göttin. Dort bei dem Felsen sprach China, sprachen die Bauern des Maisfeldes zum Kaiser Tsao: „Laß nicht ab, für uns zu flehen zur Göttin, auf daß wir in ihrem Schutz sind und nicht geplagt werden von den Horden der fremden Teufel.“ Da entzündete der Kaiser Tsao ein Weihrauchopfer, schüttete Milch aus einem Kelch in Form einer Mohnkapsel zum Lobpreis der Herrlichkeit der himmlischen Göttin aus. An diesem Tag kamen aber die Mandschuren auf Rossen daher und schwangen ihre Schwerter über den Häuptern. Doch die Allerhöchste ließ es vom Himmel donnern, mächtig donnern mit großem Schall über die Mandschuren am selben Tage, so daß sie erschraken und flohen. Die kaiserlichen Truppen folgten den Mandschuren bis zur Großen Mauer und schlugen sie beim Ersten Tor auf Erden. Bei diesem Tor war auch der Hauptpaß der Mauer, nahe dem Gelben Meer. Dort bauten sie zum Angedenken an diesen herrlichen Tag eine Friedensfestung, sie wies vier turmbewehrte Tore auf mit achtundsechzig Scharten für die Schützen. Die Verlängerung der Zitadelle zum Gelben Meer ist berühmt unter dem Namen: Der Kopf des Alten Drachen, weil die Feinde zertreten worden sind an dieser Stelle. Sie ist der Ostschluß der Großen Mauer.


SHANG KIU UND SEINE NEBENFRAU BI


Tau Ti sprach: "Siehe, es ist ein weiser Mann mit Namen Shang Kiu hier in der Stadt, er ist ein Schüler des weisen Kung Fu Tse. Was jener sagt, trifft ein. So will ich zu ihm gehen, vielleicht sagt er mir den Weg voraus, den ich zu gehen habe in dieser Welt des Staubes." Da sprach Gen, der Fels, der Sohn des Kaisers: "Ich weiß vom Buch der Weissagung, ich habe selbst die Lose gezogen. Übrigens gibt es ein Zeichen, das Gen heißt so wie ich. Gen ist das Gebirge, der kleine Stein und der rechte Weg, das Schließen des Tores, das ewige Dauern." Die beiden gingen zusammen durch Tongxian, aber bald trennten sie sich wieder voneinander. Am Hofe war der Großhistoriograph der Han-Dynastie soeben angekommen, mit Namen Sima Qian, er schrieb die Annalen. Gen, der Kaisersohn, sollte ihn einführen in die Hallen des Kaisers, darum schied er von Tau Ti. Da ging Tau Ti zur Schule, da kamen einige Mädchen auf dem Weg vorbei. Tau Ti war ganz verzückt von ihrer Schönheit in ihren lenzlichen Gewändern, von den Angesichtern mit Pfirsichwangen, er meinte, auf dem Morgenstern zu sein. Andere kamen auch vorüber, die in Linnen gehüllt waren, mit einem Querholz über den Schultern, daran Wassereimer hingen, sie waren nämlich Wasser schöpfen gewesen. Diese sprachen zu ihm: "Willst du zum weisen Lehrer?" Man nannte nämlich Shang Kiu einen Weisen und einen wahren heiligen Menschen. Die Weisen und die Heiligen sind in ihrem Gemüt ähnlich, erfüllt von Stille, sie sind ähnlich den Eremiten und den seligen Unsterblichen. Tau Ti verstummte in seiner knabenhaften Schüchternheit vor demm Reiz der Anmut der jungen schönen Mädchen, er schlug die Augen nieder, dann sah er vorsichtig auf und meinte, anzuschauen die feuchte Welle unter feiner Wimper der Morgenröte, denn so war die Schönste der Mädchen. Und Tau Ti trat ins Haus des wahren heiligen Menschen Shang Kiu. Da erhob sich Shang Kiu, denn er hörte seine liebe Nebenfrau, die ging den Gang, ihr Schritt war wie mit kleinen Glöckchen, wie Gesang war ihre Stimme, sie verzauberte die Atmosphäre mit der lieblichen Anwesenheit. Sie war seine Nebenfrau, ihr Name war Bi, die Anmut. Er wollte ihr eben vom grünen Frühlingstee anbieten, als sie hereinkam in der Schönheit der Morgenröte, in ihrem wohlgeformten herrlichen Leib im lenzlichen Gewand. Sie flüsterte dem Shang Kiu ins Ohr, daß sie zur Zeit unpässlich sei, sie hatte nämlich ihre Yüa-djing, die monatliche Periode, in der der Brunnen ihres Blutes überquellte. Daraufhin entfernte sie sich mit blassem Angesicht in ihre Gemächer. Wieder hob Shang Kiu seine sanfte Stimme, er sprach zu Tau Ti, der in bewundernswürdiger Geduld dem Lehrer lauschte, wenn auch leicht verwirrt von der weiblich-verzauberten duftenden Atmosphäre. Da sprach Shang Kiu: "Höre: Sich opfern, um sich zu verwirklichen! sprach Lao Tse, darum: Empfangen, um ein Weiser zu sein! Dies nenn ich die Tore, dies nenne ich die Schlüssel zum Buch der Weissagung. Doch halte ein, o meine Zunge, denn unruhig ist mein Herz. Mein lieber Sohn, noch niemand hörte so geduldig zu wie du, daran hab ich mein Wohlgefallen. Doch meiner Nebenfrau Bi scheint es nicht gut zu gehen, so muß ich von meinem Plan abweichen. Ich kenne keinen, der die Weisheit und Tugend so sehr liebt wie ein schönes Mädchenantlitz." Soeben kam Bi aus ihrem Zimmer, ihr Angesicht war wie ein aufgeschlagenes unbeschriebenes Buch, so weiß wie Schnee, von einer Röte wie von Scham beflogen. Sie war noch jung, etwa fünfzehn Jahre jung. Sie trug die Haare aufgebunden und trug einen Haarpfeil vom Holz des Phönixbaums durch den Knoten, sie trug das weiße Kleid bis auf den Boden wallend und ein rotes seidenes Band geschlungen um die Taille. Sie hatte ein so feines Angesicht mit schmalen lichten Augen und mit einem lieblichen Lächeln um die Lippen, rot wie Himbeeren ihre Lippen, ihre Zähne waren Perlen oder aufgereihtes Elfenbein. Sie hielt den schlanken Körper aufrecht und bewegte sich graziös. Die Stimme war von Anmut, sehr berückend, zauberhaft, sie sagte: "Shang Kiu, mir ist heute unwohl, wir haben keine Medizin im Haus, besorge mir bitte die Milch der Roten Blume." Da sprach Shang Kiu mit einer sanften Stimme: "Wer nicht bereit ist, seiner Nebenfrau zu dienen, ist nicht wert, ein Lehrer seinen Schülern zu sein." Er warf sich den seidenen purpurnen Umhang um, winkte Tau Ti, daß er ihm folge. Tau Ti setzte seine gelbe Mütze auf, so gingen sie hinaus. Auf der Straße Tongxians sprach der Lehrer zum Schüler: "Ich will die nächsten Tage nach Qufu reiten, wo Kung Fu Tse in seinem Tempel lehrt. Da ich dich schon ins Herz geschlossen habe und zwar vom ersten Augenblick an, da ich dich gesehen, wollte ich dich gerne meinem Meister vorstellen. Viel lernen könntest du von ihm, er hat des Altertums Schriften genau studiert, er ist der Erbe der heiligen Vorwelt" Tau Ti sprach: "Das wäre eine große Ehre für mich, den Meister Kung Fu Tse zu sehn, von Angesicht zu Angesicht den Alten der Tage. Ich vernahm, daß er von Tugend gepredigt und von wahrer Menschenliebe. Das ist gut zur Ordnung der menschlichen Gemeinschaft. Ich bin aufgefordert, beim Meister mich in die Lehre zu begeben. Doch hab ich auch eine Sehnsucht nach dem See von Xian, dem Schwanensee der Tochter Xian." So sprach Tau Ti, noch unentschieden wie die Waage, wenn sie schwankt. Doch dann sprach er: "Ich werde die Tochter Xian sehen! Kung Fu Tse werde ich lehren hören dann im heiligen Tempel von Qufu!" Darauf sprach Shang Kiu: "Ich habe keine Ruhe, denn die Befindlichkeit der Bi ist mir im Herzen wie ein aufgewühltes Meer, worin ein Fels sich um Standhaftigkeit bemüht. Ein passionierter Mensch, taugt der zur Unterweisung in Tugend? Trennen wollen wir uns, denn ich will die weiße Milch der Roten Blume für Bi besorgen. Geh du solange deine eigenen Wege, laß dich in drei Tagen wieder sehen, wenn du nach Qufu mitkommen willst, den Meister über Menschenliebe zu hören." Da stand Tau Ti allein auf dem Weg von Tongxian. Ein alter Mann auf einem Schimmel ritt vorüber, er hatte schlohweiße Haare, einen langen Bart bis auf den Nabel, weiße Augenbrauen, die schmalen Augen beinah rötlich. Er sah Tau Ti an, lächelte und sprach: "Mein Sohn, siehe an, dein schönes Vaterland!" Mit diesem Wort entschwand der weiße Alte. Tau Ti ging staunend seines Weges weiter ins Haus von Sa-Muan, dem Friedensrichter. Der saß vor einem Stapel Akten, machte Auszüge und Notizen. "Man Wang", notierte er eben, "war des Südens König. Ay, Tau Ti, ich habe gerade einen Fall zu untersuchen", sprach er, "dankbar greif ich dabei zurück auf Sima Qian, den Großhistoriographen der Han-Zeit. Für die Annalen hat er unendlich viel Material zusammengetragen, darunter auch das mir vorliegende. Eben stellt er das dreiundfünfzigste Kapitel der Annalen fertig. Nun, ich habe einen Auszug gemacht für meinen Fall", sprach Sa-Muan. Da sprach Tau Ti: "O Sa-Muan, wenn du die Zeit noch hast, so schöpfe einmal Atem und erzähl mir von dem Fall. Hast du etwas zu tun mit Man Wang, dem König des Südnes? Ich möchte auch einmal in den Süden reisen, da hörte ich von der Insel Hainan an dem Ende der Welt. O das Ende der Welt!"


TAU TI AM SCHWANENSEE VON XIAN


Tau Ti ritt fort und kam zum Schwanensee von Xian, er seufzte: "Einst wird ein Poet kommen, in der Zukunft der Tang-Zeit, da wohnt der große Dichter nahe Xian am grünen Hang eines sanften Berges." Nun besah Tau Ti den Schwanensee. Am Weg vermischte sich der Duft von blühenden Zimtbäumen und blühenden Mandelbäumen mit lieblichem Aroma. in den Kiefern säuselte sanft der Wind. Das Wasser glänzte helldunkel, manchmal still und manchmal wellend. Fern war zu sehen der Li-Berg, die Gebirge in weiterer Ferne hold umflort von Wolken. Tau Ti, ein einsamer Wanderer, von keinem gekannt, sah nach des Damwilds schmalen Spuren. Es sangen Vögel, Meisen und Pirole. Die leisen Wellen waren silbern. Der Wind im Bambus säuselte und raschelte. Saphoren standen am Pfad und die von ihm geliebten Blumen. Auf einmal hörte er vom fernen Berg den Klageschrei der Affen. Und ein Boot lag einsam schwankend auf den Wellen am Ufer zwischen Schilf und Rohr. Und zwischen blühenden Silberweiden lag eine geflochtne Hütte, die man Trauerhütte nannte. Geflogen kamen weiße Möwen mit lautem Rufen, leisen Quäkens schwammen schillernde Enten, Mandarin-Enten, ein Symbol der Harmonie, und auf den Gräsern am Ufer standen Wildgans, Weißgans und Schneegans. Bei ihrem Anblick dachte Tau Ti an Su-ngo, wie es ihr jetzt wohl ging? Die Bäume am See wie grüne Jade, goldenschimmernd. Tau Ti stieg auf den Steinen zum Wasser hinunter. Und da sah er einen schwarzen herrlichen Trauerschwan, der nah ans Ufer mit erhobenem Haupt herangeschwommen kam, im schwarzen Gefieder eine weiße Feder, die ins Wasser sank. Da orgelte der Schwan. Tau Ti empfand es in seiner Seele, er sah des Schwanes rotes Auge und empfand den Lidschlag. Und in dem Moment schien der Schwan zu singen: "Tau Ti, nimm du die weiße Feder vom schwarzen Schwan." Tau Ti nahm sie. Da tauchte der Schwan das Haupt hinab ins stille Wasser, verschwand bei einem Trauerweidenzweig, der neigte sich silbrig übers Wasser hin. Da sah Tau Ti am andern Ufer Bäume, Magnolienbäume und Hibiskus sah er. Und über den See rief von den Gräsern eine Zikade. Da erst entdeckte er den Pavillon am Schwanensee mit schöngeschwungenen Simsen über den Pfeilern weiß von Elfenbein. Ein Duft war überm See von manchen Blüten. Mit einemmal erschien Tau Ti in einer Vision die Göttin der Gnade! Die Schöne war in ein Gewand gehüllt wie Morgenröte, über die Schulter und hinab an beiden Seiten hingen gelbe Seidenbänder, sie war geschmückt mit Perlen und mit weißen Muscheln. Ihr Angesicht war aber so wie Schnee, mit Reis gepudert milchig maskenhaft. In ihren Händen hielt sie ausgebreitet zwei Fächer, mit Mimosenblüten und mit Mandelblüten, aufgemalt auf feiner weißlicher Seide an den Bambusstäbchen. Und damit winkte sie ihm zu und sprach: "Komm her, Tau Ti, komm her! Du kannst übers Wasser wandeln, wenn du nur Vertrauen hast." Tau Ti ging übers Wasser rasch auf die Göttin zu; er wunderte sich selbst, wie ihm geschah, er sah, wo er sich fand, und er verzagte und sank ins Wasser, und da standen ihm die Wasser bis zum Hals, da rief er: "Hilf mir!" Da kam sie übers Wasser geschwebt wie ein Geist und fasste Tau Ti an der Schulter mit ihrer rechten Hand und rettete ihn aus den Wassern. Daraufhin fand er am andern Ufer sich wieder. Die Göttin schwand, nachdem sie ihn geküsst auf seine Stirn. Gezweifelt hätte er an der Erscheinung, wäre er am andern Ufer nicht gewesen. Da schwamm der schwarze Trauerschwan von Xian und schlug mit seinen Schwingen, und dann schwamm die Majestät dahin, blutrot der Schnabel, von dem das Wasser troff wie Morgentau.


TIAN VON BANPO


Tau Ti schwang sich wieder auf seinen Schimmel und ritt, immenses Wundern in der Seele, nach Xian und sprach: "O Göttin Chinas, solange du willst, will ich im Leid ausdauern! Laß mich nur in deiner Gnade sein, die schon vorm Himmel in dir beschlossen war." Fern war der Li-Berg, wo der Leichnam des Shi Huangdi, des ersten Kaisers von China, begraben war. Tau Ti sprach die Worte: "Ich weiß wohl, wie dem Kaiser Zorn und Grimm durch seine Adern rasten, wie er die Unsterblichkeit gesucht, den Tod gefunden. Vor Xian sehe ich das Dörfchen Banpo, dort will ich speisen, will die Stäbchen nehmen und nehmen ein Porzellan-Schälchen Reis. Dann trink ich einmal Wasser von der Quelle. Des Leibes Hunger oder Durst kann man stillen, aber mir bleibt ein Verlangen nach Liebe: die find ich auf Erden nimmer! Wie öde liegt es vor mir! Wann nahm mich ein Mensch mit Zärtlichkeit in warme Arme? Lang ist das her. Wie lange hab ich zu warten auf die Erfüllung heiliger Verheißung? Mir ist wie dem Gefangnen, Dasein ist der Kerker, ich höre selbst die Steine der Gefängniswände seufzen, Tau der Tränen rinnt innen mir herab. Wo bleibt die Hilfe, die Tröstung? Mir ist weh in meiner Seele, und einsam irr ich durch den Erdenstaub. Darf ich nicht sterben? Wäre ich doch im Bund des Todes, hielte mich der Tod in Banden! Des Todes Wasser überschauerten mein Herz, ich tauchte unter Gelbe Quellen. Ein Jenseits gibt es, zeigt es sich auch hold? Werde ich dann über Wasser wandeln können und angenommen werden? In der Röte des Morgens ganz vergehen und Liebe finden auf dem Morgenstern! Wer gibt mir Antwort? Die Menschen reden alle doch nur Lüge, wenn sie nicht gar ganz schweigen. Was ich denke, ist Täuschung. Stille sei, meine Seele, und dulde! Ich bin zu einem Schmerzensmann geboren! Ich wandle meines Weges, falle, wandle und sinke wieder, nehme mich zusammen und stürze in den Staub, und wieder reißt es mich empor. Was mir die Menschen zu trinken geben, das ist bitter; was sie mir zu essen geben, ach, das schmeckt mir schal. Von Einem redet niemand, aber danach steht mir der Sinn, es war ein geschlossner Kreis wohl vor dem Himmel, darin war erfülltes seliges Glück; ich komme daher und irre verloren in der Welt und kehre zurück, will wieder in die Seligkeit eintauchen, ja in die Liebe! Hsi!" so seufzte er. "Ich will mich zusammennehmen, ausmessen die Stadte Xian, schöne Tore sehen, hineingehen durch den Wall von hohen Mauern." Fünftausend Meter weit von Xian entfernt war ein altes Dorf gelegen, das hieß Banpo, das gab es schon dreitausend Jahre vor unserer Zeit. Denn zu der Zeit der Xia, der ersten Dynastie, war hier in Banpo das alte Volk der Mütter. Nun stand Tau Ti bei den herrlichen Häusern. Da saß eine alte Dame in weißer Trauerseide vor dem Haus in einem Korbstuhl, der geflochten war von Trauerweide. Da sah sie Tau Ti und sprach: "Hast du Hunger, Knabe?" Da bejahte Tau Ti, und sie sprach: "Komm, mein Sohn, ich gebe dir ein wenig für des Leibes Wohl." Da kam er ins Haus, da stand am Fenster beim wehenden roten Tuch ein junges Mädchen. Die Luft umsäuselte die Schönheit sanft. Sie trug ein grünliches Gewand und stand in Gedanken wie in Traum versunken. Die alte Dame reiche ihm Dim Sum, das bedeutet Kleines Herz, das ist eine kantonesische Spezialität. Vorm Essen bot sie ihm Jasmintee an. Das junge Mädchen hob ihre Stimme, und der Stimme Liebreiz wetteiferte mit der Gestaltung Anmut. So war ihr Wort: "Ich war in Peixian vor wenigen Tagen; Peixian, im Süden gelegen, die Geburtsstadt eines Kaisers, des ersten Kaisers der Han-Dynastie, Liu Bang. In einen Stein graviert las ich ein von ihm selbst verfasstes Lied. Und ich erlebte Himmlisches in Peixian, da machte ich selbst ein Gedicht darüber. Soll ich es rezitieren?" Und da rief die alte Dame aus der Küche: "Pian! Du kannst mir helfen!" Rief das Mädchen: "Nian! Eben wollte ich unserm Freund mein neugeschriebenes Lied rezitieren." Das Mädchen Pian ging zu einem Schrank, wo eine Vase von Kaolin stand, und nahm ein Blatt Papier aus dem Schrank. Sie wußte wohl den Pinsel, in die Tusche getaucht, zu führen übers Papier, denn schön geschwungen waren die Zeichen. Sie las ihr Lied vor, und er war ganz Ohr. Sie sang: "Da ward mir, als sei ich entsprungen dem inneren Leben meiner Himmelsmutter und taumelte in des Äthers Räumen, ein irrendes Kind. Ich mußte weinen, rinnend in Tränen sank ich in den Schoß der Mutter hinab. Bunte Kelche süßer Blumen fassten meine Tränen, ich durchdrang alle die Kelche und rann abwärts, durch die Blumen, durch die Blüten, tiefer, tiefer, bis zum Schoße, der tiefverhüllten Quelle alles Seins." So las die schöne Pian ihr Gedicht, das sie in Peixian geschrieben hatte. Da überlegte sich Tau Ti, wie er die Dichterin auszeichnen könne, und er dachte an die weiße Feder, die der schwarze Schwan ihm geschenkt in Xian. Sie freute sich darüber, küsste ihn, was ihm sehr angenehm war, denn sie war von auserlesener süßer Schönheit und Anmut und duftete wie Rosenblüten. Der Kuß der Träumerin blieb auf der Wange wie ein Tropfen Tau auf einem Blatt. Nun gab die alte Dame Nian ihm noch glutinierten Reis mit Maniok in einem Töpfchen mit als Reisekost und einen Kelch Orangenlimonade. Er dankte herzlich, neigte sich vor Schönheit und Alter, neigte bis zum Grund sein Haupt, setzte seine gelbe Mütze auf und ging. Er flog mit dem Schimmel nach Xian. Da stand er vor der Mauer, wo das Tor des Ostens war, wo eine Stele stand mit dieser Inschrift: "Ja, die Sonne wandelt sich in Finsternis der Mond in Blut." In seinem purpurroten Mantel spielte der Wind, der von den sanften Hügeln kam. Noch einmal gedachte er der Zartheit und tiefen Sympathie, an ihn verschwendet. Da sah er schon das Osttor in der Mauer von Xian. Da sang seine sanfte Seele, mit Pfingstrosen-Fingern strich er sacht die Saiten der Chin, der Leier, dies war sein Lied: "Tu dich auf, o Tor, mach dich weit, o Tor! Der Sohn der Allerhöchsten will jetzt einziehen in Xian!" Die Begeisterung kam über Tau Ti, mit Pfingstrosen-Fingern strich er leise der Chin die Saiten vor dem Osttor Xians. Tau Ti ging im purpurnen Gewand, die gelbe Mütze auf dem schwarzen Haupt, zum schönen Park der Festlichkeiten, der sich im Osten Xians um einen See ausbreitete. Dort stehen viele schöne Pavillons, wo Mauerschwalben nisten. Also heißt es: "Wir wollten sein ein Pärchen Mauerschwalben, ein Nest uns bauen an des Edlen Haus." Tau Ti verließ Xian, schwang sich auf den Schimmel und flog dahin. Da wollte er sich die Umgebung der Stadt Xian ansehen. Da kam er wieder zum Dorf Banpo, er kam an bei einem Pavillonmuseum. Da sah man die alten Brennöfen aus antiker Zeit, Geräte aus Stein, Werkzeug aus Terrakotta und aus Knochen. Auf urzeitlicher Keramik waren Fische zu sehen mit Schwalbenschwänzen und eingeritzte Zeichen: früheste Schrift. Dann schwang Tau Ti sich wieder auf den Schimmel mit der orangenen Decke und dem Zaum von Silber, er preschte rasch dahin. Mehr als an des Pferdes Kraft und an den Schenkeln des Menschenkindes hatte die Göttin Gefallen an Xian, an der schönen festen Burg. Nördlich von Xian aber war das Grab Jing Dis, der fünften Han-Kaisers. Es liegt auf einem prächtigen Gelände, wo tausend weitere Gräber angelegt waren. Da ging Tau Ti die Zeile durch den Sinn: "Du bist wie ein Totengräber im Verborgenen, sie gehen an dir vorüber und kennen dich nicht."



DER ASTRONOM CHANG HENG


Da sah er eine rote Wolke Staubes, ein Reiter tauchte auf und kam ihm nah, begrüßte ihn mit einem Friedensgruß: "Tsing an! Ich bin Chang Heng, der Astronom des Kaisers Tsao." Der berühmte Mann der Han-Zeit hatte einen gelben Hut, aus dem sein schwarzes seidenes Haar geknotet hervorkam. Er blinzelte aus seinen schmalen Augen durchs Tageslicht und redete: "Ich komme gerade von Xian, wo ich bei den Ruinen der Palaststadt des Kaisers Shi Huangdi war. Damals baute man ein magnetisches Tor, so daß niemand mit Waffen durch die Pforte gehen konnte, das war das Nordtor des Efang-Palastes, das war ganz aus Magneteisenstein errichtet. Und als die Efang-Halle abgebrannt, blieb das eiserne Magnettor stehn." So sprach der große Astronom Chang Heng. Tau Ti und er ritten zusammen am Gelben Strom entlang, dem Kummer Chinas. Dann kamen sie an jene Stelle, wo der Gelbe Strom zusammenströmte mit dem Kaiserkanal. Da saßen am Kanal Angler, und einen hörte man jubeln: "Yu-liau, ich habs! Ich hab den Silberfisch gefangen, der eine Perle im Maul hat." Tau Ti und der kaiserliche Astronom ritten etwas weiter südlich, da redete Chang Heng: "Ich habe einen großen Seismographen erfunden, das ist jetzt das Prunkstück am kaiserlichen Observatorium. Mein Seismograph kann Donner auf der Erdoberfläche auf die Entfernung von zehntausend Li genau registrieren. Der Mechanismus wird in einem Kupferkessel verborgen. Der Kaiser wird so informiert über jede Erderschütterung im Reich der Mitte." So sprach Chang Heng, Hofastronom des edlen Kaisers Tsao. Sie ritten südwärts dahin am Kaiserkanal, der Verbindung zwischen dem Gelbem und dem Blauem Strom, dem Yangtsekiang im Süden. Tau Ti ritt auf dem schönen Schimmel, den er von Sa-Muan geschenkt bekommen hatte, Chang Heng ritt auf einem edlen schwarzen Roß, das Tsiän Li-Ki genannt ward, das bedeutet Tausendmeilenrenner. Silbern der Zaum, die Zügel ledern, die Mähne flog im Wind. Dann verfielen sie von Galopp in Trab, da redete der Astronom: "Ich hab einen Himmelsglobus erfunden." Sie ritten beide durch ein kleines Dorf, wo gerade Jahrmarkt war, Buden standen an der Straße, die Buden waren bunt und schön bemalt. An einer kleinen Bude sah es so aus: Ein großes Bild, darauf oben die Palaststadt am Hang des Gebirges aufgemalt, und das war Peking. Die Straße führte zum Palast, und vorn standen zu beiden Seiten Pfauen, und schlanke Vasen standen auf dem Grün. Umgeben war der Palast von Pfirsichbäumen, rosa erblüht, in jeder Himmelsrichtung, und in der fünften Himmelsrichtung stand der Palast. In Peking, nahe der Mündung vieler Gewässer, wird dereinst der Hof gehalten, von dort das Reich der Mitte regiert. Über ein Wasser führte eine schön geschwungne Brücke, auf der andern Seite erhob sich aus dem Grün die weiße Stätte Taidu. Vorn auf den Wegen, schön flankiert von Vasen mit Blumen, sah man aufgemalt Menschen. Da war zu sehen eine feine Dame, die im Zweiradwagen, von einem Jüngling gezogen, saß. Die Dame trug ein langes blaues Kleid bis auf die Schuhe, mit rotem Phönixmuster bestickt das Kleid, und in der einen Hand hielt sie einen aufgespannten roten Schirm, das Holz an ihre schmale Schulter lehnend, den Baldachin zum Schutz überm Haupt, gemacht von durchsichtigem Papier. Und in der andern Hand: ein Fächer mit Pfingstrosen fein bemalt, wie eine rote und eine rosafarbne Blüte nebeneinander blühten und davor ein Falter in linden Lüften schwebte; das gemalt auf weiße Seide und auf Bambusstäbchen gespannt, und damit fächelte sie sich Kühlung zu. Die Wangen waren Pfirsichwangen, man wäre versucht zu sagen: auch so weich, jedenfalls rötlich. Im aufgebundnen blauschwarzen Haar roter Schmuck von Nephrit. Der Jüngling, der an einer Stange den Wagen der verehrten Dame zog, hatte ein Lächeln im Gesicht, einen Strohhut auf seinem Kopf und ein linnenes Gewand an. Am Wege stand ein Mädchen blaugewandet, die Haut des Angesichts und ihre Hände von Pfirsichblütenreinheit, weiß und rot behaucht. Zu ihren Seiten standen zwei Jünglinge, rotgewandet beide und die Haare aufgebunden, aber einer von ihnen hatte einen gelben Hut auf dem Kopf, ein Loch in seiner Mitte oben, wo der Haarknoten zur Luft herausschaute. Alles gemalt in süßer Anmut, grüne Wiesen, weiße Vasen und rote Pfirsichbäume. Dies war also Peking mit der Verbotenen Stadt. Tau Ti und Chang Heng schritten weiter fort, kamen an eine Bude, da sprach ein Mädchen, das dort arbeitete, zu Tau Ti: "Willst du probieren? Dies hier ist gebackene Muschel." Und da reichte sie Tau Ti den Teig mit Muschelfleisch darin; es mundete sehr köstlich, ja er hatte Gefallen daran und sagte das dem Mädchen. Sie war gekommen vom Mekong, dem Strom im Süden, hatte ein Gesicht gelbweiß und dunkle Augen, einen schmalen Mund und im Lächeln perlenweiße Zähne. Da wurde allerlei geboten, das Dim Sum hieß, Kleines Herz, Köstlichkeiten wie Frühlingsrollen und gebackene Muscheln. Den kleinen Holzspieß aus dem Muschelfleisch herausgezogen, nahm Tau Ti ihn mit als Angedenken, denn das Mädchen hatte ihm ja diese Speise geschenkt. Da sprach Tau Ti zu sich: "Aus wessen Hand hab ich ein Geschenk genommen, mir damit die Augen blenden zu lassen? Dann geb ich es zurück." Nun gingen sie zur nächsten Bude weiter, die Pferde an den Zügeln mit sich führend. Dann schwangen sich Tau Ti und Chang Heng wieder auf ihre Rosse, ritten am Kaiserkanal hinab. Chang Heng sprach diese Worte: "Bald werden wir auf eine Truppe unseres herrlichen Kaisers Tsao treffen, zu denen will ich stoßen." Und Tau Ti sprach diese Worte: "Ich will weiter reiten, im Tempel den Meister vom weisen Altertum lehren hören, Kung Fu Tse." Da sahen sie schon die Truppe ihres Kaisers. Und mit dem Kaiser Tsao waren sein Sohn Gen, der Friedensrichter Sa-Muan und der Gelehrte Mosü. Gen der Fels sprach zu den Truppen: "Wohl, ich führte euch durchs Jadetor die Seidenstraße hin und wieder zurück, errettete euch aus den Händen aller Königreiche, die euch bedrängten. Habt ihr nun die Allerhöchste verworfen, welche immer über euch war mit ihrer Gnade und Erbarmung, und sprecht: Ein Kaiser möge uns beherrschen? Wohlan, so tretet vor den Kaiser mit euren Zeichen." Da setzte sich Kaiser Tsao und ließ das Los befragen. Gen nahm die Schafgarbestäbchen und zählte sie, und Sa-Muan trug das Ergebnis ein in ein papierenes Buch. Und da ergab sich: Unter ihnen war ein Mann, der einen andern Mann erschlagen hatte. Da suchte man nach dem Gelehrten Mosü und fand ihn nicht. Und da befragten sie noch einmal das Los, und sie sahen, daß in des Großhistoriographen Annalen auch so ein Fall beschrieben war. Da sprach der Kaiser Tsao diese Worte: "Man trage Uns den Fall vor." Und da jauchzte das ganze Volk und sprach: "Lang lebe der Kaiser!" Der Friedensrichter Sa-Muan ließ kommen den Großhistoriographen Sima Qian, der die Geschichte seines Volkes studiert hatte in jedem Wechselfall von Recht und Unrecht und hatte alles aufgeschrieben in den Annalen; gerade das dreiundfünfzigste Buch schrieb er, immer Tuscheflecken am Zeigefinger seiner rechten Hand, schwarz wie die Nacht die Tuscheflecken. Da gingen nun mit Sima alle jene vom Volk, denen ihre Gnadengöttin das Herz angerührt hatte. Und jetzt berichtete der Großhistoriograph vorm Kaiser Tsao und vor dem Volk die Geschichte, wie sie überliefert ist aus alten Zeiten. Es kamen Chang Heng und Tau Ti zum Lager, wo ihre Wege sich trennten, denn es wollte ja Tau Ti zum Meistertempel, des weisen Kung Fu Tse Lehre dort zu hören. Es ritt der Astronom ins Lager des Kaisers Tsao ein, der sich einen Thron aufstellen lassen hatte. Chang Heng trat vor den Kaiser und grüßte ehrerbietig. "Gue hsia, knie nieder!" wies der Kaiser ihn an, "dann wollen Wir dich reden hören." Sprach Chang Heng: "Bu gan dang, zuviel der Ehre!" Da sprach der edle Kaiser: "Wir wollen nun in Unserer Nichtigkeit um die geneigte Belehrung bitten, wolle Uns die Binsen Unsres Unwissens, die des Geistes Auge verdunkeln, gnädiglich entfernen. Wie steht es jetzt mit dem Bau des kaiserlichen Palastes, den Wir zu errichten in Peking dich baten?" Da räusperte Chang Heng sich und hob an, das Wort zu reden: "Ich war in Xian, die Palastruinen genau zu studieren, vor allem das Magnettor, das Shi Huangdi errichten ließ in Efang. Und dann ritt ich, um Euch hier anzutreffen. Denn Ihr batet Euren Berater, Euren Astronomen und Meister aller Künste der Mechanik, Euch einen klassischen Palast zu bauen. Jetzt traf ich auf dem Wege einen Jüngling, der reiste, Kung Fu Tses Lehre anzuhören, nach Qufu. Und mit diesem Jüngling ward ich versucht, dem Saitenspiel zu lauschen über Pinzessin An, die von einem Kaiser Chinas dem grimmen Hunnenfürsten für den Frieden geschenkt worden war. Ich habe da ein Los gezogen, ein Röllchen von Papier aus einer Schale von Kupfer, das besagte: Man gerät in Bedrängnis unter einem kahlen Baum, man geht im finstern Tale ohne Bangen. Den Hunnen-Khan möge ein Löwe zerreißen am Brunnen, und die Hand des Frevels soll mir eine Marmorlöwin überbringen. Verzeiht, ich schweife ab. Zeichnungen hab ich für diesen klassischen Palast angefertigt. Die Münzen und die Perlen hab ich aber verschwendet, das muß ich gestehen, an eine liebliche Bettlerin, Mahanajim mit Namen, die im Orte Kaifeng saß. Ich habe aber Pläne, edler Kaiser, Euch Paläste im Jenseits zu errichten." Da ward der Kaiser Tsao plötzlich traurig, Melancholie perlte ihm die Wange ab wie Tau. Und dann erhob er sich und sprach: "Man bringe Uns die Jadeschnitzerei, die Göttin darstellend auf der Muschel. Du nun, Unser Astronom, knie nieder, bitte sie um ihr Erbarmen." So tat Chang Heng, und da erweichte der Stein und schmolz wie Wachs, da war es in den jadenen Gliedern wie geschmolzner Wachs. Da sprach der Kaiser Tsao: "Bau Uns einen Palast, wie du es willst, im Jenseits!" Und da trat Gen der Fels mit einem Schwert neben Chang Heng auf einen Wink des Kaisers und schlug ihm mit dem Schwert vom Ohr die Schale des Schädels ab, die obere Schädelschale des Astronomen ab und spaltete den Körper senkrecht durch. Da lag er tot. Da ließ der große Kaiser Tsao seine sterblichen Überreste salben und in ein Linnen hüllen und begraben. Man setzte eine ehrenvolle Stele, worauf geschrieben stand: "Jetzt ruht Chang Heng, im Jenseits baut er unserm Kaiser einen Palast." Auch haben bald darauf gute Maler sein Bild gemalt, wie er ein Winkelmaß in den Händen hält und einen Himmelsglobus, in seinem Mantelbausch zwölf Sterne bunt wie blumige Gefilde in der Lenzzeit. Tau Ti aber ritt auf seinem Mandschu-Schimmel gen Qufu, wo geboren ward vorzeiten der Meister Kung Fu Tse, der heilige Mensch. Da sah er in der Ferne schon die Zinnen der Stadt, er ritt durch eine grüne Landschaft. Da kam mit einem Mal ein Reiter auf einem roten Roß an, aufgerichtet die Lanze, so preschte jener Reiter auf unsern Jüngling zu. Und dieser spornte den Schimmel an, da flog er übers Land hin, der Reiter auf dem Roß verfolgte ihn, da war Qufu vorüber, südöstlich standen Mandelbäume, und an einem solchen blieb der Gejagte hängen mit den Haaren. Der Reiter auf dem Rotfuchs stieß die Lanze dem Schimmel in die Flanke, daß der Schimmel zusammenbrach, Tau Ti vom Pferderücken ins Blut fiel. Da ritt der Reiter auf dem roten Roß davon, sein gelber Helmbusch wehte im Wind, er schwand mit einem Wahnsinnslachen.


TAU TI BEI KONFUZIUS


Tau Ti erhob sich aus der Lache Blutes und ging zu Fuß auf Qufu zu, von dem er sich südöstlich befand. Da klagte er um seinen Schimmel. Aber dann war er ganz eingewoben in die Schönheit des Geländes. Jetzt kam er an einen Fluß, der aus der Nishan-Grotte vorsprudelte. Da sang Tau Ti ein Klagelied und strich die Fischdarmsaiten seiner Chin dazu. Das war des Tages Ende, mein Leser, Tau Ti hat sich da ausgeruht. Am Morgen aber beim goldnen Schwingenschlag der Morgenröte nahm er ein Bad im klaren Grottenwasser, warf sich den Purpurmantel um und setzte die gelbe Mütze auf und wanderte auf Qufu zu. Da kam ein alter Mann mit weißem Bart und weißen Augenbrauen vorbei, der führte eine Eselin mit sich. Da sprach der Alte diese Worte: "Dies ist das Füllen einer Eselin, und niemand saß darauf. So setze dich und zieh gemächlich ein in Kung Fu Tses Stadt." Da blühten schöne Bäume am Wege, da hingen Vogelbeeren in den Bäumen, einige waren auf den Weg gefallen, so daß die Straße aussah wie ein ausgelegter Teppich von Orangen. Da sprach der Alte: "Die Vogelbeeren können von den Vögeln gefressen werden, aber Menschen sind sie ein Gift; drum halt dich an des Nordens Nudeln, des Südens Reis. Wie spricht doch Lao Tse: Bei Speisen und Musik bleiben sie stehen, doch keiner will von Tao hören." Sie waren angekommen in der Stadt. Es kam der Meister Kung Fu Tse herbei zum Aprikosenbaum gewandelt, der in der Mitte seines Tempels stand. Da verneigte sich Tau Ti vor ihm, das Haupt zum Grund. In einem langen roten Kleid, mit einem blauen Gürtel, kam er gewandelt, an dem grauen Hut zu Seiten hingen lange Bänder herab. Sein Bart war schwarz noch wie in seiner Jugend und reichte ihm auf die Brust, sein Gesicht war würdevoll, und über seinem Ohr glänzten liebliche Aprikosenblüten. Dann winkte er mit seiner rechten Hand und sagte: "Friede, Friede, liebe Kinder! Ich habe den Beruf vom Himmelreich, was können mir Menschen tun? Ein Mensch soll kindlich liebend sein und seine Liebe heiß überfließen lassen. Einstmals sprach der Grenzwart vom Ort I: Was seid ihr traurig, Freunde, als wäre alles aus? Die Welt war ohne göttliches Wort, aber nun gebraucht der Himmel euren Meister als Glocke. In der Frühe die Wahrheit zu vernehmen und abends sterben, das ist nicht schlimm. Der Edle liebt das Innere. Die kleinen Kinder möchte ich herzlich herzen. Wer kann hineingehen anders als durchs Tor; warum denn wandeln Menschen nicht auf diesem geraden Weg?" Da winkte Kung Fu Tse mit seiner rechten Hand und sprach die Worte: "Wir wollen uns in meinem Walde treffen, ich ziehe mich so lang zurück." Drauf ging Ehrwürden fort. Tau Ti verließ den Tempel und ging vom Aprikosenbaum zum Wald des Meisters, wo er mit dem Himmel sprach. Jetzt kam gewandelt Kung Fu Tse, der Heilige. Da neigte sich Tau Ti, das Haupt zum Grund. Da hob der Meister seine Stimme, winkte und sprach: "Friede, Friede, o mein liebes Kind! Dereinst besuchte ich die Dame Nan, darüber war mein Schüler mißvergnügt, da sprach ich: Hab ich etwa falsch gehandelt, so möge mich der hohe Himmel hassen. Und einmal fragte mich ein kluger Jünger: Wenn einer es vermöchte, die ganze Menschheit zu erlösen, was wäre der? Da sagte ich: Nicht nur ein Tugendhafter, er wäre göttlich! Einstmals schwante mir, es ginge mit mir abwärts, lange hatte ich den edlen Fürsten nicht mehr gesehen; er war mein hochverehrtes Vorbild, das mir in Traum und Wachen immer vor Augen stand. Ich bin ein Mensch, der in der Freude am Erkennen alle Traurigkeit vergißt und so nicht merkt, daß ihm das Alter naht. Was ist die klare Quelle meines Wissens? Die Gottheit hat den Geist in mir gezeugt. Mein liebes Kind, du denkst, ich habe Geheimnisse? Ich habe keine vor dir. Mein ganzer Wandel liegt offen dar. Den Gottmenschen sehen, war mir im Leben nicht vergönnt, ich wäre schon zufrieden, hätte ich gute Menschen gesehen. Einst wollten kleine Kinder mich besuchen, doch meine Jünger hielten sie zurück, da sprach ich: Laßt die Kinder zu mir kommen. Wenn Schwäne sterben, sind die Lieder klagend; wenn Menschen sterben, sind die Reden gut. Mein Jünger sprach: Die Menschlichkeit ist Last, ist sie nicht schwer? Im Tode bin ich erst am Ziel, ist das nicht fern? Das Himmlische ist schwer zu finden. O Tau Ti, mein Kind, ich will nun still sein. Wir wollen uns bald wiedersehen im Reich der Himmel."


TOD DER OMA PAU


Nun saß Tau Ti allein an einer Grotte. Er war jetzt zwölf Jahre alt, und die Belehrungen des Meisters waren ihm alle noch im Ohr. Seine Seele war still zu seiner Göttin, die sich auf weiße Jade gründete. Da tauchte aus der weiten Ferne eine Staubwolke auf, es kam ein Bote an auf einem Apfelschimmel, einen Rotfuchs an seiner Hand. "Tau Ti!" so rief der Bote, "ich habe dir eine Botschaft zu bringen." Der Bote reichte daraufhin dem Jüngling ein Rollsiegel, und Tau Ti tat es auf und las: "Mein liebes Kind! Die Oma Pau starb, gestern Nacht, im Licht des vollen Mondes. Sie sprach noch vorm Entschlafen von dem Enkel, sah deinen Geist an ihrem Sterbebett und hörte dich zur Leier Lieder singen vom großen Schlaf. So schnell du kannst, komm her. Dein Vater." Da nahm Tau Ti die Chin und die Tasche und schwang sich auf den Rotfuchs und ritt mit dem Boten von Qufu nach Anci, wo das Haus des Vaters stand. Drei Tage später waren sie da. Vorm Hause trennte sich der Bote von Tau Ti, und dieser trat allein ins Trauerhaus. I-Se begrüßte ihn, und ihm zu Seiten stand die immer noch geliebte schöne Su-ngo. Es waren gerade die ersten Frühlingstage, überall die Blüten trauerten, der Tau des Morgens war wie Himmelstränen. I-Se sprach: "Deine Oma Pau ist schon begraben, Lieber. Ruh dich erst einmal aus von deiner weiten Fahrt. In ihrem Haus ist ja noch dein Zimmer. Wir sehen uns später." Darauf schwand I-Se mit seiner schönen süßen Su-ngo durch einen Bambusvorhang ins Haus, da war ein Wohlgeruch von Sandelöl überall. Tau Ti ging in die Wohnung seiner Oma und trat in sein Zimmer. Drei Jahre stand es leer. Da zündete er eine rote Kerze auf einem grünen Kerzenständer an und setzte sich auf einen Stuhl. Da war die Seele dreimal traurig. Er nahm die Chin und strich die Fischdarmsaiten und sang: "O Göttin des Himmels, Herrin, warum hast du mich nur verlassen? Hör, ich schreie, doch fern ist meine Hilfe. Meine Göttin, auf deine Gnade hofften unsre Mütter, und da sie hofften, halfst du ihnen heraus." Dann war es Nacht geworden und die Kerze herabgebrannt, Tau Ti schlief ein in seinem Kummer. Da sah er vor sich das Gesicht der Oma, da stand sie in Gestalt vor ihm und rührte ihn an, und da umarmten sie sich beide. Sie hatte geistliche Unsterblichkeit! Und da ergriff ein Schwindel ihn, wie ein Taumel war es, da schwebten sie bei Wolken, wo Scharen von Unsterblichen und Geistern bei süßem Glockenklang und Saitenspiel liebliche Lieder sangen, über Sterne rollten, er sah in Unendlichkeit wandeln die Herrin des Himmels prächtig in ihrer Herrlichkeit, auf ihren Armen ein Lamm. Da schwebten sie vorüber, wo zehntausend Sterne ausgesät waren im Raum, unter ihnen rollten wilde Wetter. Da redete Oma Pau zu ihm: "Zehntausend Menschen werden sich ergehen in ihrem Schoß: die Mutter Peking wird geliebte Hüterin den Kindern sein, das Volk wird glücklich sein in Wonnemauern, in Jade- und in Jaspistempelhallen, in goldenen Straßen und in Perlentoren." Da sang Tau Ti begeistert dieses Lied: "Beim Himmel ist viel Gnade und Erbarmen, viel Erlösung ist bei dieser Gottheit. Erlösen wird sie unser Reich der Mitte. Ich gehe nicht um mit allzu hohen Dingen, die sind zu wunderbar für meine Seele. Fürwahr, mein Herz ist still und ruhig, wie ein kleines Kind bei seiner Mutter. So wie ein kleines Kind bei seiner Mutter, ist meine Seele. China, hoffe auf die Allerhöchste bis in Ewigkeit!"


DER HIRTE TAU TI


Jetzt war er berufen, die Herde der Schafe von I-Se zu hüten und zu weiden. Darum ging er in das Westgebirge, auf den sagenhaften Kunlun, an dem geschnitzten Stab ging er hin. Er hatte sich vom Mandelbaum genommen ein Ästlein und die Rinde abgezogen, so daß es weiß war. Mit der gelben Mütze auf seinem Haupt und seinem Purpurmantel umgeworfen und gegürtet an den Lenden mit dem Gürtel von Leder, ging er an den klaren Wasserbächen und kniete nieder, trank, erhob sein Haupt, wusch sich die Hände, wusch sich die Versuchungen aus seinem Ohr. Dann legte er sich nieder auf einem weich bemoosten Hügel und sah zum Himmel. Es war ein solch wunderschöner Maitag in diesem Land unendlichen Lenzes, daß sich Tau Ti getaucht sah in eine Wolke orangener Färbung. Er sah den Bach rieseln und am Ufer die Zypressen verhaltener Trauer stehen in Lieblichkeit und Anmut wie schlanke schwarze Flammen mit Silberglanz beträuft wie eine Mondnacht. Und als der Sang der Vogelschar erwachte, ein Pirol sang dort in einer Kiefer, sah er ein wunderschönes Mädchen auf sich zu schweben, und als jene nahe kam, sah er, wie hübsch sie war, blutjung und hübsch. Ihr Haar war auf dem Haupt zu einem Knoten gesteckt, es war so schwarz wie Lack und glänzte wie Öl. Die Augen waren schmal wie Mandeln. Es kam das wunderschöne Mädchen näher. Sie sprach zu ihm: "Ich heiße Tao Yä, das heißt Pfirsichblatt. Ich liebe dich! Ich sah dich manches Mal schon traurig einsam hier in der Welt des Staubes die Wege wandeln." Da sah Tau Ti sie an, und er geriet in tobende Verzückung: "Tao Yä, sehe ich nur dein wunderbares süßes schwimmendes Mandelauge an, dann schmilzt mein Gebein wie eine Kerze, und mein Blut wird zu süßem Zimttee." Und da strich er ihr sehr zärtlich eine schwarze Strähne aus der Stirn. Da nahm sie ihn bei ihren Händen, die Haut war weich wie eine Schwanendaune. Da sprach sie mit still verschmitztem Lächeln: "Oh, ich verlange sehr danach, mit dir die Pekingente einmal zu verspeisen! Doch jetzt laß uns zusammen gehen des Weges." Sie flatterte voran wie ein Falter purpurner Färbung, auf den Flügeln Augen von tiefer Schwärze. Früher hatte er gehascht nach Schmetterlingen, aber seine geliebte Oma hatte ihm gesagt, abstreifen dürfe er den Flügelstaub nicht. Sie gingen miteinander. Bald an einem Brunnen blieben sie stehen. Und er lehnte einmal sanft sein müdes Haupt an ihre weiße Schulter. Die Liebe hatte gütig wie eine Himmlische menschliche Gestaltung angenommen, und allerlieblichst war ihr Leib, wie eine schneeweiße Vase, und ein Pfirsichzweig war in der Vase rosaroter Blüten. Sie schöpfte etwas Wasser aus dem Brunnen und gab ihm eine Beere von der Wunderpflanze namens Purpurperle. Und da kam wieder etwas Kraft in ihn zurück, sein Atem zirkulierte von den Fersen bis zum Haarschopf überm Scheitel jetzt in erquicklich süßer Frische, und er seufzte: "Tao Yä, wie schön du bist!" Tau Ti und jene wunderschöne Maid hielten sich an ihren Händen wie Geschwister, sie gingen auf dem Wege über den Kunlun, und sie kamen an bei einer Felsengrotte, da sprach die Liebliche: "Ein Lied aus dem Buch der Lieder wollt ich singen, aber ich weiß nicht: das Lied von der Hirschkuh, die aus weiter Ferne ruft? oder das von der Lilie, die auf dem Wasser treibt?" Da sah Tau Ti sie an aus tiefen Spiegeln seiner Seele und sprach: "Die Lieder im Gefilde der Geister und Seligen sind sicher tausendmal, zehntausendmal erhabener und lieblicher als unsere. Wenn die Geister auf der Insel der Seligen, auf Peng-lai Lieder singen, vergeht die Seele ganz gewiß in lauter Verzückung. Und da ist die ewige Jugend? in einer ewigen Glückseligkeit? O Allerhöchste, gewähre mir die Gnade ewiger Glückseligkeit!" Da faltete Tau Ti die Hände vor der Brust, und Tao Yä berührte ihn mit Innigkeit an seiner einen Seite, da durchströmte ihn ein Schauer Wonne, sein Herz erblühte wie eine Primel. Da seufzte er in Sehnsucht und Hoffnung: "O ja, ich habe Lust an der Göttin im Himmel!" Und da umarmte ihn die Liebliche und küsste ihn mit Himbeerlippen auf die Lippen, mit dem Mund auf seinen Mund, da war ihm so wie einem Fisch, der für einen Augenblick gar glücklich in den Wassern aufspringt. Und dann setzte sie sich auf einen Stein und sprach: "Mein Lieber, setz dich zu meiner Seite, singe mir ein Lied, ich weiß, daß du sehr schön zu singen weißt." Da setzte sich Tau Ti und spielte eine liebliche Melodie auf seiner Flöte, dann sang er nach der Melodie des Liedes der Lilien dies Lied: "Sei gnädig, Göttin der Liebe, denn auf dich traut meine Seele, unterm Schatten deiner schimmernden Schwingen hab ich sichere Zuflucht. Ich rufe zum Himmel oben, zur Allerhöchsten, welche meine Sache zum guten Ende führt." So sang Tau Ti. Da hatte er's getan, der Tao Yä gesungen. Und die Schöne klatschte in ihre Hände, lächelte ihm süß und lieblich zu, daß ihm das Herz in Glut und Flut verging und wie ein Phönix hinflog auf einer taugeschwollnen Wolke mit Sehnsucht ihr ans Herz. Und sie erhoben sich wieder, wandelten die pastoralen Gefilde durch, unendlich dehnte sich das Westgebirge Kunlun, darüber hin die Wolken schwebten weiß, grün war das Laub der Bäume wie ein Meer, und Mandelbäume blühten am Wege, Purpurschmetterlinge flatterten kreuz und quer durch die Lüfte. Tau Ti und Tao Yä ergingen sich im Bogen auf dem Pfad zur Hirtenhütte. Da sprach Tau Ti: "Da in der Hütte wohnt der alte Hirte, Chi Pu-Tei ist sein Name. Er hat mir beigebracht, wie man die Schafe herausläßt aus dem Pferch und wie man sie wieder sammelt in der Abendzeit. Jetzt ist er aber nicht in der Hütte, er wandert, nach den Lämmern auszuschauen, ob sie noch alle da sind." Und da gingen die beiden jugendlich verliebt auf den Spuren der Schafe. Und er sprach: "Im nächsten Tal weiden die Zicklein, weiter westlich sind die Yak-Rinder auf der Weide. Auch kam neulich ein Schweinehirte vorbei, der abseits lebt bei einer alten Zauberin, die sich nachts in eine schwarze Krähe verwandelt. Der Schweinehirte ging zu einem Fest, wo Schäfer sich versammelten beim Jäger, den kenn ich auch, er lebt mit einer schönen Frau, er schießt mit Pfeil und Bogen. Er hatte nun zur Feier einen Hirsch gejagt, den speisten sie und tranken und sangen. Doch da wird gleich die Hirtenhütte sein, wir müssen nur noch durch den Hain der Tung-Ölbäume." Da lächelte die Schöne verklärt und sprach: "Mein lieber Träumer, laß uns gehen. Mögen Jäger, Schweinehirt und Schäfer ruhen. Wir wollen hier wandeln über diesen Hügel, überschimmert von Tung-Ölbäumen." Und da waren sie im Hain und sahen von weitem durch das Silber und Grün den Hirten nahen, Chi Pu-Tei. Sein Haar war weiß wie Schnee, sein Barthaar wallte ihm weit hinab bis zum Nabel, aber auf seinem weißen Haupt trug er eine goldene Seidenkappe. Sein Gesicht war noch in jugendlicher Frische weiß und purpurblühend, so daß er mit seinem hohen Alter blutjung aussah, als hätte er in seinem Dasein schon ewige Jugend; denn er pflegte das Tao, das sich in dem Te verkörpert, das Wort, das sich in der Lebenskraft verkörpert, wie Lao Tse geredet hat die Worte: "Ich weiß den Namen nicht, und darum nenn ich sie Tao, und sie war am Weltenanfang." Da nahte sich der Hirte Chi Pu-Tei den beiden Liebenden, dem schönen Mädchen mit ihrem Jüngling, grüßte sie mit einer Verneigung, wie es nicht das konfuzianische Ritual vorsah, aber seine Demut ihm eingab, und sprach: "Friede, Friede, ihr Lieben! Wie sehr freue ich mich, meinen lieblichen Schüler in Gesellschaft einer Lieblichen hier zu sehen, o schönes Mädchen." Da lächelte der alte Hirte und sprach zu Tau Ti: "Sag mal, Tau Ti, hast du sie lieb? So wandle hin und weide kleine Lämmer. Tau Ti, hast du auch lieb die Selige?" Da wunderte Tau Ti sich sehr, daß er das zweimal fragte, denn der Weise mußte inwendig seine Seele doch schon kennen und wissen, daß Tau Ti dem innern Menschen der Liebe und der Sehnsucht nach Anmut ganz hingegeben war. Da sprach Tau Ti: "O Chi Pu-Tei, du kannst dir denken, daß ich sie schon lieb gehabt hab, bevor ich sie gesehen, allein weil ich der Göttin traue, die mir eine Freundin geschickt, die zum Traum meiner Liebessehnsucht passt." Da sprach der Hirte: "Weide nun mit deiner seligen Schäferin der Seele Lämmer." Tau Ti erwachte wie aus einem Traum, da saß ihm zu Seiten die entzückende Selige mit dem Namen Pfirsichblatt, wie sie bescheiden, schamhaft genannt wurde, denn sie glich eher einer Pfirsichblüte! Tau Ti und Tao Yä klatschten mit ihren Händen. Wohl dem Volk, das in die Hände klatschen kann. Etwas später, als in der Himmelssphäre erschienen ist das Morgenrot im Osten überm gewölbten Horizont des Reichs der Mitte, waren die zwei Liebenden allein. Als überm grünen Gras ein weißer Tag mit Purpurwolken goldnen Schimmers schwebte, hatten sie Hunger. Tao Yä faltete die Hände vor der Brust und redete im Inneren zur allerhöchsten Mutter. Da kam mit einem Mal vom Himmel her ein weißes Tuch und darauf leckere Speise schön zubereitet, eine Pekingente. Sprach Tao Yä: "Wie ich verlangte, mit dir die Pekingente einzunehmen, jetzt erfüllt es sich, Tau Ti." Da standen Schälchen mit Jasmintee dabei von Porzellan mit rotem Schwalbenmuster aus Mangan. Sie hatten Speise und zu trinken von der himmlischen Gottheit mit dem lieben Lächeln, und dafür pinselten sie mit den Fingern das Dankeszeichen in die linden Lüfte. Sprach Tao Yä: "Mein Freund, jetzt scheide ich von dir, ich wünsche dir alles Schöne und Gute." Da gab sie ihm drei süße Liebesküsse. Ihr Haar, von gelbem Sonnenlicht umglänzt, sah aus wie Messing, und sie schüttelte es lose über ihre Schultern hin, da glich es Flammenzungen; Himmelsgeister bliesen hinein, ein inspirierter Hauch, die Haare flossen am Kreuz hinab. Dies kann kein Sänger sagen, kein Poet, wie sie dahinfloh übers grüne Gras beim Bächlein, über des Wassers Fließen schwebte, wie sie vorüber an dem Zimtwald, den Zypressen und den Tung-Ölbäumen floh in ihrer lieblich schimmernden Gestalt, da blieben von den Pfirsichbäumen Blüten, rosane Blüten in den Haaren hängen, und Blumen sprossen auf ihren Spuren auf, Himmelsschlüssel, Pimpinellen, Veilchen, und übers grüne Laubmeer schwebte sie davon in ihre Welt der reinen Schönheit. Ach, zweimaltraurig war Tau Ti die Seele gestimmt, er setzte sich auf einen Stein und nahm die Chin und strich mit Pfingstrosenfingern die Saiten, und da sang er dieses Lied: "O Allerhöchste, du des Volkes Mutter, wie herrlich ist dein Name überm Land, die du die Herrlichkeit erweist im Himmel. Aus Kindermund hast du dir Lob bereitet." Jetzt ging Tau Ti dahin mit gelber Mütze, mit weithinwallendem Purpurmantel und mit messingfarbenem Ledergürtel, mit Chin und Flöte in der Tasche ging der Jüngling hin an seinem Hirtenstab. Er kam in eine grüne Ebene im sagenhaften Westgebirge Kunlun. Er kam in einen Hain von Blütenbäumen und ging Glyzinenpfade hin und kam zu einer schimmernden Fontäne mitten im Hain der Bäume, die Fontäne schien von Quecksilber reinlichster Substanz auf der zinnoberroten Erde, pur und leuchtend, er sah die Silberfluten rinnen durch Kanäle. Schatten nackter Mädchen waren im Wasser von erfreuter Freudigkeit, sie fleuchten hin und spielten Wollustspiele, ergötzten sich an weißen Wasserwonnen. Goldregen glänzte da und Silberweide, man hielt es für Metall, es war doch Holz. Tief hingen die lasziven Arme von grünlichen Ranken, wanden sich am Boden und tippten in das Wasser, so als wollten sie von den Fluten nippen, und sie waren von silbernem Tau betupft, ganz zarte Blumen, kristallene Tropfen schienen sie zu weinen. Unendlich flossen Ströme aus der Quelle, aus der Fontäne, süß und schön zu sehen, sie sanken hin und sprangen wieder auf. Aufrecht schien die Fontäne hinzusegeln über den See, die Ufer grün bestanden mit Tränenbambus, schattenspendend vor den Sonnenstrahlen, die sich betteten auf moosigem Kissen und im Wasser schwammen. Die Morgenröte breitete betaute goldene Schwingen, da rief unser Jüngling: "O Allerhöchste, nimm du mir die Ketten des Daseins, schütze den Kaiser des Reiches! Beim Pfirsichbaum des Lebens säße ich gern, die Herde weidend. O der Seele Sehnsucht! Wie Flammenwehen ist mir bewegt das Herz. Geht mir ein Lamm verloren in den Bergen, so zeigte mir es ein Traum, wenn ich im Schatten des Baumes bei den Lebensfrüchten schliefe." So sprach Tau Ti und saß an einem Hügel und sah das rosige Gewölk des Morgens, da trat eine Himmelsbotin herrlich zu ihm, ein Schwert und eine weiße Fahne tragend, gekleidet wie eine Schäferin, und sie sprach: "Gruß dir! Steh auf, Tau Ti, laß nun die Herde, ich rufe dich zu einem andern Amt. Nimm diese Fahne, dieses Schwert umgürte. Zieh schließlich du von Xian nach Peking und werde Kaiser." So sprach die Jungfrau, darauf sprach Tau Ti: "Wie kann ich solcher Tat mich unterwinden, ein zarter Jüngling, nicht vertraut mit dem Geschäft des Herrschens?" Und da sprach die Botin: "Dem kindlichen Gemüt ist alles möglich. Die Göttin ist mit dir, und sie wird es dir geben. So will sie wunderbar dich bewahren, bis du von Xian nach Peking umgezogen bist. Xian soll deine Burg sein, schlage dort dein Zelt auf." Sprachs und rührte Tau Ti das Augenlid an, und als er aufsah, war der Himmel bevölkert von Unsterblichen und Geistern und Seligen, die rote Pfingstrosen hielten, und süßes Tönen schwand in linden Lüften. Da sprach die Gnadengöttin: "Du folge mir. Wer hier dient, der wird jenseits vergöttlicht." Süßer Melodie sang sie. Die Himmlische ließ nun das Gewand der Hirtin fallen, und in ihrer Herrlichkeit vom dritten Himmel stand sie da im Schimmer des Morgenrots, und purpurgoldne Wolken trugen sie hinan, langsam schwindend, in die Himmel ewiger Glückseligkeit. Jetzt ging Tau Ti zur Hirtenhütte, um vom alten Hirten Abschied zu nehmen, dem göttlichen Ruf nach Xian zu folgen. Da packte er die Siebensachen: das Schwert, die Chin, das Messer, das Schreibgerät, sein Buch, die goldnen und silbernen Stäbchen; band Kniebinden um von roter Farbe und ging davon.


KRIEGE


Ich habe einen Weg hinter mir und abenteuerliche Erfahrungen gemacht mit meinem Kaiser. Als seinen Sohn hat er mich mitgenommen, Heerführer war ich auf Eroberungszügen gen Süden und gen Westen. In Luoyang, der kaiserlichen Residenz, rief Kaiser Tsao seine Schar zusammen, dreitausend Mann. Zweitausend ritten mit dem Kaiser zu den Westbergen bei Peking. Ich selber ritt mit tausend Mann nach Xian, mir zur Seite Sa-Muan der Weise und Sima Qian der Annalenschreiber. Entlassen waren die Übrigen in die Gemächer am schönen Kaiserhof. Ich aber ging durch Kaifeng, durch die Stadt, wo gerade ein Hunne eine Jüdin gewaltsam nehmen wollte, ich habe sie gerettet; sie kam von jenseits der Seidenstraße aus Juda und hieß Mahanajim. Der Kaiser Tsao ließ die Posaunen blasen im Land. Und China hörte: Unser Kaiser reitet gen Süden und hat schon den Yangtsekiang, den Blauen Strom im Süden überwunden und ist durchs Blütenland gekommen bis ans Meer. Fußvolk wie Sand am Meer war mit ihm. Sie zogen aber wiederum herauf und lagerten beim Berge Maanshan. Als nun die Südleute, die Miao und andre Stämme, sahen, daß das Volk bedrängt war, da verkrochen sie sich in Höhlen und Grotten und verbargen sich in den drei Schluchten am Blauen Strom und im Steinwald. Höhlen, Klüfte, Felsen und Gruben waren da von weißem Kalk, denn vor vielen tausend Jahren war ein Meer dort gewesen und verschwand und ließ bizarre Felsformationen im Land zurück. Und durch die Wasser ihres Yangtsekiang gingen die Yuan und die Yü und die Miao hin, südgeborne wilde Stämme. Der Kaiser war in Kanton angekommen, der Stadt im Süden, einer weißen Stadt, und Rauschen ist zu hören vom Südmeer. Die Menschen, die mit unserm Kaiser waren, zitterten vorm Zauber der Miao. Der Kaiser aber wartete neun Tage, bis zu der Zeit, die ihm Sa-Muan bestimmt, nachdem er das Orakel befragt hatte. Als Sa-Muan von Xian nicht herunterkam zum Kaiser ins Südland, liefen die Menschen vom Kaiser fort. Es war gerade die Zeit des Frühlingsopfers. Der Kaiser Tsao sprach: „Bringt dar ein neues Brandopfer!“ Da zündeten sie Feuer auf einem Hügel und auf den Gestellen die Kerzen und gedachten der Göttin. Als nun vollbracht war das Opfer, kam der Weise Sa-Muan, und Kaiser Tsao ging ihm entgegen und sagte: „Friede, Friede, der Himmel sei über deinem Haupt und bringe dir Glück und Segen!“ Sa-Muan sprach: „Was tatet Ihr?“ Der Kaiser Tsao sprach: „Wir sahen, daß das Volk von Uns zu fliehen begann, und du kamst nicht zur rechten Zeit, dieweil sich die Miao schon in des Blauen Stromes Schluchten sammelten und durch das Blütenland die Zaubereien sandten, die beschwingten Dunkelheiten. Da dachten Wir Uns: Jetz kommen die Miao und die Yü und die Yuan herab nach Kanton, und Wir haben noch die Gnade Unsrer Gottheit nicht gesucht. Da wagten Wirs und opferten ein Opfer, zündeten Weihrauchstäbchen Weiße Milch der Roten Blume an.“ Sa-Muan sprach aber: „Ihr habt gehandelt wie ein Narr, Ihr habt nicht gehalten das Gebot der Gottheit; Brandopfer will sie nimmer, sondern Liebe zur Gottheit und die Liebe untereinander. Sie hätte Euch auf Eurem Kaiserthron bewahrt für immer als den Kaiser über das Reich der Mitte für und für. Doch jetzt wird Euer kaiserliches Zepter nicht in Euren Händen bleiben. Die Mutter im Himmel hat einen Menschen gesucht nach ihrem herrlichen Herzen und hat ihn bestellt zum Prinzen über ihr geliebtes Volk; denn Ihr habt das Gebot der Gottheit nicht gehalten, denn nicht Liebe trieb Euch in den Süden, sondern böses Kriegsgelüst.“ So sprach der Weise Sa-Muan und machte sich auf von Kanton und zog seines Weges. Ich aber sprach zu meinem Waffenträger so: „Komm, laß uns hingehen zum Volk ins Südland.“ Dort hatten die Miao sich wieder gesammelt und die Yü und die Yuan, nachdem der Kaiser Tsao jenes Land verlassen hatte. Da gingen wir dahin, doch meinem Vater sagte ich nichts davon. Der Kaiser Tsao saß in Luoyang, in seiner Residenz am Gelben Strom, und mit ihm waren an die fünfhundert Mann. Und Sa-Muan, der Freund von Sima Qian und Mosü, war ein weiser Mensch und trug den Schurz und in dem Gürtel das Orakel. Das Volk am Kaiserhofe merkte nicht, daß ich gegangen war. Es waren da im Südland am Blauen Strom sechs Schluchten. Dort gibt es eine Steinschatzfestung, die als Perle auf dem Fuß bezeichnet wird. Dort gibt es eine enge Stelle, die bezeichnet wird als Mönch, der mit dem Kopf nach unten hängt. Da gibt es noch die Schlucht der Zauberin. Da gibt es den Elfengipfel. Denn hier besuchte einst die Himmlische Ji einen jungen Herrscher namens Da Yu. Ich stand mit meiner Wache am wilden Nordufer, die Miao waren am Südufer im Kiefernhain verborgen. Da sprach ich zu meiner Wache: „Komm, laß uns hinübergehen zu den Barbaren!“ Sie tragen ihre schwarzen Haare nicht zierlich geknotet, sondern lassen sie lang fallen oder flechten sie zu Zöpfen und knöpfen ihre Kleidung links sich zu, barbarisch sind sie wie des Ostens J-Barbaren und des Westen Jung-Barbaren. Da sprach meine Wache: „Die Miao im Süden haben ein beschwingtes Sprichwort: Ein Mensch, der nicht beständig ist, der ist nicht geeignet zu großen Wunderwerken. Kung Fu Tse meinte, dies sei wahres Wort.“ Da sprach ich: „Möge uns der Himmel helfen! Es ist der Allerhöchsten nicht zu schwer, durch wenig oder viel zu helfen.“ Da sprach meine Wache: „Tue alles, was dir in deinem Herzen ist, geh nur hinüber über den Yangtsekiang. Siehe, ich bin mit dir, wie dein edles Herz es will.“ Da sprach ich: „Wohlan, gehen wir zu den Miao, zeigen wir uns ihnen jetzt. Wenn sie uns sagen: Steht still! so wollen wir stille stehn und nicht zu ihnen gehen den Kiefernwald hindurch auf den Elfengipfel. Wenn sie uns sagen: Kommt nur zu uns! so wollen wir zu ihnen gehen, denn dann hat die Göttin sie uns in unsre Hand gegeben. Das soll uns zum Zeichen sein. Als wir uns den schönen und schrecklichen Zauberinnen der Miao zeigten in voller Größe, sprachen sie: „Han-Leute kommen aus den Höhlen hervor, in denen sie sich bang verkrochen haben!“ Die Mädchen der Miao riefen mir und meiner Wache zu: „So kommt herauf, so wollen wir es euch schon lehren!“ Da sprach ich zu meiner Wache: „Steig mir nach, die Gottheit gab sie in Chinas Hände.“ Ich kletterte mit Händen und Füßen den Elfengipfel hinan, meine Wache mit mir. Die Zauberinnen der Miao legten einen Fluch auf meine Wache, so daß der Jüngling einschlief und nicht mehr erwachte, doch der Himmel schützte mich. Da eilte ich davon, den Elfengipfel hinab und durch den Kiefernwald am Wasser des Blauen Stroms entlang und traf auf die schrecklichen Männer der Miao. Da nahm ich mein Schwert in meine rechte Hand und war bereit. Es waren ungefähr ein Dutzend Männer auf dem kleinen Reisfeld am Stromufer, welches grünlich wogte, ganz unter Wasser stand, und Wasserbüffel mit zottligen Mähnen zogen Pflüge. Und es entstand ein Schrecken bei den Männern, die Erde bebte. Und da riefen sie: „Das Meer des Uranfangs kommt wieder, und der Mutter Erde Pfeiler stürzen ein!“ Sie hatten Angst, daß jetzt die Ordnung zusammenbricht und wiederkäme das uralte Chaos. Der Kaiser Tsao war mit seinen Scharen in das Provinzland Szetchuan gekommen und ward bedrängt von Osten her von den J- Barbaren und von Westen her von den Jung-Barbaren, die die Haare lose tragen. Da sprach der Kaiser so zu seinem Volk: „Zählt und seht, wer von Uns weggegangen ist.“ Und während das Getümmel derer, die die Haare lose tragen, hin und her wogte, zählten sie unsres Kaisers Scharen und siehe, sie vermissten mich. Da sprach der Kaiser zu Mosü, dem gelehrten: „Bring Uns die Schafgarbestengel und das Buch I Ging.“ Denn Mosü war mit heruntergekommen ins Provinzland Szetchuan und trug die Orakelstengel und das Buch I Ging zu jener Zeit vorm Reich der Mitte. Und als der Kaiser Tsao noch mit dem Heiligen Menschen redete, ward das Getümmel in dem Lager der Barbaren noch größer. Mosü war ein Heiliger, weil er das Tao in dem Te pflegte, das eine Wort in seiner Lebenskraft, und die Straße zur Unsterblichkeit gefunden hatte. Da las Mosü das Orakel mit den Schafgarbestengeln aus. Und Kaiser Tsao und das ganze Volk, das bei ihm war, sammelte sich im Provinzland Szetchuan, dann zogen sie über den Dadu He am östlichen Ausläufer des Himalaya, wo Chinas geweihter Grund zu einem Kampfplatz wurde. Die Berge hoben ihre Häupter in die weißen Wolken, und die grünen Wiesen färbten sich mit Blut. Die J- und Jung-Barbaren aber kämpften, und mächtig wogten sie in dem Getümmel, da jagte China den Barbaren nach und trieb sie weit in die Barbarenländer zurück, und den Himalaya bestimmte China als die Grenze des Reiches der Mitte. So half der Himmel China diesen Tag. Als Chinas Männer in Bedrängnis waren, belegte sie der Kaiser mit einem Fluch. Zwar sagte das I Ging: „Bei Wein und Speisen gerät in Not man, doch der Mensch mit roten Kniebinden kommt!“ Der Kaiser Tsao schwor: „Verflucht sei jedermann, der etwas ißt bis an den Abend, bis Wir Uns an Unsern grimmigen Feinden rächen.“ Und da aß das ganze Volk des Kaisers Tsao nichts. Es waren aber Bienenstöcke mit goldenen Honigwaben da in einem Garten, gelegen an dem östlichen Ausläufer des Quinhai-Tibet-Plateaus, da sammelten die Bienen sich im Flug die Süße aus den tiefen Blütenkelchen. Und als das Volk zu jenen Waben kam, da floß der Honig. Aber niemand nahm davon mit seiner Hand in den Mund, das Volk fürchtete den kaiserlichen Fluch. Ich aber hatte nichts davon gehört. Ich streckte meinen Stab aus und tauchte seine Spitze in den Seim des Goldes und führte meine Hand zum Munde. Da sprachen, die mich sahen: „Seine Augen leuchten.“ Da hob einer an: „Dein Vater hat unser Volk mit einem Fluch belegt: Verflucht sei jedermann, der heute ißt! So sind die Menschen heute matt geworden.“ Da sprach ich: „Kaiser Tsao bringt Unglück über das Land; seht doch, wie meine Augen leuchten, weil ich ein wenig von dem Honig speiste! Und hätten unsre Männer heute gegessen von ihrer Beute, hätten wir das Volk der Man im Süden auch noch überwunden.“ So sprach ich. China überwand an jenem Tage von Szetchuan aus alle Völker im Süden, kam durch die Provinz Yunnan und kam in den berühmten Steinwald. Ich zog ein in Kunming, der Hauptstadt dieses Landes, erhoben am Dianchi-See, ewigen Frühlings wunderschöne Stadt. Im Stadtnordwesten liegt der von neun Quellen gespeiste Jadesee mit Jadepark. Von dort aus gingen wir zum Dianchi-See, wo ein von Majolika gedeckter Steinpavillon auf roten Nephritpfeilern steht auf einem weißen Marmorfundament. Dann gingen wir vorüber am Bambustempel, der Stätte der Poeten, die sich mühen, den grünen Bambuszweig zu erringen, die einen großen Becher Wein leeren und hundert Verse in der Nacht schreiben. Und wir gingen vorüber am Teich der Drachenquelle, wo Zypressen und Pflaumenbäume stehn und Kamelien blühn. Vorbei der Perlenquelle kamen wir zum Steinwald, wo die Felsen Namen haben wie: Mutter-Sohn; Zehntausendjahre-Wurzel; aus dem See gestiegnes schönes Mädchen. Und ich bestieg den Felsen Mutter-Sohn mit meiner Wache, wo wir betend dankten dem Himmel für die Rettung aus Bedrängnis. Dann gingen wir hinunter zum Felsen: Ein aus dem See gestiegnes schönes Mädchen! Da bewunderten wir die süße Schönheit der beseelten Natur und konnten uns kaum trennen von jener Aussicht. Aber wir sind weitergegangen in den kleinen Steinwald, südlich gelegen vom Steinwald-See, wo viele Felsengrotten sich befinden. Am Vierundzwanzigsten des sechsten Monats findet da ein Fackelfest mit Kampfkunst und Pferderennen, Sing- und Tanzeinlagen statt. Wir kehrten um und stießen mit den Scharen unsres Kaisers zusammen, die sich auf dem Quinhai-Tibet-Plateau gelagert hatten. Die Menschen waren alle ziemlich matt, da fielen sie über jene Beute her, die sie im hohen Tibet gemacht, und nahmen Schafe, Lämmer, Rinder, Kälber, und schlachteten sie, das Blut floß auf die Erde, und aßen dann das Fleisch mit seinem Blut. Da sagte man dem großen Kaiser Tsao: „Benehmen sich die Menschen doch wie Wilde, wo Chinas Göttin sie jedoch gelehrt, Körner und Gemüse zu essen. Wussten nicht die edlen Heiligen Menschen nur mit einem Reiskorn und einem Tropfen Tau am Tag den Leib in jugendlicher Frische zu erhalten? Jetzt fressen Chinas Männer Fleisch mit Blut und werden wie die wilden Arier. Man wälze einen schweren Felsen vom Tibetanischen Plateau zum Kaiser Tsao.“ So sprach man, als die Männer Wilde wurden.


DER KAISERHOF


Als der Kaiser Tsao, sprach man in Luoyang im Pfingstrosenhain, erlangt die Kaiserwürde und auf dem jadenen Kaiserthron saß, kämpfte er mit seinen Feinden ringsumher: im Norden bekämpfte er die Hunnen und Mandschuren und Mongolen, im Osten die japanischen Piraten, im Süden die Inder und im Westen die Perser, Kirgisen und Uiguren. Und wo er sich hinwandte, da gewann der Friede Sieg. Und er vollbrachte viele tapfre Taten und überwand Bengalens Mandalay und errettete das Reich der Mitte aus den Händen aller, die es ausgebeutet. Des Kaisers Söhne waren Gen der Fels und Djin, das Haupt der Vorhut, und Ling der Hügel. Und seine Töchter waren: Gelber Mond Hsin-gan, die erstgeborene, und Mei-Shan, das Schwesterchen Gebirge, die jüngere. Der kaiserliche Herr vermählte sich aufs Neue, die edle Dame trug den Namen Tai-Tai, sie war von Taiwan gekommen, wo der Stamm der Paiwan in den Bergen auf der Insel siedelte. Und Tai-Tai war nicht nur so schön wie innig, so schön wie in der Nacht der Weltenraum, sie war auch klug wie eine Schlange, und wenn sie durch den Palast schlüpfte, bebten die Flügeltüren, wen sie ansah, der empfand die Seligkeit der Seligen. Am Kaiserhof hieß der Feldhauptmann Dscheng, Draufgänger war er und der Sohn des Prinzen von Tschen, der wiederum ein besserer Dichter als Herrscher war und zu der Laute Pipa den unsterblichen Vers erfand: "Nicht ich verwarf vom Ursprung her die Welt, die Menschen der Welt verwarfen mich." Des Kaisers Mutter war ebenfalls am Hof, sie hieß Nian-Nian und war der menschgewordne Silberstrom des Firmaments, aus einem kaiserlichen Geschlecht, das ihres Stammes Baum zurückführte bis auf den Gelben Kaiser, der einst vom Himmlischen Mädchen im bunten Kleid des Regenbogens unterwiesen worden in göttlichen Angelegenheiten, von Tsai Nü; und von dem Mädchen Einfalt, einer erwählten Schönen und bewandert in Musik und Poesie, vom Mädchen Su Nü war er unterwiesen worden in Dingen der Menschlichkeit. Dies waren also die Vorfahren der Nian-Nian, der Kaiserin-Mutter. Es waren aber schwer die Kämpfe gegen die Hunnen, als der Kaiser Tsao lebte. Und wo der Kaiser einen tapfern Mann gefunden, nahm er ihn in seinen Dienst. Doch weilte er am Hof in Luoyang, so liebte er es, im Pfingstrosenhain zu wandeln, wo all die Schönen wandelten des Hofes; und dort erging er sich mit seiner Tai-Tai, umschwärmt von jungen Dichtern, Mandarinen und Malern, und da war am Hofe auch der Großhistoriograph der Han-Zeit, Sima Qian, unsterblichen Nachruhms gewiß. Da sprach der Kaiser Tsao: "Nun, Wir wollen hören, wie deine Arbeit fortgeschritten ist an den Annalen." Da sprach Sima Qian: "Mein dreiundfünfzigstes Buch ist kurz vor der glücklichen Vollendung. Aber ich schreibe an einem Buch für Kinder gerade, mit denen Eure Majestät gesegnet sein möge." Und da lächelte die Tai-Tai und sprach: "Kindliche Einfalt hab ich lieb. Denn aus dem Mund der Kinder wird der Höchsten ein Lob bereitet. Und wie sagte doch einst Lao Tse: Die Welt hat eine Mutter, und wer die Mutter erkennt und seine eigne Kindschaft anerkennt, der ist beim Untergang des Leibes ohne Gefahr. Auch ich will anerkennen meine Kindschaft und lasse mich gern belehren wie ein Kind." Es war am Kaiserhof in Luoyang, die Kaiserin ging in dem Pfingstrosenhain und sprach: "Wo ist mein Liebling Djin?" Da sprach die Konkubine, welche bei ihr stand: "Ich sah, wie er im Pavillon der Dichtkunst verschwand im Bambustal." Da ging die Tai-Tai mit ihrer Konkubine in das Tal, trat in den roten Pavillon der Dichtkunst mit grüngeschwungnen Dächern und Gesimse von Gold verziert mit Wellenornamenten, sie trat hinein und fand dort ihren jungen Djin mit Mandarinen sprechend und wunderte sich nicht wenig über seine auserlesnen Weisheitsrede. "O Xian, lieb hab ich die Pavillons der Wonneseligkeit und der Erquickung! Schön einsam sollen deine Wasser bleiben, die Aufenthalte heißen meiner Göttin!"


HIMMELFAHRT


Nun stieg Tau Ti die Räume hinauf und kam zu einem Stern, wo eine Himmlische ihn sah, ihn begrüßte und die Worte sprach: "Komm und sieh." Da war auf jenem Stern ein Hain von Tung-Ölbäumen, nahebei die Kelter, und in einem Bottich war gepresstes Öl gesammelt. Und die Himmlische schöpfte mit einer Kelle vom Öl und goß es über das Haupt von Tau Ti. Dann sprach die Himmlische: "Wenn du weiterwanderst, werden dir die Genien begegnen, die von der Höhe herabgekommen sind, vor ihnen her tönt Pipa, Tamburin, Chin, Flöte, und sie singen in Verzückung. Der Geist der Allerhöchsten wird dann über dich kommen, du gerätst in Verzückung, da wirst du umgewandelt und ein neuer Mensch werden, o Tau Ti!" Die Himmlische sprachs. "Wenn nun bei dir eintreffen diese Zeichen, dann tu, was dir vor die Hände kommt. Tau Ti, die Allerhöchste ist mit dir!" Tau Ti ging weiter über den Stern, da gab die Göttin ihm ein anderes Herz. Und wie Tau Ti so weiterwandelte, kam eine Schar von Geistern in Verzückung laut musizierend, und sie sahen, daß Tau Ti auch in Verzückung war, sie lauschten, wie er in Begeisterung sang: "Mit meiner Göttin spring ich über die große Mauer! Als ich an einen Kreuzweg kam, da sank ich nieder, und ein himmlisches Wesen ist mir erschienen und nahm mein altes Herz aus meiner Brust und setzte mir ein neues Herz ein, das war wie Diamant, wie glühende Kohle; da hörte ich die Wurzel wachsen, und die Reisfelder schaute ich in Chinas Zukunft. Mit meiner Göttin spring ich über die große Mauer!" Jetzt stieg Tau Ti hinan den ewigen Äther. "Warum hat die Göttin mich verlassen?" seufzte er, er liebte seine Göttin inwendig, seine Mutter. Jetzt sah er einen lichten Stern, da war umher ein Meer kristallener Klarheit, und ein Rauschen tönte ihm durch die Seele; da kam eine Himmlische an, die Himmlische des Imperiums, die Schutzhimmlische Chinas! Die Himmlische stand auf einem Stern und flog über das kristallene Meer des Himmels, ein süßes Meer voll Rauschen, mit dem Hauch der Morgenröte. Sie in einem langen wallenden weißen Kleide stand auf jenem schwebenden Stern, und viele grüne Seidenbänder wehten ringsumher, und umgaben ihren ganzen Leib und wehten von der Bewegung; und in ihre Haare waren Perlenschnüre eingeflochten, schimmernd wie Perlmutt, andere Bänder hingen wie ein kristallner Schleier voller Morgenröte auf ihre Brust, wo sie in weißes Linnen gewickelt hielt ein Kind in den Armen. Die Himmlische sprach: "Mein liebes Kind Tau Ti, siehe, ich bewahre noch die Ungeborenen, so bewahre ich auch dich mit meiner Barmherzigkeit. So manches Wort wirst du noch hören über mich, das Lügner reden. Doch wisse: Es gedenken seit der Urzeit in China Menschen der Allerhöchsten. Dreitausend Jahre vor unserer Zeit flehte der Gelbe Kaiser zu ihr; und ihre Gnade und Erbarmung war mit den Mythenkaisern Yao, Shun und Yü. Die Allerhöchste ist deine Gottheit, Eine Gottheit, und du sollst keinen andern Göttern neben ihr huldigen." Jetzt sah Tau Ti eine Halle, die nahe stand an einem sanften Hügel, auf dem ein Kreuz gebildet war von einem Rohholz des Einfachseins senkrecht und einer schimmernden Messingstange waagerecht. Da kam ein wunderschönes Mädchen an, gar lieblich anzusehn, die einen Stein in ihrem Haupthaar trug, der wie Perlmutt glänzte, sie war in ein langes rotes Seidentuch gewandet; sie sprach mit einer Stimme, die war wie ein Glockenspiel, so süß wohltönend lieblich: "Ich heiße I-Ma und werde dir die himmlische Musik beschreiben. Siehe dort", sprach I-Ma süße Himmelsworte, "die Tung-Ölbäume auf dem sanften Hügel, das Haus von weißer Jade dort, das ist das Haus der Allerhöchsten, deiner Göttin! Du siehst da den lichten Schein, der von den Opferlampen kommt und den geweihten Kerzen. Siehe die prächtigen Gewänder, die die hohen Priester tragen, nimm wahr die Schwaden parfümierenden Weihrauchs. Horch auf die Stimmen und die Flötenklänge, die Knochenflöte tönt vom Hügel her, da scheinen alle Bäume aufzuwachen. Am meisten aber liebt die Allerhöchste den Klang der Chin. Es ist des Meisters Wunsch, mit einer Chin im Arme tatenlos das Reich der Mitte zu regieren. Siehe, der Allerhöchsten Musikanten wissen, Huldigungshymnen der Göttin anzustimmen zur Pipa. Viele Eremiten, die im Himmelreich angekommen sind, können ganz wunderbare Melodien spielen auf der Se, dem alten Instrument. Die Lieder sind so schön, so übersinnlich! Bittsteller können Weihrauch zünden und sich mit dem Haupt zu Grund demütig neigen. Die Herrin des Himmels singt am liebsten Lieder der Liebe, weil ihr Herz unendlich voll von Liebe ist, daß sie im Himmel schon den Sitz einnehmen mußte, weil allein im Himmel ihre Liebe Heimat und Erfüllung findet!" Und I-Ma jubelte: "Aya!" und schwieg. Da kam ein Wächter an mit trunkenem Gang und führte Tau Ti durch die Halle und durchs rote Nephrittor ins Freie. Da stand bei einem Park mit Seen und Wunderfischen Tau Ti, da sang er diesen Trostgesang: "O Allerhöchste, auf dich trau ich immer, laß du mich nimmermehr zuschanden werden. Ruf ich, so neige du dein Ohr zu mir und hilf mir eilends! Sei du mir ein weißer Stein und eine feste Stadt im Himmelreich. Um deines Namens willen leite mich. Du wollest mich aus jedem Netze ziehen, daß sie auswerfen, mich zu fangen; denn du bist meine Kraft und meine Tugend. In deine Hand befehl ich meinen Geist, denn du erlösest mich, o Mutter im Himmel, Barmherzigkeit und Gnade, Göttin der Liebe! Ich danke dir für deine liebe Güte, da kann ich endlich einmal wieder lächeln; du siehst mein Elend an und nimmst mich auf in Not. O Göttin über großen Wassern, stell meinen Fuß auf einen weiten Raum. Sei gnädig mir, und nehme du mich auf, in der Menschen Herz bin ich ja schon vergessen wie ein Toter. Wie ein Totengräber bin ich im Verborgenen, sie wandeln über mich hin und kennen meine Seele nicht. Ich aber, Mutter im Himmel, hoffe auf dich, ich singe: Du bist meine Göttin der schönen Liebe!" Da stand Tau Ti vorm roten Nephrittor, und alles dies war himmlischer Palast, im blühenden Gefilde ging er da, vorüber den fünf Seen mit Wundervögeln; da kam zu ihm die Himmelsfreundin I-Ma mit einer Schale Myrrhe in den Händen, sie goß die Myrrhe übers Haupt Tau Ti, da floß es im schwarzen Haar herunter. "Nimm du mich an als deine Himmelsfreundin, ich bin dir von Herzen zugeneigt." Im Gewand von rosaroter Seide ging I-Ma neben ihm und hielt ihn an der rechten Hand und sprach: "Dort siehst du die Milchstraße, Milch ists von der Brust der Mutter. Siehst du die weiße Spur wie einen Schleier wehen? Reiner Pfad von Himmelstau. Dies ist ein Sternenstrom, und manche sagen, die Wildgans, Weißgans und Schneegans ziehen auf dem Pfad. Jenseits sieh das Sternbild Schwan, ein Sternbild auch, das die Barbaren Leier nennen, wir aber nennen es die Chin. An der einen Seite ist das Sternbild Weberin, und an der andern Seite ist das Sternbild Hirte. Getrennt waren sie durch den Sternenstrom, und Elstern bildeten an einem Tag im Jahr eine Brücke für die beiden. Und einmal überreichten sie einander Geschenke, also findet man vorm Hirten die Spindel, vor der Weberin das Joch." Da wies die liebe Phönixfreundin I-Ma mit Fingern zu der morgenroten Wolke, auf der sich beide jetzo niederließen und langsam auf dem weichen Pfuhle schwebte. Da umarmte I-Ma ihren Liebling Tau Ti mit ihren jadeweißen Armen und drückte ihn an ihre milchweißen Brüste.