Kinderbuch
von Josef
Maria Mayer
Lieber
Milan, lieber Simon,
wovon
ich euch schreibe, das ist ungefähr zehntausend Jahre her. Zwischen
Europa und Afrika befinden sich die Säulen des Herkules, und östlich
davon lebten die Griechen mit ihrer Hauptstadt Athen, und westlich
davon lebte das Volk von Atlantis. Und zwischen dem Volk der Griechen
und dem Volk von Atlantis war Krieg. Bei dem Volk der Griechen
herrschten die demokratisch gewählten Volksvertreter, bei dem Volk
von Atlantis herrschten noch die heiligen Könige. Die Insel Atlantis
war riesengroß, größer als Afrika und Asien zusammen. Aber durch
ein Meeresbeben und ein Erdbeben ist die Insel Atlantis
untergegangen. Nun findet sich an ihrer Stelle nur noch Schlamm. Wenn
einer nun mit einem Schiff von Europa aus über den Atlantischen
Ozean fahren möchte, um Amerika zu entdecken, dann wird er
sicherlich in dem Schlamm stecken bleiben, den die Insel Atlantis bei
ihrem Untergang hinterlassen hat.
Es gab damals viele
Völker, die zu den Griechen gehörten, und viele andere Völker, die
nicht zu den Griechen gehörten. Die Völker, die nicht griechisch
waren, nennt man Barbaren. Vielleicht erzähl ich euch noch etwas von
der Demokratie von Athen, der Hauptstadt der Griechen, oder von der
Monarchie, der Herrschaft der Könige, die niemandem zu gehorchen
hatten als Gott allein. Vielleicht spreche ich erst einmal von den
Griechen, die Kunst und Weisheit mit den Löffeln gefressen hatten.
Die Griechen
glaubten, dass es im Himmel viele Götter gibt. Und am Anfang haben
die Götter die ganze Erde unter sich aufgeteilt. Dem einen Gott
gehörte Asien, dem andern Gott gehörte Afrika und wieder einem
andern Gott gehörte Griechenland. Aber die Götter lieben den
Frieden und haben sich nicht um die Erde gestritten, wie es heute die
dummen Menschen machen, die so gerne Kriege führen. Die Götter sind
auch klug und weise, sie wussten ganz genau, welchem Gott Asien
gehören muss und welchem Gott Afrika gehören muss und welchem Gott
Europa gehören muss. Es wollte kein Gott eines Landes das Land eines
anderen Gottes erobern. Jeder herrschte über das Land, das zu ihm
passte. Jeder Gott liebte sein eigenes Volk und wohnte auch mitten
unter seinem Volk. Ein Gott ist zu seinem Volk wie ein Hirte zu
seiner Schafherde. Gott führt seine Menschen auf grüne Wiesen und
an Ruheplätze an stillen Flüssen. Gott führt seine Menschen, er
geht mit seinem Hirtenstab voran. Und wenn ein kleines Lamm sich
verlaufen hat, so sucht der Hirte das verlorene Schaf so lange, bis
er es wiedergefunden hat. Gott führt sein Volk wie ein liebevoller
Vater, nicht mit Schlägen, sondern indem er mit ihnen spricht und
sie belehrt.
Von
den Griechen sagt man, dass sie das Volk eines Gottes und einer
Göttin gewesen sind. Der Gott hieß Vulkanus, er lebte unten in
einem Vulkan und war ein Schmied und machte viele
Goldschmiede-Kunstwerke. Die Göttin war die Göttin Athene. Nach der
Göttin Athene ist die Stadt Athen benannt, die Hauptstadt der
Griechen. Athene war die Göttin der Weisheit. Der Gott der Kunst und
die Göttin der Weisheit regierten über die Griechen, und darum
waren die Griechen große Künstler und große Philosophen. Der Gott
und die Göttin pflanzten nun auf der griechischen Erde schöne
Menschen an, wunderschöne Frauen und sehr kluge Männer und ganz
wundervolle Kinder. Dann lehrten der Gott der Kunst und die Göttin
der Weisheit das griechische Volk, wie man den Staat regieren muss.
So wurde die Demokratie erfunden. Die alten Griechen, ihre
Volksvertreter, ihre Künstler und Philosophen, sind mit der Zeit in
Vergessenheit geraten. Wer kennt heute schon noch den Präsidenten
der Demokratie namens Perikles? Wer liest denn heute noch das schöne
Märchen vom klugen Odysseus, das Homer geschrieben hat, der blinde
Seher? Und wer versteht heute noch den Philosophen Platon, der viele
gute Ideen hatte?
Es ist ja so: Wenn
Menschen alt werden und sterben, dann werden andrerseits neue
Menschen geboren, nämlich die Kinder. Aber Kinder können erst
einmal nicht lesen. Das müssen sie dann mühsam in der Schule
lernen. Und nur wenige Kinder haben in ihrer Kindheit gehört, was
der starke Herkules getan und was der kluge Odysseus gelitten hat.
Und wenn auch Kinder von Odysseus und Herkules gehört haben, so
wussten sie doch nicht, ob damals Demokratie oder Monarchie in
Griechenland geherrscht hatte. Die Kinder kennen nur ein paar Namen
aus der Geschichte der Griechen. Odysseus und Herkules kennen sie.
Aber kennen sie auch die göttlichen Zwillinge? Kennen sie auch die
schöne Helena? Da gibt es noch viel zu lernen! Und, liebe Kinder,
habt ihr schon einmal dies überlegt: Ist es besser, dass das ganze
Volk herrscht, oder ist es besser, dass ein guter König herrscht?
Und was macht einen guten Menschen aus? Muss er klug sein? Muss er
gerecht sein? Muss er mutig sein? Muss er bescheiden sein? Nun, wenn
Kinder nicht in Armut und Not leben, wenn sie genug zu essen und zu
trinken haben, und wenn sie lesen gelernt haben, dann können sie ja
viele interessante Dinge lernen! Wenn man allerdings immer
beschäftigt ist, hat man keine Zeit nachzudenken. Und weil die
meisten Menschen das Geld über alles lieben, darum arbeiten sie so
viel. Und weil sie so viel arbeiten, denken sie nie nach. Und so
geriet der kluge Odysseus in Vergessenheit. Und so geriet die Insel
Atlantis in Vergessenheit.
Ein alter weiser
Priester aus dem Alten Ägypten erzählte den Griechen von Atlantis.
Die Priester der Pyramiden wussten vieles über den Krieg zwischen
Griechenland und Atlantis. Sie kannten auch die griechischen Könige,
einen nach dem andern. Der jüngste griechische König war der König
Theseus. Der erlebte viele Abenteuer. Und die Priester wussten auch
viel über die griechischen Frauen. Die schönste Frau Griechenlands
war die schöne Helena. Die schöne Helena war die Schwester der
göttlichen Zwillinge. Und wenn die Griechen in den Kampf zogen, dann
waren nicht nur die Jungen starke Krieger, sondern auch die Mädchen
kämpften. Und weil die Mädchen gute Kämpferinnen waren, darum
stellten die Griechen die Göttin Athene mit Helm und Lanze dar. So
bewaffnet war Athene aus dem Kopf Gottes geboren worden. Die Griechen
hatten eine große Statue der bewaffneten Göttin in Athen stehen.
Sie wurde auch als Kriegsgöttin verehrt. Jungen und Mädchen zogen
gemeinsam in den Kampf für die Freiheit. Denn was Jungen können,
das können Mädchen meistens auch sehr gut. Mädchen und Jungen sind
ja beides Bilder Gottes. Jungen sind Gott ähnlich. Und Mädchen sind
auch Gott ähnlich. Ob ihr es mir glaubt, oder nicht.
Damals
gab es in Griechenland Bauern und Arbeitssklaven, Kaufleute und
Politiker. Aber die Krieger und Kriegerinnen lebten getrennt vom
anderen Volk. Alte Seher, die Gottes Gedanken kannten, wählten die
besten Krieger aus. Die jungen Krieger wurden von den alten Kriegern
erzogen. Sie lernten alles, was ein guter Krieger wissen musste. Die
Krieger lebten wie Brüder zusammen. Sie teilten gerne. Was dem einen
Bruder gehörte, das gehörte auch dem andern Bruder. Alle Krieger
waren untereinander die besten Freunde. Sie hatten alle genug zu
essen und zu trinken. Sie waren nicht reich, aber auch nicht arm. Sie
hatten alles, was sie brauchten. Sie brauchten nicht zu betteln. Sie
mussten auch nicht arbeiten. Ihre einzige Aufgabe war es, für die
Sache der Götter zu kämpfen.
Was man vom alten
Griechenland erzählt? Nun, es muss ein Paradies gewesen sein, oder
wenn ihr wollt, ein Schlaraffenland! Die Bäume trugen jeden Monat im
Jahr Früchte. Das Getreide wuchs von selbst, ohne dass Bauern schwer
arbeiten mussten. Die Euter der Kühe waren immer voller süßer
Milch. Der Honig tropfte von den Bäumen den Kindern in den Mund.
Orangen und Äpfel waren massenhaft da. Weißes süßes Brot und
Rosinenkuchen gab es in großen Mengen. Es war, wie man so sagt, das
Land, wo Milch und Honig fließen. Immer schien die Sonne. Es war nie
schlechtes Wetter. Die Mondnächte waren so warm, dass man nackig im
Garten schlafen konnte. Alle Menschen waren nett zueinander. Alle
Kinder waren fröhlich und hüpften wie die Lämmer über die Wiesen.
Es gab kein Geld, um das man sich streiten musste. Die Kinder mussten
nicht in die Schule gehen, sondern lernten alles von ihren Eltern.
Die Erwachsenen mussten nicht arbeiten, sie hatten immer Zeit, mit
den Kindern zu spielen. Und alle Menschen liebten die Götter. So
schön war es im alten Griechenland. Vielleicht fahrt ihr mal mit
euren Eltern auf eine griechische Insel und guckt, ob es da heute
immer noch so schön ist.
Da aber Griechenland
am Meer liegt, ist es in den letzten zehntausend Jahr so oft vom Meer
angefressen worden, dass es heute nur noch sehr klein ist. Im
Altertum war es riesengroß. Es reichte von Rom bis Russland, von
Nordafrika bis Israel. Es gab dort wunderschöne Inselreiche. Die
heutigen griechischen Inseln sind nur noch ein kleiner Rest. Das
meiste ist vom Meer verschlungen worden.
Damals aber waren
die Berge so hoch, dass ihre Gipfel den Himmel küssten. Oben auf den
Bergen wuchsen große Wälder. Die schwarze Mutter Erde gab alles in
Hülle und Fülle. Von den Eichen tropfte der Honig. Es gab nicht nur
Apfelbäume, sondern noch mehr Granatapfel-Bäume. Die Bäume bogen
sich, so schwer waren die großen Granatäpfel. Überall machten
Honigbienen aus dem Nektar der Blumen süßen Honig. Ich kenne ein
Sprichwort: Esst Honig, liebe Kinder, denn Honig ist süß für den
Mund. Ebenso süß ist die Weisheit! Das ist ein wahres Sprichwort.
Und überall waren große Weiden für die Kühe mit den vollen Eutern
und für die Mutterschafe und ihre lustigen Lämmer.
Es war immer schönes
Wetter, ein ewiger Sommer, da man nackt baden kann. Aber die Menschen
waren auch glücklich, wenn Gott es regnen ließ. Dann tanzten die
Menschen lachend im warmen Regen. Denn der Regen Gottes macht die
Mutter Erde fruchtbar, so dass die Mutter Erde all ihre Kinder gut
ernähren kann. Auch gab es Quellen, die ganz reines Trinkwasser
gaben. Und es gab Flüsse, da die lustigen Fische spielten. In den
Quellen und in den Flüssen lebten damals die Nymphen, das sind Nixen
oder Meerjungfrauen. Solche Nymphen sind besonders niedlich
anzuschauen.
Das
ganze Land war eine fruchtbare grüne Mutter Natur. Und die Kinder
dieser Mutter waren die Bauern. Das waren starke Bauern mit
kindlichen Gesichtern. Und die Bäuerinnen sahen aus wie Milchkühe.
Die Bauern hatten reine, kindliche Herzen. Die Bäuerinnen hatten
einen kindlichen Glauben an Gott. Die Kühe hatten nur eine
Sehnsucht: Sie wollten gemolken werden. Die gleiche Sehnsucht haben
die alten Philosophen mit den grauen Bärten: Sie wollten, dass die
Knaben ihrer Weisheit zuhörten. Die schwarze Mutter Erde brachte
alles in Hülle und Fülle hervor. Der Frühling war der Sieg des
Lichts und des Lebens, da alles jubelte! Der Sommer war wie ein
Paradies auf Erden, da waren die schönen Frauen noch schöner! Der
Herbst war eine reiche Ernte, und überall gab es süße Früchte und
süße Getränke!
Die Hauptstadt der
Griechen, Athen, war damals viel herrlicher als heute. Denn in den
vergangenen zehntausend Jahren hat eine Sintflut die Stadt
größtenteils vernichtet. Lange dunkle Winter mit eiskaltem Regen
hatten die Erde ruiniert. Erdbeben, Vulkanausbrüche und Meeresbeben
haben vieles zerstört. Aber das meiste hat die Sintflut zerstört.
Das war die berühmte Sintflut, als Noah die Arche baute. Und Noah
und seine Söhne und die Tiere wurden gerettet.
Athen war damals so
groß, dass ihr es kaum für möglich haltet. Die Stadt lag auf einem
riesigen Berg. Auf dem Berg wuchsen rauschende Wälder. Unten im Tal
wohnten die Handwerker und die Bauern. Auf dem Berg aber war der
Tempel der Göttin der Weisheit. Und rings um den Tempel lebten die
jungen Krieger. Sie lebten dort wie in einem gemeinsamen weißen Haus
mit einem großen Garten. Rings um das Haus der jungen Krieger war
von den alten Kriegern eine hohe Mauer errichtet. So geschah es, dass
die Feinde der alten Krieger nicht in das Haus eindringen konnten.
Die jungen Krieger
wohnten also in einer Burg oben auf dem Berg. Da lebten sie alle
zusammen in vielen Zimmern. Im Winter trafen sie sich immer in dem
großen Speisesaal, um sich am Feuer zu wärmen und warme Ziegenmilch
zu trinken. Zusammen mit den jungen Kriegern lebten in der Burg auch
die Priester der Göttin der Weisheit. Die Priester waren nicht mit
Frauen verheiratet. Die Priester hatten nämlich die Göttin der
Weisheit als geheimnisvolle Ehefrau. Die Priester und die jungen
Krieger hatten kein Geld. Sie brauchten kein Geld. Die Priester
sagten immer: Die Liebe zum Geld ist der Ursprung alles Bösen. Die
jungen Krieger waren nicht ängstlich, aber auch nicht leichtsinnig.
Sie gingen immer den goldenen Mittelweg. Die Zimmer waren keine
ärmlichen Hütten, aber auch keine reichen Paläste, sondern
bescheiden, aber schön und aufgeräumt. Und wenn die Krieger
erwachsen wurden, dann wurden wieder kleine Kinder geboren. Und so
ging es immer weiter, von Kind zu Kindeskind, zu Kindeskindeskind.
Im Süden der Burg
war ein großer Garten. Da turnten die jungen Krieger im Sommer
draußen im Garten. Da war ein Schwimmbecken, darin schwammen die
jungen Krieger. Manchmal spielten sie mit dem Ball. Oder sie machten
Boxkämpfe oder Ringkämpfe. Da war im Garten auch eine frische
Quelle. Und wenn den jungen Kriegern im Sommer vom Turnen heiß
wurde, dann bekamen sie Durst. Und von der Quelle bekamen sie kaltes,
frisches Süßwasser zu trinken. So also lebten die jungen Krieger.
Sie waren die Wächter und Beschützer ihres Volkes. Sie beschützten
die Heimat. Sie verteidigten die Bauern und Arbeiter, und sie
verteidigten die schönen griechischen Frauen. Sie waren fast so
etwas wie die Schutzengel von Griechenland. Und es waren immer
zwanzigtausend Schutzengel da.
So
war also das alte Griechenland. Und die griechischen Menschen waren
die schönsten Menschen der Erde. Ihre jungen Mädchen sahen aus wie
junge Göttinnen und ihre jungen Knaben sahen aus wie nackte
Liebesgötter mit Pfeil und Bogen. Und die Griechen waren nicht nur
schön, sondern auch klug. Sie kannten den Gott der Götter! Sie
wussten auch viele Märchen und Sagen aus alter Zeit. Sie konnten gut
rechnen. Sie kannten die Sternbilder. Sie wussten viel über die
Natur der Tiere, der Haustiere und der Raubtiere. Sie wussten, was
gut schmeckt von den Früchten der Natur. Sie wussten, wie man
leckeren Kuchen backt, Apfelkuchen, Rosinenkuchen, Feigenkuchen. Sie
zähmten die Bienen und hatten so immer genug Honig. Ihre Frauen
waren noch schöner als die schönen Frauen von Indien. Ihre weisen
Männer waren klüger als die Priester von Ägypten. Nun will ich
aber endlich von Atlantis erzählen, liebe Kinder. Ich hoffe, ihr
seid schon gespannt auf Atlantis. Ich will euch alles erzählen, was
ich selbst als Kind von meiner geliebten Großmutter gehört habe.
Wie ich euch ja am
Anfang erzählt habe, teilten die Götter unter sich die Erde auf.
Die große Insel Atlantis bekam der Gott des Meeres, der Gott Neptun.
Der Gott Neptun lebt im Meer, hat einen sehr langen weißen Bart und
hält in der Hand einen Dreizack. Neptun verließ das Meer und lebte
nun auf der Insel Atlantis. In der Mitte der Insel war eine große
Ebene. Da war die Mutter Erde am grünsten. Das war ein richtiger
Paradiesgarten. Mitten in dem Paradiesgarten lebte eine strahlend
schöne Jungfrau! Der Name der Jungfrau war Kleito. Sie war eben
vierzehn Jahre alt geworden. Da hat der Gott die Jungfrau geheiratet.
Der Gott kam zur Jungfrau und sagte zu ihr: Friede! Meine Geliebte!
Ich will, dass du die Mutter meines Sohnes wirst! Und so wurde die
Jungfrau Mutter.
Neptun machte eine
Mauer um den kleinen Paradiesgarten, eine Mauer von Brettern und
Efeuranken, dann zog er einen Wassergraben ringsumher, und dann
machte er wieder eine Mauer von Brettern und Efeuranken. So konnte
kein Feind in den Garten eindringen, wo der Gott mit der Jungfrau in
Liebe zusammen lebte. Neptun machte auch zwei Wasserquellen. Das war
ja für den Gott des Meeres nichts Unmögliches. Eine Wasserquelle
gab warmes Wasser, und die andere Wasserquelle gab kaltes Wasser. Und
mit dem Quellwasser wurde der Garten noch schöner. Da wuchsen Rosen
und Lilien, Pfingstrosen und Tulpen, Osterglocken und Veilchen,
Akelei und Vergissmeinnicht, Krokus und Hahnenfuß. Da flatterten die
Sperlinge und die Spatzen. Die Rotkehlchen bauten da ihr Nest. Die
Turteltauben gurrten in den Wipfeln der Eichen. Manchmal zogen
Kraniche am Himmel vorüber.
Die Jungfrau wurde
also Mutter. Sie gebar fünf Zwillingspaare, alles Söhne. Von dem
ersten Zwillingspaar wählte der Gott den größeren aus. Das war
Atlas, der Sohn Gottes und der Jungfrau. Nach diesem Atlas ist die
Insel Atlantis benannt. Nach ihm ist auch der Atlantische Ozean
benannt. Denn Gott machte Atlas zum obersten König von Atlantis.
Seine neun Brüder waren auch Könige von Atlantis, aber König Atlas
war der König der Könige.
Diese zehn Könige
von Atlantis herrschten nun viele lange Jahrhunderte über das große
Inselreich. Sie herrschten nicht nur über die Insel Atlantis. Ihre
Herrschaft erstreckte sich von den Kanarischen Inseln bis zu den
mittelamerikanischen Inseln. Sie herrschten in Güte und
Gerechtigkeit. Wenn sie starben, folgten ihnen ihre Söhne auf dem
Thron. Und sie alle verehrten den Gott als ihren Vater und die
Jungfrau als ihre Mutter. Manchmal reisten sie nach Ägypten und
besuchten die Pyramiden. Manchmal reisten sie ins Ewige Rom und
besuchten den Vatikan-Hügel und sprachen dort mit dem Hohepriester.
König
Atlas hatte nun Söhne. Und diese Söhne hatten wiederum Söhne. Und
diese Enkel hatten auch wieder Söhne. Und so stammte eine große
Familie oder Sippe von König Atlas ab. Diese Familie hieß die
Familie der Atlantiden. Sie stellten immer den obersten König von
Atlantis. Und die Könige von Atlantis waren unvorstellbar reich. So
reich war nicht der reiche Krösus aus Griechenland. So reich war
nicht der Priesterkönig Johannes von Indien. Ihr könnt euch nicht
vorstellen, wie reich der König von Atlantis war. Auch hatte er
alles, was die Mutter Natur erschuf. Auch hatte er alles, was die
Bauern und Handwerker erschufen. Und er hatte alles, was die Seeleute
mit den Schiffen aus der Ferne herbeibrachten. So hatte er auch
Pfeffer aus Indien und Seide aus China.
Dem König von
Atlantis dienten auch die Bergarbeiter in den Bergwerken. Sie holten
aus der Erde Silber und Gold. Es gab Silber und Gold in
unvorstellbaren Mengen. Es gab so unendlich viel Silber, das es schon
fast nichts mehr wert war. Alle Paläste waren aus Gold und Silber
und Edelsteinen. Es gab Jaspis, Jade, Nephrit, Rubin, Smaragd,
Türkis, Chrysolith, Amethyst, Lapislazuli, Mondstein und Onyx und
viele andere Edelsteine in Menge. Auch gab es genug Holz in den
rauschenden Wäldern für die Zimmermänner. Die Tischler hatten
genug Holz. Die Handwerker hatten auch Eisen, Bronze und Kupfer. Der
Goldschmied machte Kunstwerke aus Gold und Edelsteinen. Die Frauen
schmückten sich mit Perlenketten, Silberkettchen, Goldringen,
Lapislazulikettchen, Mondstein-Ohrringen und goldenen Haarspangen.
Sie trugen Kleider aus durchsichtiger Seide.
Die Menschen von
Atlantis hatten zahme Tiere, Haustiere wie Hunde und Katzen,
Kaninchen und Hühner und Kanarienvögel. Sie molken die Kühe. Die
Schafe gaben ihnen Wolle. Die Ziegen gaben Milch für den beliebten
Ziegenkäse. Aber es gab auch wilde Tiere, Löwen, Tiger, Geparden,
Leoparden, Jaguare und Panther. Es gab sogar Elefanten. Die wurden
aber gezähmt, so dass die Elefanten im Wald halfen, Bäume
abzutransportieren. Auch ritten die kleinen Knaben und jungen Mädchen
gern auf dem Rücken der Elefanten. Es gab auch viele Wurzeln und
Gräser und Kräuter, daraus die Ärzte Medizin machten. Es gab viele
Blüten, aus denen die Frauen Parfüm machten. Das roch alles so gut!
Da gab es genug gesunde Obstarten und gesundes Gemüse zu essen.
Manchmal gab es auch gebratenes Fleisch. Die Mütter wussten ganz
leckeren Joghurt und Quarkspeisen als Nachtisch herzustellen. Für
die Kinder wuchs auch das Süßholz, an dem die Kinder gerne
knabberten, denn sie liebten diese Süßigkeit. Es wuchsen auch
Mandeln und Pistazien und Nüsse in Hülle und Fülle. Alles brachte
die Insel Atlantis hervor, die immer im warmen Sonnenschein lag. Es
gab wirklich genug für alle!
Der Palast des
Königs Atlas sah nun so aus: Im Innersten des Palastes war ein
Tempel, darin stand eine Säule der heiligen Jungfrau, der Mutter des
Volkes. Vor dieser Statue brannten immer Kerzen aus Wachs, vom Fleiß
der Bienen gemacht. Dann gab es dort auch ein großes Bild vom Gott
des Meeres mit hundert schönen Meerjungfrauen, die auf Delphinen
ritten und auf Muschelhörnern bliesen. Die zehn Könige schickten
jedes Jahr zu Ostern das erstgeborene Lamm ihrer Herde zum Opfer in
den Tempel. Der Tempel war aus Zedernholz und ganz mit Gold
geschmückt. Nur die Türme waren aus Elfenbein. Das Innere war ganz
mit Gold verkleidet, aus Gold war auch der Altar des Gottes.
Vor der Statue der
heiligen Jungfrau lagen viele Tafeln, darauf die Menschen ihren Dank
gemalt hatten. Die Jungfrau hat geholfen! Das stand auf jeder Tafel.
Und wenn die Jungfrau kleine Kinder vor dem Tod gerettet hatte, dann
waren da kleine Kinder gemalt, die bedeckt waren vom Schutzmantel der
heiligen Jungfrau.
Vor dem Königspalast
standen Statuen der zehn Könige von Atlantis, der fünf
Zwillingsbrüder. Jeder König trug eine goldene Krone, aber König
Atlas trug eine dreifache Krone, darauf stand: Der König Atlas, der
Sohn Gottes und der Jungfrau, der Vater der Könige der Erde!
Die beiden Quellen,
die heiße und die kalte Quelle, wurden durch Kanäle in ein großes
Schwimmbad geleitet, da der König Atlas mit seinen Brüdern gerne
badete, denn er schwamm sehr gut und sehr gerne. Außerdem badeten
auch die Königinnen gerne im Schwimmbad. Dann wurde das Wasser
weitergeleitet in den Wald des Gottes, da Zedern und Zypressen
wuchsen, Eichen und Palmen, Maulbeerbäume und Feigenbäume,
Apfelbäume und Mischmisch-Bäume. Der Wald war sehr schön, und es
gingen darin immer die schlanken Gazellen, Antilopen, Hirschkühe und
Rehe spazieren.
In der Nähe des
Waldes gab es Gärten und Sportplätze, da die Knaben turnten und
Ball spielten, auch miteinander Ringkämpfe ausfochten. Es gab da
auch eine Rennbahn für Pferderennen. Und es gab eine Rennbahn für
Wagenrennen. Der König Atlas liebte das Ballspiel nicht sehr, aber
die meisten Leute waren ganz begeistert vom Ballspiel. Dahinter waren
die Wohnungen der Bauern, Handwerker und Kaufleute. Die Wohnungen
waren sauber und aufgeräumt. Vor den Wohnungen waren schöne
Blumengärten, in denen die Frauen mit ihren Dichtern Apfelwein
tranken.
Von den Wohnungen
ging es an die Küste der Insel. Da war ein großer Hafen. Da lagen
Segelboote, Ruderboote und große Handelsschiffe. Im Hafen war ein
lustiges Treiben, ein Lärm und Geschrei. Da waren für die Matrosen
auch die Häuser der Freudenmädchen.
Was nun die Krieger
betrifft: Jedes Grundstück musste einen Anführer stellen. Insgesamt
gab es 60.000 Krieger. Sechs Krieger besetzten einen Kriegswagen. Es
gab also – richtig gerechnet – 10.000 Kriegswagen. Dazu gab es
Kriegspferde und Reiter, Pferdegespanne mit einem Krieger. Die
Krieger waren bewaffnet mit Schild und Schwert, Pfeil und Bogen oder
Steinschleudern. Die Speerwerfer gingen ohne Rüstung. Es gab auch
Seemänner auf Kriegsschiffen. Es gab 1200 Kriegsschiffe. Das allein
war die Armee von König Atlas. Aber die andern neun Könige hatten
auch noch Krieger. Aber wenn ich davon auch noch erzählen müsste,
würde meine Geschichte zu lang. Es ist schon spät, und ich muss
bald ins Bett. Darum muss ich jetzt langsam zum Schluss kommen, meine
geliebten Kinder.
Was nun den Staat
betrifft, der wurde so regiert: Jeder der zehn Könige herrschte in
seinem bestimmten Gebiet. Jeder König hatte eine Burg mitten in
seinem Gebiet und regierte von dort aus sein Volk. Er machte die
Gesetze und musste niemandem gehorchen als dem König Atlas, dem
König der Könige. Und König Atlas musste nur Gott seinem Vater
gehorchen. Der Gott hatte ein Gesetz gegeben, dem mussten alle
Menschen gehorchen. Auch die Könige gehorchten dem Gesetz Gottes.
Der Gott hatte das Gesetz selbst auf eine goldene Tafel geschrieben.
Diese goldene Tafel mit dem Gesetz Gottes befand sich im
Hauptheiligtum der Insel Atlantis in einer heiligen Truhe. In diesem
Heiligtum kamen die obersten Priester alle sieben Jahre zusammen, um
dem Gott von Atlantis ein Opfer von Brot und Wein darzubringen. Dann
beriet sich die Versammlung der obersten Priester, und sie gaben neue
Gesetze.
Wenn
nun die Richter sich zum Gericht versammelten, schlachteten sie
zuerst einen Sündenbock auf dem Altar Gottes. Das Blut des
Sündenbockes spritzten sie an den Altar. Auch tranken sie das Blut
des Sündenbockes und aßen das gebratene Fleisch des Sündenbockes.
Dann schworen sie feierlich, dem Gesetz Gottes zu gehorchen. Dann
berieten sie sich untereinander. Dann sprachen sie Recht. Wenn in dem
Volk eine Verschwörung gegen die Könige von Atlantis war, dann
beschützten die Richter die Könige. Über den Richtern stand aber
König Atlas, und der verbot die Todesstrafe. Die Verbrecher wurden
mit goldenen Ketten gefesselt, so viel Gold gab es damals.
Viele tausend Jahre
lebte das Volk von Atlantis in Gerechtigkeit und Liebe. Aber je
länger es her war, da der Gott die Jungfrau geheiratet hatte, desto
mehr vergaßen die Menschen das Gesetz des Gottes. Mehr und mehr
Menschen vergaßen Gott und die heilige Jungfrau. Statt Gott
anzubeten, begannen immer mehr Menschen, das Geld anzubeten. Die
Menschen wurden habgierig, streitsüchtig und waren einander
feindlich gesonnen. Sie töteten die Kinder schon im Bauch ihrer
Mütter. Sie wollten andere Länder erobern. Die einen wurden immer
reicher und die andern immer ärmer. Das sah der höchste Gott der
Götter und wurde zornig. Da vernichtete Gott die Insel Atlantis
durch ein großes Meeresbeben. Heute ist nur noch der Atlantik über,
der Atlantische Ozean zwischen Europa, Afrika und Amerika.
Liebe Kinder, Gott
ist der Gott der Liebe und liebt euch unendlich! Und nun:
Schlafe selig und
süß!
Schau im Traum’s
Paradies!