Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

VISIONEN DER ECCLESIA


Von Josef Maria Mayer

ERSTE VISION

1

Mein Ernährer hat mich nach Rom
An Julia verkauft.
Nach vielen Jahren sah ich sie wieder
Und gewann sie allmählich lieb wie eine Schwester.
Nach einiger Zeit sah ich sie,
Wie sie im Tiber badete -
Ich reichte ihr die Hand
Und führte sie aus dem Fluss.
Wie ich nun ihre Schönheit sah,
Ward ich nachdenklich
Und sprach zu mir selbst:
Glücklich wäre ich,
Wenn ich ein solches Mädchen bekäme
Mit dieser Schönheit!
Nur dieses dachte ich, sonst nichts.
Später ging ich nach Kumä,
Dabei pries ich die Werke Gottes:
Ihre Größe, Erhabenheit, Kraft;
Da übermannte mich im Gehen der Schlaf.
Und ein Geist erfasste mich
Und entführte mich
Durch eine unwegsame Gegend,
Durch die kein Mensch kommen konnte,
Sie war steil und durch das Wasser zerklüftet.
Nachdem ich jenen Fluss durchschritten hatte,
Kam ich in die Ebene, fiel auf die Knie nieder,
Begann zum Herrn zu beten
Und meine Sünden zu bekennen.
Während ich betete,
Tat sich der Himmel auf,
Und ich sah jenes Mädchen,
Das ich ersehnte,
Mich vom Himmel her grüßen,
Und ich hörte sie sagen:
Sei gegrüßt, Josef!
Die Augen auf sie gewandt, fragt ich sie:
Mädchen, was machst du da?
Und sie erwiderte mir:
Ich wurde aufgenommen,
Damit ich deine Sünde kund tu beim Herrn.
Ich sagte zu ihr: So bist du meine Anklägerin?
Nein, entgegnete sie, höre vielmehr,
Was ich dir zu sagen habe.
Der Gott, der in dem Himmel wohnt
Und der aus dem Nichts das Seiende schuf,
Erweitert und vermehrt hat
Um seiner heiligen Ecclesia willen,
Zürnt dir, weil du wider mich gesündigt hast.
Ich entgegnete ihr und sagte:
Wider dich hab ich gesündigt? auf welche Weise?
Hab ich zu dir einmal ein schlüpfriges Wort gesagt?
Hab ich dich nicht stets wie eine Göttin angesehen?
Hab ich dich nicht stets behandelt wie eine Schwester?
Warum lügst du, Mädchen,
Gegen mich dieses Schändliche und Unreine?
Da lächelte sie und sprach zu mir:
In deinem Herzen stieg die Lust zum Bösen auf.
Oder scheint es dir nicht etwas Schlimmes zu sein
Für einen gerechten Mann,
Wenn in seinem Herzen die Begierde aufsteigt?
Das ist eine Sünde, sagte sie, und zwar eine große.
Denn der gerechte Mann sinnt auf Gerechtes.
Denn darauf, dass er Gerechtes sinnt,
Baut sich sein guter Ruf im Himmel,
Und der Herr ist ihm zugetan
In allem seinem Beginnen.
Die aber Böses sinnen in ihren Herzen,
Die ziehen sich Tod und Gefangenschaft zu,
Am meisten die, welche sich um diese Welt kümmern
Und sich ihres Reichtums rühmen
Und auf die kommenden Güter nicht hoffen.
Bereuen werden es in ihren Herzen alle,
Die keine Hoffnung haben,
Sie haben ja sich selbst aufgegeben und ihr Leben.
Du aber bete zu Gott,
Und er wird deine Sünde heilen
Und die deines ganzen Hauses und aller Heiligen.


2

Nachdem Julia diese Worte gesprochen,
Schloss sich der Himmel.
Ich zitterte am ganzen Leibe
Und war betrübt.
Und ich sprach zu mir selbst:
Wenn mir dieses als Sünde angerechnet wird,
Wie werde ich das Heil erlangen können?
Oder wie werde ich Gott versöhnen
Wegen meiner Sünde,
Die ich durch die Tat vollführt hab?
Oder mit welchen Worten
Soll ich mich an den Herrn wenden,
Auf dass er mir gnädig sei?
Als ich dies in meinem Herzen erwog und überdachte,
Sah ich vor mir einen großen leuchtenden Sitz
Aus schneeweißer Wolle.
Und es kam eine Großmutter im schönen Gewand,
Ein Buch in den Händen haltend,
Setzte sich allein nieder
Und grüßte mich: Sei gegrüßt, Josef!
Voll Betrübnis sprach ich unter Tränen:
Sei gegrüßt, o Mutter!
Und sie sprach zu mir: Warum bist du traurig,
Josef, du, der Langmütige und Friedliebende,
Der allzeit mit Kindern Lachende!
Warum siehst du so niedergeschlagen aus
Und warum bist du nicht heiter?
Ich antwortete ihr: Wegen eines überaus schönen Mädchens,
Die sagte, ich hätte wider sie gesündigt.
Die Großmutter entgegnete:
Keinesfalls gibt es bei dem Diener Gottes ein solches Tun.
Vielmehr stieg lediglich in deinem Herzen
Der Gedanke an das schöne Mädchen auf.
Allerdings ist es so, für die Diener Gottes
Zieht ein solcher Gedanke Sünde nach sich,
Sündhaft ist nämlich der Wunsch
Und verwerflich bei einer ganz lauteren
Und schon erprobten Seele,
Wenn sie eine schlimme Tat begehrt,
Und zumal wenn es Josef tut, der Enthaltsame,
Der sich frei hält von jeder wüsten Begierde
Und der erfüllt ist mit jeglicher reinen Gesinnung
Und großer Unschuld!


3

Aber nicht deshalb zürnt dir Gott,
Sondern damit du dein Haus bekehrst,
Das sich versündigt hat gegen Gott
Und gegen dich, seinen Vater.
Weil du die Kinder liebst,
Hast du dein Haus nicht gewarnt,
Ließest es vielmehr verderben,
Deshalb zürnt dir der Herr,
Aber er wird all das Böse heilen,
Das in deinem Hause vorgekommen ist,
Denn wegen der Sünden und Fehltritte jener
Ging es dir übel
In deinen zeitlichen Unternehmungen.
Aber die Barmherzigkeit Gottes
Hatte Mitleid mit dir und deinem Hause,
Und er wird dich stark machen
Und dich bestärken in seinem Ruhm.
Nur nimm du es nicht leicht,
Sondern fasse guten Mut
Und bestärke dein Haus.
Wie nämlich der Schmied
Durch das Hämmern des Stückes fertig bringt, was er will,
So wird auch das tägliche gute Zureden
Herr über jegliche Schlechtigkeit.
Lass also nicht ab, deine Kinder zu warnen,
Denn ich weiß es,
Wenn sie von ganzem Herzen sich bekehren,
Werden sie mit den Heiligen eingeschrieben werden
In das Buch des Lebens. -
Als die Großmutter diese Worte zu Ende gesprochen,
Sagte sie zu mir: Willst du mich anhören,
Wenn ich dir vorlese?
Und ich versetzte: Ja, Mutter!
Da sagte sie zu mir: Höre zu
Und vernimm die Herrlichkeiten Gottes! -
Ich hörte Mächtiges und Wunderbares,
Was ich nicht behalten konnte.
Denn alle Worte waren zum Erschauern,
So dass sie ein Mensch nicht ertragen kann.
Nur die letzten Worte hab ich behalten,
Sie waren mir nämlich erträglich und milde.
Siehe, der Herr der Heerscharen,
Der mit seiner unsichtbaren Macht und Stärke
Und ewigen Weisheit die Welt erschuf
Und in seinem lobwürdigen Ratschluss
Seine Schöpfung mit Schönheit erfüllte
Und mit seinem mächtigen Wort
Den Himmel fixierte
Und die Erde gründete über den Wassern
Und in der ihm eigenen Weisheit und Vorsicht
Seine heilige Ecclesia schuf,
Die er auch segnete, siehe,
Er versetzt die Himmel, die Berge und die Meere,
Und alles wird ebenes Land
Für seine Auserwählten,
Damit er ihnen das Versprechen einlöse,
Das er mit großem Ruhm und großer Freude gegeben,
Wenn sie nämlich die Satzungen Gottes halten,
Die sie in großem Vertrauen empfangen haben.


4

Als die Großmutter nun mit dem Vorlesen aufgehört
Und von dem Sitz sich erhoben hatte,
Kamen vier Knaben,
Nahmen den Sitz ein
Und entfernten sich gegen Osten.
Die Großmutter aber rief mich,
Fasste mich an der Brust und sagte zu mir:
Hat dir meine Vorlesung gefallen?
Und ich erwiderte ihr: O Mutter,
Der Schluss eben gefiel mir,
Das Vorhergehende aber ist schwierig und hart.
Sie sagte mir aber entgegnend:
Diese Schlussworte sind für die Gerechten,
Das Vorhergehende ist für die Heiden
Und die Abgefallenen.
Während die Großmutter noch mit mir sprach,
Erschienen zwei Männer,
Trugen sie an den Armen
Und entfernten sich gegen Osten,
Wohin auch der Sitz gebracht worden war.
Die Großmutter ging aber heiter weg,
Und im Gehen sagte sie zu mir: Sei stark, o Josef!


ZWEITE VISION


1

Als ich nach Kumä ging
Zu derselben Zeit wie im vorigen Jahr,
Dachte ich beim Gehen an die vorjährige Erscheinung,
Und wiederum erhob mich der Geist
Und führte mich an den gleichen Ort wie damals.
Hier angekommen, fiel ich auf die Knie,
Fing an, zum Herrn zu beten
Und seinen Namen zu verherrlichen,
Weil er mich für würdig gehalten
Und mir meine frühere Sünde offenbart hatte.
Als ich mich dann vom Gebet erhob,
Sah ich mir gegenüber die Großmutter,
Die ich auch im vorigen Jahr gesehen hatte,
Sah sie hin und her wandeln
Und in einem kleinen Buch lesen;
Und sie sprach: Kannst du dies
Den Auserwählten Gottes verkünden?
Ich erwiderte ihr: O Mutter,
Soviel kann mein Gedächtnis nicht behalten,
Gib mir das Buch zum Abschreiben!
Nimm es, sagte sie, aber gib es mir wieder zurück.
Und ich nahm es,
Zog mich an einen Platz auf dem Feld zurück
Und schrieb alles buchstäblich ab.
Als ich mit dem Abschreiben der Buchstaben des Buches fertig war,
Wurde es mir plötzlich aus der Hand gerissen,
Von wem, sah ich nicht.


2

Vierzehn Tage später,
Nachdem ich gefastet
Und zum Herrn gebetet hatte,
Wurde mir die Erkenntnis der Schrift enthüllt.
Folgendes stand darin:
Deine Kinder, Josef,
Haben gesündigt gegen Gott
Und gelästert wider den Herrn,
In großer Schlechtigkeit haben sie ihren Vater verraten,
Man nannte sie Verräter des Vaters,
Und sie ließen es sich nicht zum Gewinn sein,
Sondern sie fügten ihren Sünden
Noch Ausschweifung
Und allerhand Bosheit hinzu,
Und so ist ihre Schlechtigkeit voll geworden.
Tue diese Worte allen deinen Kindern kund
Und deiner Frau, die einmal deine Schwester sein soll,
Denn sie beherrscht die Zunge nicht,
Sondern sündigt damit.
Wenn sie aber dies hört,
Wird sie es nicht mehr tun,
Und sie wird Erbarmen finden.
Wenn du ihnen diese Worte mitgeteilt hast,
Die der Herr mir aufgetragen hat,
Damit du sie offen erkennst,
Dann werden ihnen alle Sünden nachgelassen,
Die sie früher begangen haben,
Ebenso allen Heiligen,
Was sie bis auf diesen Tag gesündigt haben,
Wenn sie sich aus ganzem Herzen bekehren
Und aus ihrem Herzen den Zwiespalt nehmen.
Denn der Herr hat bei seiner Herrlichkeit
Gegen seine Auserwählten geschworen:
Wenn nach diesem festgesetzten Tag
Noch eine Sünde geschieht,
Dann sollen sie das Heil nicht erlangen;
Denn die Bußzeit hat ein Ende für die Gerechten,
Die Tage der Buße sind erfüllt für alle Heiligen;
Für die Heiden aber gibt es eine Buße
Bis zum Jüngsten Tag.
Sage daher den Ältesten der Ecclesia,
Auf dass sie ihre Wege bessern
In Gerechtigkeit und mit großer Herrlichkeit
Aus der Fülle der Verheißungen empfangen.
Fahrt fort, die Gerechtigkeit zu üben
Und duldet keinen Zwiespalt im Herzen,
Damit ihr eingehen werdet zu den heiligen Engeln!
Glückselig seid ihr alle,
Wenn ihr die kommende große Trübsal aushaltet
Und wenn ihr euer ewiges Leben nicht verleugnet.
Denn der Herr hat in seinem Sohn geschworen,
Dass denen, die ihren Herrn verleugnen,
Ihr ewiges Leben abgesprochen ist,
Nämlich denen, die in den kommenden Tagen
Ihn verleugnen werden,
Wer es früher getan,
Dem zeigte sich der Herr gnädig
Wegen seiner Barmherzigkeit.


3

Du aber, Josef, sollst deinen Kindern
Das Böse nicht nachtragen
Und auch deine Schwester nicht entlassen,
Damit sie von ihren früheren Sünden gereinigt werden.
Sie werden nämlich in eine gerechte Zucht genommen werden,
Wenn du ihrer Sünden nicht gedenkst,
Denn Böses nachtragen,
Heißt sich den Tod zuziehen.
Du aber, Josef, wirst selbst große Trübsal leiden müssen
Wegen der Übertretungen der Deinigen,
Weil du dich nicht um sie gekümmert hast,
Vielmehr hast du sie vernachlässigt
Und warst verstrickt in deine schlechten Unternehmungen.
Aber retten wird dich der Umstand,
Dass du nicht abgefallen bist
Vom lebendigen Gott,
Und deine aufrichtige Gesinnung
Und deine große Enthaltsamkeit,
Das ist deine Rettung,
Falls du so bleibst,
Und das rettet auch alle,
Die so handeln und die so wandeln
In Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit.
Diese werden jegliches Übel überwinden
Und ausharren bis zum ewigen Leben.
Glückselig alle, die Gerechtigkeit üben,
Sie werden in Ewigkeit nicht zugrunde gehen.
Dem Milon aber sage:
Siehe, Trübsal kommt,
Sei treu und bleibe beim Herrn!
Nah ist der Herr denen, die sich bekehren,
Wie geschrieben steht bei denen,
Die dem Volk in der Wüste geweissagt haben.


4

Brüder und Schwestern, im Schlafe
Erhielt ich eine Offenbarung
Von einem sehr schönen Knaben, der mir sagte:
Was meinst du, wer die Großmutter war,
Von der du das Buch bekamst?
Ich sagte: Die Sibylle.
Du irrst, versetzte er, die ist es nicht.
Wer war sie denn? fuhr ich fort.
Die Ecclesia, war seine Antwort.
Ich sagte ihm: Warum ist sie so alt?
Weil sie, antwortete er, von allem zuerst gegründet wurde,
Deswegen ist sie so alt,
Und ihretwegen wurde die Welt geschaffen. -
Danach sah ich eine Vision in meinem Haus.
Die Großmutter kam und fragte mich,
Ob ich das Buch schon den Priestern gegeben habe.
Ich sagte: Nein.
Du hast recht getan, fuhr sie fort,
Ich habe noch einiges hinzuzufügen.
Wenn ich nun vollends alle Worte hinzugefügt habe,
Werden sie durch dich
Allen Auserwählten bekannt gegeben werden.
Du wirst zwei Abschriften anfertigen
Und eine dem Priester
Und eine der Diakonin senden.
Der Priester wird es an die anderen Städte schicken,
Das ist ihm aufgetragen worden,
Die Diakonin wird die Witwen und Waisen belehren.
Und du wirst es in dieser Stadt
Gemeinsam mit den Priestern,
Den Ältesten der Ecclesia, vorlesen.