Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

STÖRTEBECKER




Eine Komödie
In drei Akten
Von Josef Maria Mayer


ERSTER AKT

ERSTE SZENE


(Marienhafe. Störtebecker, Eberhard Pilgrimson, Godecke Michael, der Räuber Ben Berthold, einige Likedeeler, Buddeltorsten.)

(..............) dass wir die Faust ballen können! Aber mit lächelndem Antlitz mit uns zusammensitzen, mit uns Karten spielen, mit uns Wein trinken, feinste Seide und andre Ware von uns kaufen, und dann hingehen und mit großen Augen hinter unserm Rücken die Hamburger rufen und uns christliche Brüder verkaufen für dreißig Silberlinge wie eine Herde von Schlachtschafen!
EBERHARD PILGRIMSON
Das erste Mal, vor neun Wochen, als die Ballen Seide verschwanden, da hielt ich es noch für einen Zufall.
STÖRTEBECKER
Sünde, Tod und Teufel! Diesen Zufall werden wir zu Fall bringen!
(Zu Ben Berthold)
Du kannst nun gehen, Ben. Klar machen zum Segeln!
BEN BERTHOLD
(Ein großer stattlicher Räuber, geht von Störtebecker fort und redet verbissen mit sich selber)
Ha! So ist das bei den Spitzbuben! Nun bist du mal an Land und denkst: Jetzt hab ich endlich mal meine Ruhe... Prost Mahlzeit! Auf, sei bereit, Ben Berthold, heißt es, es gibt wieder Arbeit für dich!
GODECKE MICHAEL
(auf Ben Berthold zugehend)Na, wie ist es, Herr? Geht es auf Seefahrt?
BEN BERTHOLD
(übellaunig)
Was sonst?
GODECKE MICHAEL
(begeistert)
Ha! Herr! Wir werden ihn schon fassen, den Hund von Hornsiel!
BEN BERTHOLD
(verächtlich auf Godecke Michael herabschauend)
Pah! Du und den Hund von Hornsiel anherrschen! Mach das Schiff klar, du Milchgesicht!
GODECKE MICHAEL
Was redet er da?
(Er geht, um das Schiff klar zu machen.)
STÖRTEBECKER
(Godecke Michael beobachtend)
Wer ist der Knabe da? He du, Bruder!
GODECKE MICHAEL
(auf Störtebecker zueilend)Nikolaus Störtebecker! Sankt Nikolaus segne dich!
STÖRTEBECKER
Wie heißt du, Knabe?
GODECKE MICHAEL
Godecke Michael ist mein Name.
STÖRTEBECKER
Sankt Michael segne dich! Godecke Michael – was für ein Name! Dein Name ist so brausend wie ein Wellenbrecher!
(Störtebecker mustert den Knaben.)
Wenn nur der Mensch auch so herrlich ist wie das Meer!
GODECKE MICHAEL
Ich will mein Bestes geben, um so herrlich zu werden wie das Meer, bei Sankt Marie der See!
STÖRTEBECKER
Du bist noch jung. Wie lange bist du bei den Likedeelern?
GODECKE MICHAEL
Drei Monde.
STÖRTEBECKER
Drei Monde? Und da kenn ich dich noch nicht?
EBERHARD PILGRIMSON
Unser Reich ist größer geworden, Störtebecker.
STÖRTEBECKER
Größer, ja, aber auch besser? Da ballt mancher Schurke die Hände gegen die Reichen, der täte besser, die Faust gegen sich selber zu ballen. Was trieb dich zu uns, Godecke Michael?
GODECKE MICHAEL
Ich war es überdrüssig, den Fußabtreter zu spielen in der bösen Welt.
STÖRTEBECKER
Auch bei mir gibt es Dienst, harten Dienst!
GODECKE MICHAEL
Ja, aber freien Dienst! Likedeeler sind wir, hier gilt gleiches Recht für alle.
BUDDELTORSTEN
Godecke Michael, Bursche, wo bist du?
STÖRTEBECKER
Sie rufen dich.
(Störtebecker gibt Godecke Michael die Hand.)
Was wir schaffen, ist ein lebensgefährliches Werk. Die ganze Welt ist gegen mich! Mögest du es nie bereuen, dass du zu mir gekommen bist.
GODECKE MICHAEL
(schaut Störtebecker begeistert an)
Mit dir, Störtebecker, segle ich bis ans Ende der Welt! (ab.)
STÖRTEBECKER
Der hat leuchtende Augen und ein brennendes Herz!
EBERHARD PILGRIMSON
Noch mehr solche Männer wie Godecke Michael und mir ist um unsre Sache nicht bange.
STÖRTEBECKER
Dreißig Likedeeler sind durch Verrat verschwunden, ausgeblasen wie das Licht einer Kerze!
EBERHARD PILGRIMSON
Als echte Brüder sind sie ohne Angst in den Tod gegangen. Stolz und mit erhobenem Haupt sind sie gegangen ihren letzten Gang. Die Hamburger können nicht prahlen, sie hätten Todesangst bei unsern Brüdern gesehen. Und Anton von Oldenburg, der Schiffshauptmann...
STÖRTEBECKER
Der Grafensohn? Das war einer unserer Besten!
EBERHARD PILGRIMSON
So ist er in den Tod gegangen: Störtebecker lebt!
STÖRTEBECKER
Donnerwetter! Ja, Störtebecker lebt! Und das schwör ich dir, mein toter Bruder: Ich vergesse dich nicht! Mit meinem Schwert will ich dein Angedenken verklären! Zu Brei hau ich die Satansbraten!
BEN BERTHOLD
(kommt hinzu, mürrisch und verdrossen)
Klar zur Abfahrt!
STÖRTEBECKER
Auf denn, Ben Berthold!
EINIGE LIKEDEELER
Störtebecker, Störtebecker!
STÖRTEBECKER
Auf ein Wort, Matrosen!
BEN BERTHOLD
Ja, reden, das kannst du, aber die Arbeit soll ich allein tun.
STÖRTEBECKER
Likedeelers! Ihr segelt nun nach Hornsiel, ihr wisst warum, man hat uns verraten. Durch Verrat sind dreißig Likedeeler in Hamburgs Hände gefallen.
LIKEDEELER
Nieder mit dem Judas Iskariot!
STÖRTEBECKER
Es ist gefährlich, nach Hornsiel zu segeln. Der Tod steigt da durch die seidenen Fenster ins Haus. Seit ihr bereit, mit Leib und Leben einzustehen für unsre toten Brüder?
LIKEDEELER
Luv oder Lee – frei ist die See!
STÖRTEBECKER
Ich kenn euch, Matrosen. Ich weiß, ihr lasst euch nicht bange machen. Gleiche Rechte im Glück, gleiche Rechte erst recht in der Not!
LIKEDEELER
Freiheit!
BEN BERTHOLD
Gleichheit? Aber ich allein muß die ganze Arbeit machen.
STÖRTEBECKER
Sankt Nikolaus segne euch auf der See! Ich bin mit euch! Gottes Freund –
LIKEDEELER
Und aller Welt Feind!
STÖRTEBECKER
Ja, Gottes Freund und aller Welt Feind!
BEN BERTHOLD
Er ist mit ihnen, ja, in Gedanken. Aber ich bin es, der die schwere Arbeit tut.
STÖRTEBECKER
Ben, in deine Hände lege ich Leben und Ehre der guten Schelme! Behüte sie mir gut! Wohlan denn!
BEN BERTHOLD
(hämisch)
Ich danke dir für deinen priesterlichen Segen. Auf, Matrosen, löst die Taue!
STÖRTEBECKER
Herrgott Sakrament! Will der Ben Berthold meine guten Schelme in das Unheil treiben?
EBERHARD PILGRIMSON
Was meinst du, Störtebecker?
STÖRTEBECKER
Hast du nicht gehört, Eberhard, wie bitterböse Ben Berthold über meinen Segen spottet? Hast du den Hohn gehört? Ben Berthold ist wie ein bissiger Wolf gegen mich!
EBERHARD PILGRIMSON
Störtebecker, du täuschst dich in Ben.
STÖRTEBECKER
Das wäre seine Rettung. Herrgott Sakrament! Gehorsam will ich meine Schelme! Wer andere zur Ordnung rufen will, muß sich erst selbst beherrschen können. War das nicht Ben Berthold, der letztes Jahr zu Ostern vor Sylt ein ganzes Schiff zugrunde gehen ließ?
EBERHARD PILGRIMSON
Störtebecker, jeder macht einmal einen Fehler. Das musst du ihm verzeihen!
STÖRTEBECKER
Eberhard, mein Alter, ich glaube, ich muß selber segeln!
EBERHARD PILGRIMSON
Das Schiff hat schon abgelegt. Du selber segeln! Ha, du bist vor drei Stunden erst in den Hafen eingelaufen. Ruh dich aus!
STÖRTEBECKER
Ausruhen kann ich mich, wenn ich tot bin.
EBERHARD PILGRIMSON
Du kannst doch nicht überall selber helfen.
STÖRTEBECKER
Wo Lebensgefahr ist, da gehör ich hin.
EBERHARD PILGRIMSON
Du siehst zu schwarz, Störtebecker. Leg dich schlafen! In drei Stunden kannst du wieder arbeiten.
STÖRTEBECKER
Ich kann nicht mehr schlafen.
EBERHARD PILGRIMSON
Dann komm mit in die Schenke.
STÖRTEBECKER
In die Schenke? Nein, ich bleibe im Hafen. Ich muß Seeluft riechen.
EBERHARD PILGRIMSON
Gut, bleiben wir hier. Die Beine fest auf der Erde, die frei werden soll, den Blick fest auf die offene See, die frei ist!
STÖRTEBECKER
Das freie Meer!
EBERHARD PILGRIMSON
Schau, wie der Wind den Nebelschleier zerreißt!
STÖRTEBECKER
Der Wind macht alles klar.
EBERHARD PILGRIMSON
So wollen wir auch die Nebelschwaden des Bösen zerreißen und Klarheit schaffen!
STÖRTEBECKER
Und doch nennt die Welt uns schlimme Finger!
EBERHARD PILGRIMSON
Die Welt, ha! Die Welt macht aus schwarz weiß und aus gut böse. Weißt du noch? Es ist erst ein paar Jahre her, da brachten wir als Viktualienbrüder die Viktualien nach Stockholm, als die skandinavische Königin Margarethe unsern deutschen König gefangen hielt in Stockholm. Da hatten wir Kaperbriefe, da waren wir Piraten ehrliche Seemänner der christlichen Seefahrt. Und was taten wir damals? Das selbe wie heute! Nur damals passte es Hamburg in seinen Kram. Ha, wie haben sie miteinander gejauchzt, die von Mecklenburg und die von Hamburg, wenn wir Schiffe gekapert hatten!
STÖRTEBECKER
Heute sieht es anders aus.
EBERHARD PILGRIMSON
Ja, heute ist es anders. Als sich die Feinde vertragen hatten – Pack schlägt sich, Pack verträgt sich – da hieß es: Störtebecker, geh in Rente, wir brauchen dich nicht mehr! Hüte dich, du falsche Welt, haben wir da gesagt. Rügen war unsre Burg, Wisby unsre Stadt. Die ganze Ostsee von Rostock bis Danzig war unser!
STÖRTEBECKER
Sie haben uns doch von der Ostsee vertrieben.
EBERHARD PILGRIMSON
Nun ist es Zeit, dass wir uns die Ostsee zurückerobern. Bruder, damals waren wir fünfhundert Männer mit vier Schiffen, heute sind wir mehr als tausend Männer.
STÖRTEBECKER
Aber dreißig Männer haben sie uns in Hornsiel gefangen genommen und sie getötet.
EBERHARD PILGRIMSON
Ben Berthold ist nach Hornsiel gesegelt, um als Richter Gericht zu halten.
STÖRTEBECKER
Aber Eberhard, weißt du, ob er wiederkommt? Kennst du Ben Berthold gut genug, dass du sagen könntest: Er ist der rechte Mann für diesen wichtigen Dienst? Ich hätte es lieber doch selber gemacht.
EBERHARD PILGRIMSON
Dazu ist es nun zu spät.
STÖRTEBECKER
Wenn meine guten Schelme nicht wiederkommen, wenn ich meine lieben Schelme nicht wiedersehe, ich weiß nicht, wie ich das überstehen soll! Ich will mich auf meine schwarze Stute werfen und meine Schenkel an ihre Flanken pressen und reiten wie auf den Flügeln des Sturmes nach Hornsiel, dass ich noch eher da bin als Ben.
EBERHARD PILGRIMSON
Meinetwegen, bei Gott, so reite! Aber glaub nicht, dass Ben Berthold sich freut, wenn er dich sieht! Er ist doch so misstrauisch! Misstrauen sät der Satan!

(Der Rattenfänger von Hameln tritt auf, ärmlich gekleidet wie der Ewige Jude.)

RATTENFÄNGER
Fange nur die braune Ratze,
Schicken wir die weiße Katze!
Mäuse in die Mäusefalle,
Alle Ratten fang ich, alle!
STÖRTEBECKER
Wie? Ein Rattenfänger?
RATTENFÄNGER
Mäusefalle stell ins Haus,
Fange nur die fette Maus!
STÖRTEBECKER
Eberhard, das ist der Rattenfänger von Hameln, der alte Mann, der schwerhörig ist, der alte Kerl mit seinen verrückten Reden und mit seinen Mausefallen und Küchenbürsten.
(Störtebecker ahmt den Rattenfänger von Hameln nach.)
Ach, ich kann euch gar nicht hören,
Brüllt ihr auch in Himmelschören!
Ich der Lahme, ich der Taube –
Brumme, Bär, und gurre, Taube!
EBERHARD PILGRIMSON
Störtebecker, spiel nicht Komödie!
STÖRTEBECKER
Mit den Augen des Rattenfängers von Hameln will ich einmal die falsche Welt betrachten.
EBERHARD PILGRIMSON
Du hast ja den Spleen, mein Lieber!
STÖRTEBECKER
Ja, ich hab den Spleen! Ich bin so verrückt wie das Leben selber!
(sentimental)
Eberhard, als ich noch ein Knabe war, sagte meine Großmutter immer: Du hast ja den Spleen, mein Junge, du lamentierst wie ein Jude!
EBERHARD PILGRIMSON
Störtebecker, du bist aber kein Kindlein in der Wiege mehr.
STÖRTEBECKER
Das war eine selige Frau, meine liebe Frau Großmutter! Nun ist sie im Himmel!
EBERHARD PILGRIMSON
Störtebecker, du bist der König der freien See!
STÖRTEBECKER
Ich will um Vergangnes nicht trauern, mein Alter. Was gibt es Neues auf der See?
EBERHARD PILGRIMSON
Gut so, Störtebecker! Nur nicht das Leben verträumen! Was es Neues gibt auf der See? Von London kamen zwei Dutzend Schiffe, sie gehörten Simon von Utrecht, wir haben sie gekapert.
STÖRTEBECKER
Simon von Utrecht, das ist eine Quasselstrippe!
EBERHARD PILGRIMSON
Vor Sylt gekapert haben wir ein Schiff mit spanischem Wein, echten Carinena! Das Schiff liegt nun mit allen Fässern in Marienhafe!
STÖRTEBECKER
Das gibt neues frisches Blut in den Venen meiner Männer!
EBERHARD PILGRIMSON
Schiffe mit Fleisch sind von Dänemark gekommen, wir haben sie gekapert, sie liegen nun bei Helgoland an der Langen Anna.
STÖRTEBECKER
So können wir den grausamen Winter überstehen, wenn die Lange Anna uns ihr Fleisch gibt!
RATTENFÄNGER
Fange Ratten, fange Mäuse,
Fange Flöhe, fange Läuse!
EBERHARD PILGRIMSON
Hüte dich, du falsche Welt! Die Nordsee ist unser! Die Ostsee erobern wir uns wieder! Von Emden und Marienhafe aus erobern wir das Meer! Und dann fangen wir an, ein neues Buch des Lebens zu schreiben – auf unsere Art!
STÖRTEBECKER
(Pfeift)
Heureka! Ich hab eine Idee!
EBERHARD PILGRIMSON
Eine Idee?
STÖRTEBECKER
Die beste Idee! Eberhard Pilgrimson, grüße von mir den Häuptling Keno Tom Broke! Ich muß fort!
EBERHARD PILGRIMSON
Störtebecker, wann kommst du wieder?
STÖRTEBECKER
Wenn die Gerechtigkeit gesiegt hat!
EBERHARD PILGRIMSON
Hat er einen Knoten in seinen Nervenbahnen? Ist er verrückt geworden? Nun steht mein Knabe da und flüstert mit dem Rattenfänger von Hameln!


ZWEITER AKT


(Schenke zum Weißen Jadebusen in Hornsiel. Der Schenkwirt Detlef Krüger und sein Knecht, sowie seine Pflegetochter, die siebzehnjährige Marie: lange braune Haare, große braune Mandelaugen, schlanke Anmut eines hübschen Leibes.)

ERSTE SZENE


(Störtebecker, verkleidet als der Rattenfänger von Hameln, tritt in die Schenke zum Weißen Jadebusen.)

MARIE
Was ist das hier für ein wildes Treiben?
DETLEF KRÜGER
Der Flötenbläser und der Rattenfänger,
Der Flötenbläser und der Kinderfänger,
Der Ewge Jude ist es, ach und oh,
Der stand dereinst schon vor dem Pharao.
KNECHT
Der Vogel, der morgens früh singt...
DETLEF KRÜGER
...den fängt abends die schwarze Katze! Na, Marie, schau dir den Rattenfänger an! Ist das nicht eine imposante Erscheinung? Dick ist erotisch!
MARIE
Schäm dich, mein Pflegevater, man soll sich über einen alten kranken Mann nicht lustig machen!
DETLEF KRÜGER
Dirne! Spielst du wieder Moses auf dem Sinai?
MARIE
Still! Der Rattenfänger will reden.
RATTENFÄNGER
(zeigt seinen Sack mit Mäusefallen)
Huscht durchs Haus die fette Ratze,
Fang sie, Katze, fang sie, Katze!
Huscht durchs Haus die fette Maus,
Ist die Katze nicht zuhaus?
KNECHT
Wie funktionuckelt so eine Mausefalle?
RATTENFÄNGER
Hier tu etwas Käse hin,
Riecht das dann der Mäusesinn,
Kommt sie, nagt den Käse an,
Schnappt die Falle zu! Und dann
Sitzt die Mäusemutter fest!
Rattenflöhe bringen Pest!
O die fette Mäusefrau,
Sitzt sie fest im Kerkerbau!
MARIE
Und ist die weiße Mäusedame gefangen, was geschieht dann mit ihr?
DETLEF KRÜGER
Schlag sie tot!
MARIE
Oh diese süßen niedlichen Mäuschen! Sie sind ja so niedlich! Denen kann man doch nichts zuleide tun! Und wenn so ein kleines weißes Mäuseweibchen tot wäre – ich würde sie besprengen mit Marienmilch und so auferwecken vom Tode!
RATTENFÄNGER
Für die Bauern und die Fürsten
Und die Hausfraun hab ich Bürsten,
Sollen euch zum Besten nutzen,
Könnt das Haus im Frühling putzen!
DETLEF KRÜGER
Das ist was für dich, Marie, du liebst es doch, das Haus reinlich zu halten.
MARIE
Ja, mein Haus sei rein von Kot, wie auch die Welt soll rein sein von Sünde! Aber, Rattenfänger, was hast du denn da im ledernen Sack?
RATTENFÄNGER
Tu ja nichts als Gottes Willen:
Hier sind Drogen, also Pillen,
Habe keinen noch betrogen,
Sind nur Apothekerdrogen,
Kann ein Mensch vor Qual nicht schlafen,
Bring ich ihn in Morpheus’ Hafen!
DETLEF KRÜGER
Rattenfänger, musst du dir bei deinem vielen Verse-Rezitieren denn nicht einmal die Kehle spülen? Willst du eine Flasche Wein?
RATTENFÄNGER
Die Finanzen und die Banken
Und die Armen und die Kranken,
Advokaten, geile Affen,
Dumme Bauern, fette Pfaffen!
DETLEF KRÜGER
Der kennt die Welt! Aber willst du nun eine Flasche Wein?
RATTENFÄNGER
Alle wollen gute Gaben,
Wollen immer haben, haben!
Alle sind so königliche
Iche, aufgeblasne Iche!
DETLEF KRÜGER
Ob du eine Flasche Wein willst!
RATTENFÄNGER
Wollen rammeln wie die Ratten,
Fressen, saufen, sich begatten!
KNECHT
Detlef, da hast du ja deinen Meister gefunden.
RATTENFÄNGER
Fette Bäuche, zum Exempel,
Speisehäuser sind ihr Tempel,
Ob sie auch verfettet keuchen,
Götter sinds mit dicken Bäuchen!
DETLEF KRÜGER
Und die dummen Ehegatten
Rammeln ihre fetten Ratten!
MARIE
Schäm dich, mein Pflegevater, so über den alten kranken Mann zu spotten!
DETLEF KRÜGER
Du redest wie ein Weib!
MARIE
Und so über einen alten kranken Mann zu spotten, das nennst du männlich? Nein, alter kranker Mann, ich verspotte dich nicht! Setz dich da in den Winkel unters Kruzifix! Christus segne dich!
DETLEF KRÜGER
Marie, ich weiß: E v a regiert die Welt!
MARIE
Nein, nicht Eva, sondern die L i e b e regiert!
RATTENFÄNGER
Junges Mädchen! Schlankes Mädchen!
Schönes Mädchen! Liebes Mädchen!
DETLEF KRÜGER
Ha, Marie, den alten Sack hast du dir gefischt! Einen schönen Ritter hast du da!


ZWEITE SZENE


(Ben Berthold und eine Horde Seeräuber dringen in die Schenke zum Weißen Jadebusen ein.)

MARIE
Aha! Ihr also nennt euch Likedeeler?
BEN BERTHOLD
Passt dir das nicht?
MARIE
Was geht dich meine Ansicht an?
BEN BERTHOLD
Ah Dirne! Du machst die Stirn so kraus, wenn du mich anschaust!
MARIE
Meinst du, dir soll das glatte Antlitz eines Mädchens lächeln?
BEN BERTHOLD
Wirt, sind hier noch andre Männer im Haus als du und dein Knecht?
DETLEF KRÜGER
Nein.
BEN BERTHOLD
Und dies hübsche Mädchen ist deine Tochter?
DETLEF KRÜGER
Nein, Marie ist ein Waisenkind. Ich bin ihr gesetzlich bestellter Vormund.
MARIE
Mein Pflegevater, was sagst du dem Piraten das? Soll er etwa über mich zu Gericht sitzen?
BEN BERTHOLD
Ja, zu Gericht sitzen will ich! Wir Likedeeler sind gekommen, die Gerechtigkeit aufzurichten!
MARIE
Da bist du ja der Richtige!
DETLEF KRÜGER
Marie, halt den Mund!
MARIE
Du und Gerechtigkeit? Schäm dich, so ein heiliges Wort in den Mund zu nehmen! Du selbst bist ja die größte Ungerechtigkeit!
DETLEF KRÜGER
Marie, du redest wie ein unmündiger Säugling! Ich bitte dich, mein Bruder Ben, rechne Marie das nicht an!
BEN BERTHOLD
Lass sie nur reden! Ich höre ihr genauestens zu!
MARIE
So, Ben Berthold, so großsprecherisch? Was ist deine Gerechtigkeit? Ihr Likedeeler reißt die Kreuze aus den Kirchen heraus, ihr raubt die Ikonen und die Messgewänder, und nennt das heiligen Zorn des Volkes? Den göttlichen und katholischen Glauben tretet ihr mit Füßen! Rauben und niederbrennen und morden, das ist eure Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit! Ihr seid unterdrückt worden von den Reichen? Ja, aber meint ihr denn, man könne Unrecht wiedergutmachen durch ein noch größeres Unrecht?
GODECKE MICHAEL
Ah, das sollte der große Störtebecker hören!
MARIE
Störtebecker, der Pirat? Ein Räuber!
BEN BERTHOLD
Ah Dirne, du gefällst mir!
MARIE
Ob ich dir gefalle, das interessiert mich nicht! Ich sage, was mein Herz mir eingibt!
BEN BERTHOLD
Ja, du musst wohl ein loderndes Herz haben unter diesen göttlichen Brüsten!


DRITTE SZENE


(Der Fischer Piet stürzt herein)

PIET
Wo ist der Hauptmann?
EIN SEERÄUBER
Bei Fuß, du Hund!
BEN BERTHOLD
Was soll das?
PIET
Herr, hab Erbarmen! Mein Weib Kati liegt im Sterben!
SEERÄUBER
Das ist der Verräter! Der Hund wollte abhauen!
BEN BERTHOLD
Männer! Konntet ihr nicht Herr werden über so einen räudigen Köter?
DETLEF KRÜGER
Gott schütze die Seeräuber! Ich bin rein und unschuldig wie ein neugebornes Kindlein! Und wenn irgendein Makel an mir sein sollte, dann stopfe Sankt Mark mir das Maul!
BEN BERTHOLD
Dummer Detlef! Soll ich dir das Maul stopfen? So, Likedeeler, was ist mit dem Kerl hier?
SEERÄUBER
Ich sollte doch alle Häuser durchsuchen, den Verräter zu finden. Da fand ich das letzte Haus, und ein Menschensohn floh aus dem Haus und lief durch die Felder.
PIET
Das war mein Sohn Maximilian!
SEERÄUBER
Halt, du Hasenfuß, rief ich, aber er rannte, als wäre er Reinecke Fuchs, von Hunden gejagt!
PIET
Mein Sohn Maximilian wollte zum Priester, dass der die Sterbesakramente bringe zu seiner Mutter!
BEN BERTHOLD
Ich weiß Bescheid! Der Pfaffe wohnt sicher in Hamburg!
PIET
In Hamburg? Da gibt es keine Pfaffen.
BEN BERTHOLD
Du hast den Burschen doch gefangen, Matrose?
SEERÄUBER
Wir haben ihn gefangen genommen!
BEN BERTHOLD
Sterbesakramente! Dass ich nicht lache!
PIET
Mein Gott!
MARIE
Ben Berthold, wie kannst du so böse sein? Wenn der Tod mit seinen Knochenfingern an die Türe klopft, da braucht es Christi Barmherzigkeit!
BEN BERTHOLD
Ich weiß alles, Mädchen, ich weiß alles! Auf solchen Trug fall ich nicht herein!
SEERÄUBER
Ich also mit dem Knaben ins Haus! In der Kammer fanden wir den Fischer am Bett seiner sterbenden Frau. Ich sag, er soll mitkommen, er folgt wie ein guterzogener Hund.
PIET
Ich konnte doch am Bett meiner sterbenden Frau keine Revolution machen! Ich dachte doch, die Wahrheit kommt letzten Endes ans Licht!
BEN BERTHOLD
Ja, wenn dein Sohn Maximilian noch nach Hamburg gekommen wäre, dann wäre deine tote Frau gewiss auferstanden von den Toten!
PIET
Vater im Himmel! Gott weiß, dass ich unschuldig bin.
BEN BERTHOLD
Lass das Beten! Beten, beten, beten! Da kannst du in die Hände scheißen, die Hände falten und deine Scheiße kneten!
SEERÄUBER
Wir sagten ihm, er solle mitkommen, aber er rannte weg und stürzte hierher und hinein in die Schenke zum Weißen Jadebusen!
BEN BERTHOLD
Da knüpft sich doch einer selber die Schlinge um den Hals! Unschuld, das ist ein Spaß!
PIET
Ich wollte zum Hauptmann! Ich dachte: Die Matrosen sind ungerecht, aber der Hauptmann, der Hauptmann ist gerecht! So wahr der Herr lebt, ich bin unschuldig! Kati, Kati, meine arme sterbende Frau!
GODECKE MICHAEL
Ben, wenn der Mann unschuldig ist! Lass ihn zu seiner sterbenden Frau!
BEN BERTHOLD
Und ihn noch einen Pfaffen besorgen lassen aus Hamburg? Nein, davon verstehst du Milchgesicht nichts!
RATTENFÄNGER
(donnert mit der Faust auf den Tisch)
Hol den Rattenfloh die Pest!
Haltet nicht den Fischer fest!
BEN BERTHOLD
Bringt den Fischer auf mein Schiff, mein Reich und mein Gericht!
PIET
Kati, Kati, meine arme Frau! Ohne Priester-Beistand in deiner Todesstunde! Barmherziger Jesus!


VIERTE SZENE


EIN LIKEDEELER
Erzähl mir, Buddeltorsten, wie war das mit dem Pfaffen?
BUDDELTORSTEN
Wie das mit dem Pfaffen war? Klar wie Brühe! Er donnerte auf das Volk seine Rede, als ob der Herrgott im Himmel donnerte! Ich sage dir, so einen Himmelsdonner hab ich mein Leben lang noch nicht gehört.
LIKEDEELER
Ha, den Pfaffen hätt ich gern gehört.
ANDRER LIKEDEELER
Ich weiß nicht, recht war es doch nicht von Störtebecker, dass er dem Volk den Pfaffen auf den Hals geschickt hat.
BUDDELTORSTEN
Ha, Kinder! Der Pfaffe, das war ja – Er selbst! Störtebecker, unser Hauptmann!
LIKEDEELER
Augen wie Blitze, Worte wie Donner!
BUDDELTORSTEN
Das Volk war kaum fort, da warf Störtebecker das Messgewand ab und stand wieder da als unser Hauptmann. Und da musste er lachen über unsre dummen Gesichter!
BEN BERTHOLD
Detlef Krüger, eine Flasche Wein! Nein, ihr Spitzbuben, das ist nicht Likedeeler-Art, Versteckspielen! Komödie! Nein, geradeaus ist Likedeeler-Art! Nicht wahr, Marie, mein süßes Mädchen, direkt drauf zu und gradewegs hinein ist unsre Art?
MARIE
Was willst du von mir?
BEN BERTHOLD
Oho, das Mädchen ist pikiert! Je wilder die Stute, desto lustiger ist das Zähmen! Komm auf meinen Schoß, du süße Dirne!
MARIE
Lass deine Griffel von mir!
BEN BERTHOLD
Oho, eine Rühr-mich-nicht-an!
(Ben Berthold versucht, an Marie herumzufummeln. Sie gibt ihm eine schallende Ohrfeige.)
RATTENFÄNGER
Solch ein Knall! Ein Schöpfungsknall!
Solch ein Schall, ein Donnerhall!
BEN BERTHOLD
Du schmutziger Rattenfänger! Nicht jeder Pfannkuchen ist ein Prophet!
RATTENFÄNGER
Solche Herrenmenschen herrisch
Sind doch böse nur und närrisch,
Sind erfüllt von den Begierden
Nach der Zierrat schmucken Zierden,
Wollen sich am Geld erlaben,
Haben wollen sie und haben,
Fressen, saufen, sich begatten,
Rammeln wie die fetten Ratten!
BEN BERTHOLD
Noch eine Flasche vom korsischen Wein! Korsar, du bist mein Bruder!
RATTENFÄNGER
Auf die lieben Leute alle
Wartet eine Mausefalle,
Für die Kleinen und die Großen,
Für die Bauern und Matrosen!
Streckt vergebens eure Hände,
Denn es kommt ein schlimmes Ende!
Alle, alle müsst ihr sterben
Und es lachen eure Erben!
Seid ihr noch so große Lichter,
Das Gericht kommt und der Richter!
DETLEF KRÜGER
Ha, hörst du, Genosse Ben? An diesem schmierigen Rattenfänger ist ein Priester verloren gegangen!
BEN BERTHOLD
Halt das Maul, Detlef! Die süße Marie soll mir die Falsche korsischen Wein bringen!
RATTENFÄNGER
Doch der Mensch ist leider dumm,
Irrt so in der Welt herum,
Hat das liebe Geld so lieb,
Treibt so mit im Weltbetrieb,
Jeder lüstern voll Begier!
Jedem Affen sein Pläsier!
Ob du Esel oder Aff,
Hör gut zu: Ich bin der Pfaff,
Hört gut zu, ich bin der Papst!
Ob du dich an Lust erlabst,
Kommt geschlichen doch schon sacht
Mitternacht, ja, Mitternacht!
Gib dir einen letzten Ruck,
Nimm vom Wein noch einen Schluck,
Schau, wie Blut der Wein so rot,
Übermensch, es kommt der Tod!
Habt das Geld umsonst geschöpft,
Weil euch Hamburg morgen köpft!
BEN BERTHOLD
(umarmt gewaltsam Marie)So, süße Dirne, jetzt bist du mein!
MARIE
Sünder, laß deine schmierigen Griffel von mir!
BEN BERTHOLD
Sauft, Männer! Detlef Krüger gibt einen aus! Auf meine Hochzeit! Marie, nun halt doch still, du Wildkatze!
GODECKE MICHAEL
Ben, hast du den Verstand verloren?
BEN BERTHOLD
Weg mit dir!
GODECKE MICHAEL
Lass doch die junge Dirne los!
BEN BERTHOLD
Aha? Damit du sie dir in dein Bett nimmst?
GODECKE MICHAEL
Du hast ja nur geile Gedanken!
BEN BERTHOLD
Wer hat hier das Sagen?
GODECKE MICHAEL
Mein Gott! Wenn Störtebecker hier wäre!
BEN BERTHOLD
Was ich zu tun habe, weiß ich selber.
GODECKE MICHAEL
Likedeeler, Brüder! Ben Berthold weiß nicht mehr, was er tut! Seht da den Detlef, der hat uns verraten! Ich seh es ihm an seiner Satansfratze an! Fesselt den Judas Iskariot!
BEN BERTHOLD
Das ist Meuterei! Ich hab hier das Sagen!
BUDDELTORSTEN
Aber Ben, Godecke Michael ist einer von uns!
BEN BERTHOLD
Bindet ihn an den Schiffsmast und peitscht ihn aus!
GODECKE MICHAEL
Noch ist nicht aller Tage Abend!
BEN BERTHOLD
Deine letzte Stunde hat geschlagen!
GODECKE MICHAEL
Kraft unsres Gesetzes, hat nur Einer das Recht, zu richten über Leben und Tod! Störtebecker!
BEN BERTHOLD
Ha! So ruf doch deinen Störtebecker! Aber der sitzt bei Keno Tom Broke in der Häuptlingsburg und spielt Karten!
RATTENFÄNGER
Satansbraten! Satansbraten!
BEN BERTHOLD
Was fällt dir ein, du stinkendes Aas?
RATTENFÄNGER
(richtet sich auf und steht jetzt da wie ein Riese, donnert drohend)
Schelme! Ich bin euer Hauptmann!
(Er greift das Schwert des Godecke Michael und fechtet mit Ben Berthold.)
BEN BERTHOLD
Gott verdamm mich! Der ist stärker als ich!
RATTENFÄNGER
Ben Berthold, hör mir zu: Es gibt einen Weg, wie ihr hier alle wieder heil herauskommt: Ich lasse dich und deine Bande frei, wenn du mir den Störtebecker auslieferst, dass ich ihn den Hamburgern übergebe!
BEN BERTHOLD
(knirscht mit den Zähnen)Gut, den Störtebecker sollst du kriegen!
DETLEF KRÜGER
Ah, das ist eine teuflische Idee!
RATTENFÄNGER
Ja, Detlef, das gefällt dir, eine teuflische Idee! Der Teufel ist doch dein Herr und Meister!
GODECKE MICHAEL
(will fliehen)
Mein Störtebecker!
RATTENFÄNGER
Bleib hier, Knabe! Du gefällst mir! Nun sag: Gibst du mir Störtebeckers Leben für dein Leben?
GODECKE MICHAEL
Für Störtebecker bin ich bereit in den Tod zu gehen!
(Der Rattenfänger reißt seine Maske herunter und steht jetzt da als der herrliche Störtebecker!)
DETLEF KRÜGER
Störtebecker! Gott verdamm mich!
BEN BERTHOLD
Gott verdamm mich! Störtebecker!
MARIE
Du? Du bist Störtebecker?
STÖRTEBECKER
Ja, Marie, und du, du gefällst mir!
GODECKE MICHAEL
Mein Hauptmann!
STÖRTEBECKER
Komm mit mir, Godecke Michael, ich will auf die See! Ich will wieder Seeluft riechen! O Sankt Marie der See, meine Braut, o freie See, ich komme!



DRITTER AKT


(Marienhafe. Die Häuptlingsburg von Keno Tom Broke. Die Häuptlingsschwester Frauke, Eberhard Pilgrimson und Marie, sie warten auf die Wiederkunft Störtebeckers.)

ERSTE SZENE

(Frauke und Marie)

FRAUKE
Marie, mein Gott, mein Mädchen! Fällst du in Ohnmacht? Wie ist dir?
MARIE
Es ist nichts.
FRAUKE
Nein, Marie, wenn dich etwas bedrückt, dann sprich es aus! Denk nicht daran, dass Eberhard Pilgrimson dir nichts zutraut! Ich steh an deiner Seite!
MARIE
Ich danke dir, liebe Frauke! Aber das ist es nicht. Ach, soll er mich doch totschlagen! Dann hätte all der Jammer ein Ende!
FRAUKE
Mädchen, Mädchen! So soll ein Mensch nicht reden! Kommt ein schwerer Schicksalsschlag, so müssen wir geduldig tragen! Aber Eberhard Pilgrimson, er ist auch nur Staub vom Staube! Aber was ist sein Streiten gegen dich andres als Liebe zu Störtebecker?
MARIE
Liebe? Wenn Eberhard hier sitzt und Karten spielt? Mein Gott! Wenn ich ein Mann wär! Dann läge ich nicht so faul im Sessel! Auf die See hinaus würde ich fahren, Störtebecker wär ich nachgesegelt, und wenn es durch Windhosen ginge! Bis ans Ende der Welt wär ich ihm nachgesegelt!
FRAUKE
Marie, das tätest du für unsern Nikolaus?
MARIE
Ja, wenn ich ein Mann wär! (Sie weint.)
FRAUKE
Hat er zu dir denn einmal von Liebe gesprochen?
MARIE
Damals, in der Schenke zum Weißen Jadebusen, bevor er endgültig ging, kam er noch einmal zu mir zurück, um mit mir allein zu sprechen, er wolle mich mitnehmen auf die See!
FRAUKE
Was hast du ihm zur Antwort gegeben?
MARIE
Dass ich ein Mädchen bin!
FRAUKE
Und Nikolaus?
MARIE
Ich komme wieder, sagte er. Und ich hab gerufen: Ich geh bis nach Westindien, dass du mich nicht wiedersiehst!
FRAUKE
Aber du bist dann doch nicht nach Westindien gegangen?
MARIE
Die Jugend! Sie kann ein ganzes Peru an Liebe verschwenden! Aber nein, ich konnte nicht. Ach, liebe Frauke, ich hab doch jetzt auf der ganzen Welt niemanden mehr als dich! Ach, es zerreißt mich! Nachts, da seh ich vor mir im Geist sein Antlitz, und dann bete ich: Herr, lass ihn nicht wiederkommen! Ach Herr, lass ihn bald wiederkommen! O liebe Frauke, schütze mich vor Störtebecker!
FRAUKE
Marie! Wie könnte ich dich schützen vor deinem eignen Herzen? Weißt du nicht, dass der Zauberbann der Liebe heilig ist und dass selbst des Priesters Absolution nicht lösen kann den heiligen Zauberbann der Liebe?


ZWEITE SZENE


(Eberhard Pilgrimson, einige Likedeeler, Frauke und Marie.)

LIKEDEELER
Eberhard Pilgrimson, was sollen wir machen?
EBERHARD PILGRIMSON
Seid ihr Brüder? Ist das Brüder-Art, den Kopf niederzuducken? Das Korn ist weiß zur Ernte! Wir wollen es allen beweisen, dass wir Engel der Ernte sind!
(Likedeeler lärmend ab.)
Unser Glück ist das Leid! Unsre Ernte ist der Tod! Wenn es Zeit zur Ernte ist, dann wollen wir unsre Sensen dengeln!
FRAUKE
Komm, Marie, das ist nichts für empfindsame Mädchenohren.
EBERHARD PILGRIMSON
(fasst Marie am Lilienarm)Warte, schönes Mädchen! An meine Seite, Marie! Wenn es in den Tod geht, will ich in schöner Gesellschaft sein!
FRAUKE
Eberhard, lass doch das junge Mädchen los!
MARIE
Lass ihn nur, liebe Frauke.
FRAUKE
Mädchen! Bist du wahnsinnig? Du in deiner Unschuld!
MARIE
Ich habe doch niemanden mehr in der Welt!
EBERHARD PILGRIMSON
Meine Zeit ist um! Die Erntezeit kommt! Nikolaus, auf Leben und Tod! Nun spür ich deine Kraft in mir! Und wenn ich dir nacheilen muss ins Jenseits – dein Werk bleibt bestehen! Ich seh es voraus: Dein Ruf, Nikolaus, scharf wie ein Schwert, gebietend dem Sturm und der See, dein Ruf geht durch die Welt!
(Vom Hafen her hört man das Kuhhorn blasen)
FRAUKE
Gott sei Lob und Dank! Er kommt wieder! Die Schiffe hissen die schwarze Flagge! Störtebecker kommt!
EBERHARD PILGRIMSON
Wenn das wahr wäre...
FRAUKE
Sein Schiff legt an. Marie, du bist frei !
MARIE
Frei ? Nun fängt das Leiden erst richtig an !
FRAUKE
Die Männer vom Schiff kommen auf unsre Burg. Großer Gott! Wie sind die Schiffe ramponiert! Der Mastbaum ist gebrochen!
MARIE
Aber er ist gekommen!


DRITTE SZENE


(Störtebecker, Godecke Michael, Eberhard Pilgrimson, Buddeltorsten, Frauke, Marie.)

STÖRTEBECKER
Buddeltorsten, sattle meine Stute!
BUDDELTORSTEN
Willst du wieder in die Schenke zum Weißen Jadebusen? Eberhard Pilgrimson hat des Teufels Küche niedergebrannt!
STÖRTEBECKER
Bruder! Du hast den Satan Detlef Krüger und den Verräter Ben Berthold hingerichtet?
EBERHARD PILGRIMSON
Ja, mein Sohn!
STÖRTEBECKER
Aber Marie? Das Mädchen! Wo ist Marie!
MARIE
Störtebecker, ich bin ja da!
STÖRTEBECKER
Marie!
MARIE
Nikolaus!
STÖRTEBECKER
Marie, mein Mädchen!
MARIE
Störtebecker, was willst du von mir?
STÖRTEBECKER
Alles will ich von dir, du göttliches Mädchen! Jetzt hab ich keine andren Wünsche mehr!
FRAUKE
Marie, nimm einen Schluck Wein.
MARIE
So. Jetzt geht es wieder.
FRAUKE
Knabe, trink auch du vom guten Wein!
GODECKE MICHAEL
Ich trinke nicht. Aber Buddeltorsten, der ist gewiss schon durstig!
BUDDELTORSTEN
Ich habe geschworen, solange der Satan und sein Judas Iskariot noch am Leben sind, keinen Schluck zu trinken!
GODECKE MICHAEL
Aber nun, Buddeltorsten, nun darfst du trinken!
BUDDELTORSTEN
Ja, ich liebe den Wein, ich liebe das Weib, ich liebe den Gesang!
GODECKE MICHAEL
Trink in Christi Namen! Du hast es dir verdient!
EBERHARD PILGRIMSON
Wo wart ihr so lange?
GODECKE MICHAEL
Wir waren vor Albions weißer Küste, da rollte eine Perle aus dem Rosenkranz dem Störtebecker direkt vor die Füße, da nahm er die Perle in die Finger und rief: Ja, die Erde ist rund! Die Erde ist keine flache Scheibe, dass wir am Rande hinunterfallen könnten! Nein, die Erde ist wie eine Perle im Rosenkranz! Wenn wir nach Westindien segeln, kommen wir nach Ostindien! Auf nach Peru!
EBERHARD PILGRIMSON
Ihr seid zurückgekehrt.
GODECKE MICHAEL
Ja, und vor der Küste haben wir noch ein Hamburger Schiff gekapert mit bestem Rotwein aus Bordeaux!
BUDDELTORSTEN
Bordeaux, mein Freund, du bleibst mir treu!


VIERTE SZENE


(Störtebecker und Marie allein.)

STÖRTEBECKER
Marie, ich brauche dich!
MARIE
Ich bin doch nur ein junges Mädchen!
STÖRTEBECKER
Ich will dich an meiner Seite haben!
MARIE
Du könntest dir tausend Frauen mit Gewalt nehmen!
STÖRTEBECKER
Tausend Frauen will ich nicht! Ich will dich allein, mein göttliches Mädchen!
MARIE
Wirst du wieder auf die See gehen?
STÖRTEBECKER
Ich muss das sein, wozu der Donnerer mich berufen hat: Ich bin das Jüngste Gericht!
MARIE
Ich bin bei dir!
STÖRTEBECKER
Geliebte Marie!