Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

PROSA


Von Josef Maria Mayer


DIE EHE DES HERRN


Der Herr sagte zu mir zur Zeit der Regentin Angela: Hast du gesehen, was Glykere, Frau Abkehr, getan hat? Sie ging auf jeden hohen Berg und unter jeden belaubten Baum und hatte dort zügellose Sexualkontakte. Ich dachte, nach dem sie das alles getan hat, wird sie zu mir zurückkehren. Aber sie kehrte nicht um. Das sah ihre Schwester Thais, Frau Treulos. Sie sah, wie ich Glykere, Frau Abkehr, entlassen habe, weil sie Ehebruch begangen, und dass ich ihr die Scheidungsurkunde gegeben habe. Aber ihre Schwester Thais, Frau Treulos, fürchtete sich nicht. Sie machte sich auf und hatte ebenfalls zügellose Sexualkontakte. So geschah es, dass sie durch ihr leichtfertiges sexuelles Treiben Deutschland entweihte: Sie beging Ehebruch mit Edelsteinen und Phallusstatuen. Bei alldem ist Thais, Frau Treulos, nicht von ganzem Herzen zu mir umgekehrt, sondern nur mit lügnerischem Schein, so des Herrn Spruch.

Da sagte der Herr zu mir: Glykere, Frau Abkehr, steht gerechter da als Thais, Frau Treulos. Geh und rufe diese Worte nach Norden: Kehre um, Glykere, Frau Abkehr! So ist des Herrn Spruch: Ich zürne nicht für immer. Begreife doch deine Sünde, Frau! Gegen den Herrn, den wahren Gott, hast du rebelliert und deine Möglichkeiten unter jedem belaubten Baum an fremde Männer verstreut. Auf meine Stimme habt ihr nicht gehört, spricht der Herr.

Vor langer Zeit zerbrach ich dein Joch und zerriss deine Fesseln, Thais. Aber du hast gesagt: Ich will nicht die Magd des Herrn sein. Auf allen Hügeln und unter jedem belaubten Baum gabst du dich hin in zügelloser Weise. Ich pflanzte dich als Rebe von edler Sorte. Aber du bist mir zu einer sauren Traube geworden. Und wenn du dich auch mit Milch-und-Honig-Schaum badest und mit Wildrosenöl salbst, so wirst du doch nicht rein, dein Fehltritt bleibt wie ein Schmutzfleck an deinen Schenkeln kleben, spricht der Herr. Wie kannst du sagen: Ich bin erlöst und heilig und weiß von keiner Sünde? Betrachte doch dein Verhalten im Tal des Südens. Wie eine brünstige Stute bist du hin und her gelaufen, wie eine geile Eselin, die gierig nach Luft schnappt vor lauter Wollust. Wer kann deine Brunst zügeln? Aber alle Männer, die dir hinterher laufen, brauchen nicht lange zu laufen, sie finden dich willig und bereit, sie finden dich geil in deiner Brunftzeit.

Und du, Verstörte, was machst du, dass du schöne Kleider anziehst, dich mit Schmuck schmückst und deine Lippen mit Scharlach schminkst? Umsonst machst du dich schön, Thais. Die Männer, die dich begehrten, sie trachten dir nun nach der Seele.

Hebe deine Augen, Thais, und schau, wie der Feind von Norden kommt. Wo sind die Lämmer, die dir anvertraut wurden, wo sind die lieben Lämmer? Was wirst du sagen, wenn die, die du unterrichtet, sich über dich setzen und dich beherrschen? Wirst du nicht stöhnen und schreien wie ein Weib in ihren Wehen? Wenn du dich dann in deinem Herzen fragst: Warum muß ich so unglücklich sein? Wegen deiner vielfachen Sünden wurde dir dein Rock hochgehoben und deine Scham vergewaltigt. Ändern wohl wilde Männer aus Afrika die Farbe ihres Fells? Genauso könnt ihr Weiber auch nichts Gutes tun, weil ihr böse seid. Ich werde die Bösen verstreuen wie Wüstensand. Das ist dein Schicksal, der Anteil, den ich dir zugemessen habe, spricht der Herr, weil du mich vergessen hast und auf die Lüge vertraut. Ich habe deinen Rock gehoben, dass deine Scham sichtbar ward, damit alle dein zügelloses sexuelles Treiben sehen, dein Gewieher, du brünstige Stute, deine zügellose sündige Sexualität. Auf allen Bergen und Hügeln hab ich deine Phallussäulen gesehen. Weh dir, du bist nicht rein für den Kult im Heiligtum! Wie lange willst du noch in der Sünde leben?

Thais, auf deine Schönheit hast du dich verlassen, deinen Namen aber hast du beschmutzt, herumgehurt hast du und so deinen guten Ruf ruiniert. Deine Wollust hast du hingegeben, herumgehurt mit jedem Mann, der vorbeigekommen ist, egal wer es war. Du nahmst deine bunten Decken und Kissen, breitetest sie aus und lebtest deine Wollust aus und hurtest auf dem Bett. So etwas soll es nie wieder geben! Den Schmuck nahmst du, den ich dir geschenkt, und machtest dir Phallusstatuen daraus und triebst es mit den Phallusstatuen, hurtest mit den kleinen Phalli. Du nahmst deine hingehauchte Gaze und stülptest sie über die Phallusstatue. Salböl und Weihrauch legtest du vor deine Phallusgötter. Das Brot, das ich dir gegeben, den Käse und die Butter opfertest du deinem Phallusgott.

Dann hast du auch noch deine Söhne genommen und sie den Dämonen durch die Hände der Wahrsager geweiht. War es nicht genug an deinen verhurten Exzessen, dass du auch noch meine Kinder den Dämonen weihen musstest? In all deinem Herumhuren, erinnerst du dich da an deine Jugend, als du nackt warst, als deine Brüste voll geworden sind und dein Schamhaar gesprossen?

Dann hast du dir eine Theaterbühne bauen lassen. An jeder Straßenecke stand deine Theaterbühne für die Komödianten. Deine Schönheit hast du missbraucht. Die Beine hast du gespreizt für jeden, der vorüberkam. Immer weiter triebst du deine Hurerei. Du hurtest mit deinen superpotenten Nachbarn. Immer weiter triebst du deine Hurerei und kränktest mich damit. Da hab ich mich erhoben und dir entzogen, was dir eigentlich bestimmt war. Ich habe dich der Begierde dessen ausgeliefert, der dich verachtet, der sich durch deine Dreistigkeit gedemütigt fühlte. Du hurtest, triebst es noch mit andern und kriegtest das Maul nicht voll! Auch mit Geschäftsmännern hast du dich eingelassen und die Beine gespreizt und mit ihnen herumgehurt und kriegtest auch da das Maul nicht voll! Wie dürstete doch dein Herz, Spruch des Herrn, als du es so getrieben, diese Taten einer Hure, eines vulgären Weibes, als du an jeder Straßenecke deine Theaterbühne aufgestellt hast. Aber du bist eigentlich nicht wie eine ordinäre Hure, denn du hast ja kein Geld von den Männern genommen. Die Ehebrecherin, die eigentlich ihrem Mann folgen sollte, nimmt sich fremde Männer, die sonst den Huren Geld gegeben hätten. Aber du hast den Hurern auch noch Geschenke gemacht und gabst ihnen Geld dafür, dass sie von allen Seiten zu dir kamen. Obwohl keiner zu dir kam wie man zu einer Hure geht, bist du als Hure den Hurern nachgelaufen und gabst den Hurern Geld dafür, dass sie mit dir hurten. So bist du das Gegenteil einer ordinären Hure!

So spricht der Herr: Weil du sexuell erregt warst und Männer sich über deine Nacktheit hermachten bei deinem verhurten Treiben mit all deinen Freiern und deinen trügerischen Geistern und wegen deiner Schuld vor deinen Kindern, als du deine Kinder den bösen Geistern weihtest, darum, schau nur, werde ich den Liebhaber rufen, der dich so süß fand, ich werde gegen dich zusammen rufen alle, die du liebtest, und alle, die du verschmähtest, von allen Seiten kommen sie zu dir und vergehen sich an deiner Nacktheit, sie werden dich splitternackt sehen! Nach den Gesetzen für Ehebruch und Kindermord wirst du gerichtet und ich werde dich dem glühenden Zorn und der brennenden Eifersucht deines Liebhabers aussetzen! Ich werde dich in die Hand des Mannes geben. Er wird deinen Sockel niederreißen, auf den du dich stelltest, als wärest du eine Gottheit, und er wird die Theaterbühnen zerstören, darauf du dich präsentiert hast deinen verhurten Freiern! Deine Seidenkleidchen werden dir vom Leib gerissen und deine Halsketten dir von den Brüsten gerissen und du wirst splitternackt im Grase liegen! Meinen glühenden Zorn werde ich an dir vollziehen und meine Eifersucht wird sich erst legen, wenn sich mein glühender Zorn ganz ausgetobt hat! Weil du dich nicht an deine Jugend erinnert, da ich den Bund mit dir geschlossen, weil du mich rasend vor Zorn gemacht hast durch dein verhurtes Treiben, darum werde ich deine sündige Lebensweise über dich kommen lassen.

Da erreichte mich das Wort des Herrn: Menschensohn! Es waren zwei Frauen, die hurten in ihrer Jugend im Götzendienst. Sie ließen sich ihren Busen streicheln und ihre Brüste betatschen. Ihre Namen sind: Thais, die ältere Schwester, Glykere, die jüngere Schwester. Ich nahm sie und sie gebaren Söhne. Glykere trieb Hurerei und sehnte sich nach ihren Freiern. Ihre Freier waren schöne starke Männer, gut gekleidet, sie kamen in großen Wagen heran. Sie richtete ihre Begierde auf die starken Männer, und mit allen ihren Freiern und deren Götzen entwürdigte sie ihre eigene Scham. Während sie zu jenen sexuelle Beziehungen unterhielt, brach sie ihre sexuellen Beziehungen zu ihren früheren Freiern nicht ab. Sie trieb es mit mehreren Freiern zu gleicher Zeit. Schon in ihrer Jugend konnte man ihr beiwohnen und ihren großen Busen betatschen und seine Wollust über sie ausschütten. Darum hab ich sie nun auch den Händen ihrer Buhlen überlassen, den Händen ihrer Freier, nach denen sie Verlangen spürte. Ihre Freier haben ihre Nacktheit bloßgelegt und ihre Söhne wollten sie ermorden. Sie selbst aber wurde mit einem verfrühten Tode bedroht. Sie wurde zu einem abschreckenden Beispiel für alle Weiber. Ich werde sie richten!

Ihre Schwester Thais sah das wilde Treiben ihrer Schwester und tat es ihr gleich in Exzessen der verhurten Unzucht. Sie begehrte die Fremden, die vorüberkamen, lustige Komödianten, schön gekleidet und von weit her gekommen, begehrenswerte Männer! Ich sah, wie sie sich entwürdigt hatte. Die beiden Hurenschwester waren doch eine wie die andre. Doch trieb Thais noch eine andre Hurerei: Sie sah Götter in farbigen Bildern, wunderschöne nackte Männer mit gewaltigen Phalli! Da begehrte sie die Wollustgötter. Da kamen die Heiden mit ihren Wollustgöttern und wohnten Thais bei in verhurter Lust und lagen in ihrem Bett und befleckte ihr Liebeslager. Und als ihre Nacktheit offenbar war und ihre Hurerei bekannt geworden, da wandte ich mich angewidert von ihr ab, genauso wie ich mich von ihrer verhurten Schwester Glykere angeekelt abgewandt hatte. Und sie erinnerten sich beide daran, wie sie in ihrer Jugend in Frankreich gehurt, da sie freiwillig ihre Beine gespreizt jedem Reisenden, der zufällig vorübergekommen. Nebeneinander lagen sie im Wagen und ließen sich beschlafen wie Huren von fremden Männern, die geil wie Esel waren und Glieder wie potente Hengste hatten und deren Samenerguss wie der Samenerguss eines Hengstes war. Thais, du sehntest dich oft zurück nach deiner Jugend, da du dich von jedem nehmen ließest und jedem die Beine bereitwillig spreiztest! Glykere, du sehntest dich oft zurück nach deiner Jugend, da man deinen großen Busen entblößt und betatscht!

Ich sprach: Die abgenutzte Hure denkt immer noch an Ehebruch, jetzt führt sie ihre Unzucht fort und wohnt einem Manne bei, der nicht ihr Mann ist. Man geht zu Thais und Glykere, wie man zu Huren geht, und man schaut Thais und Glykere begierlich an, wie man Prostituierte anschaut, die beiden verhurten Weiber. Aber gerechte Männer werden sie richten nach dem Gesetz für Ehebrecherinnen und Kindermörderinnen! Denn sie brechen die Ehe selbst mit ihren eigenen Männern und der Mord an ungebornen Kindern liegt auf ihnen wie eine schreckliche Schuld. Aber so spricht der Herr: Ich werde die Schande aus Deutschland wegschaffen! Die kommenden Frauen werden sich warnen lassen und die Schandtaten verhurter Unzucht und satanischen Kindermordes nicht mehr nachahmen. Dann werden auch die Deutschen erkennen, dass Gott der Herr ist!

Wegen der großen Hurerei der Hure Thais, wegen der anmutvollen Schönheit der Herrin der Magie, die Seelen verkaufte durch ihre magischen Sprüche und Familien verfolgte durch ihre Flüche, darum werde ich über dich herfallen, spricht der Herr der Heerscharen, ich werde dein Kleid hochheben und über dein Antlitz ziehen und alle Welt soll deine Scham betrachten und die Edlen sollen deine Schande erkennen. Ich werde Schmutz auf dich werfen, ich werde dich vergewaltigen wie ein wilder Mann aus dem Wald und in aller Öffentlichkeit deine Nacktheit sehen lassen!

Anfang des Sprechens des Herrn in mir. Der Herr sprach zu mir zur Zeit der Regentin Angela, zur Zeit des Hohenpriesters Benedikt: Geh zu der Hure Glykere, die es mit vielen Männern treibt, und geh zu den Söhnen der Hure, denn Deutschland ist eine Hure geworden und hat den Herrn verlassen. Da ging ich zu Glykere, der Tochter eines Weltenbummlers. Sie gebar ihren ersten Sohn. Sein Name war: der Bauer. Denn zu dieser Zeit werden die Bauern in Deutschland so ausgehungert werden, dass sie sich vor Jammer und Elend das Leben nehmen. Und Glykere wurde wieder schwanger und gebar Zwillinge. Und der große hieß: der Liebe, weil er im Mutterschoß der Ungeliebte war, und der Kleine hieß: der von Gott Erwünschte, weil er im Mutterschoß unerwünscht war. Der Herr wird sie retten, aber er wird sie nicht retten durch Schwerter und durch Pfeil und Bogen, sondern er wird sie retten durch das immerwährende Gebet.

Streitet mit eurer Mutter, der Hure, klagt sie an! Nein, sie ist nicht meine Frau und ich bin nicht ihr Mann! Sie soll ihren Hurenschmuck von ihrem Hals entfernen und die Hurenketten von ihren Brüsten und die ehebrecherischen Talismane von ihren Fingern. Sonst werde ich sie ausziehen und sie nackt ins Gras legen. Wild getrieben hat es die Mutter, sie hat sich mit Sünde bedeckt. Sie hat gesagt: Ich will meinen Freiern hinterher rennen, sie geben mir Brot und Wasser, Kleider und Salben und Schaumwein. Darum bin ich jetzt dabei, ihren Garten von Brennesseln überwuchern zu lassen. Ich sperre sie zuhause ein, dass sie den Weg zu ihren geilen Hengsten nicht mehr findet. Seufzt sie ihren Buhlen auch nach, so wird sie die Freier nicht mehr erreichen. Dann wird sie sagen: Ich kehre zu meinem ersten Mann zurück, der hat mir wenigstens gedient. Sie erkennt aber nicht, dass der Herr ihr das tägliche Brot gegeben. Den Schmuck, den ich ihr geschenkt, den nimmt sie und treibt Magie und Verführung damit. Ich aber werde ihr die Kleider vom Leibe reißen, womit sie ihre Nacktheit zu verhüllen sich bemüht. Ich decke ihr Geschlecht vor allen Männern auf.

Dich aber will ich verführen, mein Geliebter, ich werde dich in die Einsamkeit führen, in die Mitte der Einöde, dort werde ich von Herz zu Herz mit dir reden. Ich werde dir deinen Weinberg schenken! Dann wirst du mir singen, wie du gesungen am Tag, da ich dich aus der heidnischen Todesfinsternis befreite. An jenem Tag, spricht Sophia, nennst du mich deine Braut! Du wirst nicht mehr die Venus lieben, die körperliche Schönheit, sondern du wirst Sophia lieben, die göttliche Weisheit. Du wirst mich nicht mehr Königin des Himmels nennen, sondern deine Geliebte! Ich werde mich mit dir verloben durch Gerechtigkeit und Rechtfertigung, durch Barmherzigkeit und Liebe. Die göttliche Liebe wird mein Brautgeschenk! Mit meiner Treue werde ich dich gewinnen und du wirst Sophia erkennen!

An jenem Tag wird der Bauer sagen: Mein Gott! Und der Liebe wird sagen: Mein lieber Vater!

Höre aufmerksam auf meine Weisheit, hab ein Ohr für meine Einsicht, damit du klug bleibst und die Erkenntnis bewahrst. Ja, süß sind die Lippen der Frau deines Nächsten, süß wie Honig sind ihre Lippen, und ihre Zunge ist sanft wie schmelzende Butter und ihr Gaumen verführerisch schmeichelnd. Aber schließlich ist sie bitter wie Wermut und ihre Zunge scharf wie ein Messer. Ihre Füße wandeln zum Totenreich, ihre Schritte bewegen sich auf die Hölle zu. Damit du vom Weg zum ewigen Leben abirrst, geht sie Wege durch Labyrinthe, erkennst du es nicht? Dein Weg soll nicht zu ihrer Gasse führen, halte deine Füße fern von ihrer Hütte. Gib deine Zeit nicht den fremden Leuten und deine Jahre nicht den Frauen mit steinharten Herzen. Sonst werden sich Frauen andrer Männer an deiner Arbeit erfreuen und dich aussaugen wie Vampire, dein mühsam erspartes Geld wirst du verschwenden in ihren nimmersatten Schoß. Schließlich wirst du seufzen und stöhnen und am Ende deines Lebens bereuen. Dann wirst du sprechen: Wir hab ich doch die Ermahnung meines Beichtvaters nicht beachtet und habe nicht auf die Stimme der Gelehrten gehört! Beinnah wäre ich in die Gemeinschaft der Bösen gekommen!

Nein, mein Sohn, sondern trinke aus deiner Quelle klares frisches Wasser! Dann wird die Quelle deines Lebens überströmen auf alle Straßen und deine Ströme zu allen durstigen Kindern! Für dich allein ist die Quelle deines Lebens und nicht für die dir fremden Frauen! Deine reine Quelle sei gebenedeit! Freue dich an deiner jungen Geliebten, der geliebten Jungfrau Sophia! Eng ist ihr Muttermund wie der Muttermund einer Hirschkuh und sie erfreut den Weisen in einer langen Ehe in immerwährender Jungfräulichkeit wie am ersten Tag! Schön und anmutig ist sie wie eine weiße schlanke Gazelle! Warum willst du dich an einem andern Weib ergötzen und dich berauschen an den Brüsten der Frau deines Nächsten? Alles weiß der allein weise Gott! Die Brüste deiner Geliebten allein sättigen dich und an den Brüsten deiner jungen Geliebten allein sollst du dich berauschen! An der Liebe der makellosen Jungfrau Sophia sollst du dich immer und ewig allein berauschen!




DIE GOLDENEN HAARE DES GÖTTLICHEN KINDES



DIE HÖLLE


Der Fürst der Hölle, der Feind aller Menschenkinder, betrachtete einst in seinem Pandämonium das Buch des Lebens und das Buch der Werke. Dabei stieß er auf den Namen des Heiligen Liu, der unsterblich war. Der Fürst der Hölle gab zwei Dämonen den Befehl, den Heiligen Liu in die Hölle zu bringen. Die beiden Dämonen kamen an das Haus, wo der Heilige Liu wohnte und klingelten an der Tür seiner Wohnung und riefen: Liu, der Fürst der Hölle hat befohlen, dich zu holen!

Liu wusste, dass die beiden Dämonen gerne Wein tranken. Als er nun ihre Säuferstimmen lallen hörte, stand er von seinem Sopha auf und stellte in die Mitte seines Zimmers ein großes Fass mit Wasser. Dann stieß er ein Loch in die Hausdecke und schüttete eine halbe Flasche Wein auf den Teppich.

Dann sprach der Heilige Liu zu den beiden Dämonen, die vor der Wohnungstür warteten: Ich habe so eine Angewohnheit. Im Winter, wenn es draußen regnet und schneit, dann trink ich zuhause von morgens bis abends Wein. Ich habe da eine Sorte Wein, die vergeistigt den Körper und bringt einen zum Schweben. Ich schwebe also nachts immer zur Himmelspforte. Darum habe ich ein Loch in meiner Decke, damit ich hinaufschweben kann zur Himmelspforte. Ich habe aber gestern einen über den Durst getrunken, darum liege ich heute noch etwas zermatscht auf meinem Sopha und kann mich nicht erheben.

Als die beiden Dämonen von dem edlen Tropfen hörten, wurden sie besonders durstig. Sie sagten: Liu, wenn du gestern zuviel gesoffen, bleib ruhig auf deinem Sopha liegen. Der Heilige Liu sagte: Kommt doch durch das Loch in der Decke! Es ist draußen so kalt, kommt mich doch besuchen und wärmt euch an meinem Himmelswein auf!

Die beiden Dämonen drängten sich durch das Loch in der Decke, und schon lag der erste Dämon im Wasserfass. Da rief Liu laut: Warte, nicht so eilig! Da glaubte der andre Dämon, der erste Dämon wolle den Wein allein trinken. Mein Freund und Bruder, rief er, lass mir etwas von dem Himmelswein übrig, ich habe auch sehr großen Durst. Und schon lag auch der zweite Dämon im Wasserfass. Der Heilige Liu legte rasch einen Deckel auf das Fass und legte einen schweren Stein auf den Deckel und so waren die Dämonen eingesperrt, ja, sie ersoffen beide im Wasser!

Der Heilige Liu wusste aber, nachdem er die beiden Dämonen im Wasser ersäuft hatte, würde der Fürst der Hölle selber kommen, ihn in die Hölle zu holen. Darum färbte der Heilige Liu eine Kuh mit rotem Schlamm rot und band sie im Stall an. Und schon kam der Fürst der Hölle und bellte: Liu, du hast zwei meiner Dämonen ersäuft, schnell, ich komme, dich zu holen, komm herab in die Hölle!

Der Heilige Liu lächelte freundlich und sagte: Fürst der Hölle, von den beiden Dämonen habe ich gehört, sie haben sich betrunken in einen Abgrund gestürzt. Aber du reitest auf einem Tausend-Meilen-Flügelpferd? Wenn ich mit dir kommen soll in die Hölle und muß den ganzen weiten Weg zu Fuß gehen? Ich hole mir aus dem Stall auch ein Reittier. Der Fürst der Hölle sprach: Aber mach schnell! Und so holte der Heilige Liu die rote Kuh aus dem Stall. Da sprach der Fürst der Hölle: Was ist das für ein Fabeltier? Da sagte der Heilige Liu: Einmal anblasen, fliegt es tausend Meilen, einmal peitschen, fliegt es dreitausend Meilen, einmal mit den Schenkeln drücken, fliegt es zehntausend Meilen. Da sprach der Fürst der Hölle: Das hab ich noch nie gehört, das ist ja besser als mein Tausend-Meilen-Flügelpferd. Wir tauschen! Da sagte der Heilige Liu lächelnd: Wenn ich sowieso sterben muß, was soll ich dann mit einem Fabeltier? Aber es wird sich von dir nicht reiten lassen. Wir müssen unsre Kleider tauschen.

Nun trug also der Heilige Liu den Mantel des Höllenfürsten und der Höllenfürst trug den Arme-Leute-Kittel des Heiligen. Der Heilige Liu setzte sich auf das Tausend-Meilen-Flügelpferd und flog wie der Blitz davon, direkt in die Hölle. Der Fürst der Hölle aber saß auf der roten Kuh und schwitzte und drückte mit den Schenkeln und peitsche und blies, aber die alte Kuh bewegte sich keinen Schritt von der Stelle. Schließlich gab der Höllenfürst auf und ging zu Fuß zur Hölle.

Als der Fürst der Hölle in dem Arme-Leute-Kittel des Heiligen Liu zum Thron des Höllenfürsten kam, saß auf dem Höllenthron der Heilige Liu im schwarzen Mantel des Höllenfürsten und gebot den zehntausend Dämonen: Da kommt Liu, schlagt ihn tot! Verzweifelt schrie der Höllenfürst: Ich bin der Höllenfürst, da auf dem Höllenthron sitzt der Heilige Liu! Aber der Heilige Liu sprach vom Höllenthron zum Höllenfürsten: Was, du wagst auch noch, frech zu werden? Auf, ihr Legionen, schlagt ihn tot wie einen räudigen Straßenköter! Es dauerte nicht lange, da hatte der Höllenfürst seine Seele ausgehaucht.



DAS FEGEFEUER


An einem Berg in einem alten verfallnen Tempelchen wohnte Sheng. Er trank süßes Quellwasser, aber sein Leben war bitter. Wenn er arbeiten ging, begleitete ihn nur sein Schatten. Abends, wenn nur das Lämpchen im Dunkel glühte, war es besonders trostlos.

Eines Tages bei seiner Arbeit in den Bergen kam Sheng auf einen Gipfel, da sah er eine Quelle. Da sah er bei der Quelle eine Flöte liegen, die Flöte war aus grüner Jade. Er blies die Flöte und die Töne klangen süßer als der Gesang der Nachtigallen. Nun saß er auf dem Gipfel und blies die Flöte. Und als er die Flöte blies, da kamen die Vögel herbeigeflogen, die Leoparden blieben ruhig liegen und lauschten. Und Sheng blies wieder die Flöte, da kam ein weißer Schmetterling, so groß wie der Fächer eines schönen Mädchens. Der Schmetterling setzte sich auf den Schmetterlingsflieder und flatterte wieder davon. So einen schönen Schmetterling hatte Sheng noch nie gesehen. Sheng steckte die Flöte in die Tasche und ging nach Hause in sein kleines Tempelchen.

Am nächsten Tag ging Sheng wieder zur Arbeit in die Berge. Er aß sein weißes Brot und trank von der Quelle. Dan blies er wieder die Flöte. Da kamen die Vögel angeflogen und die Hirschkühe kamen mit ihren Rehkitzen angelaufen. Sheng blies heftiger. Aber ihm war traurig zumute. Die Vögel paaren sich und die Hirschkuh hat schon Rehzwillinge, aber ich bin allein, ich bin so einsam! Da spielte Sheng eine traurige Melodie auf der Flöte. Die Hirschkuh ließ vor Mitleid ihr Köpfchen hängen.

Da hörte Sheng ein lautes Schluchzen. Er ging ein paar Schritte und fand ein junges schönes Mädchen unter einem Pfirsichbaum mit rosaroten Blüten sitzen, ihr Kleid war weiß wie Schnee, ihr weißes Antlitz mit dem roten Mündchen war tränenüberströmt.

Schwesterchen Meh-Meh, sagte Sheng, warum bist du so traurig? Wenn du schon fragst, mein großer Bruder, sagte das Mädchen, dann will ich dir es auch sagen: Ich bin ganz allein. Und jetzt hat ein böser alter Mann sein begieriges Auge auf mich geworfen und will mich als sein Weib! Da sagte Sheng: Weine nicht mehr, Meh-Meh, ich werde dich retten! Da lächelte das hübsche Mädchen und sagte: Ich habe dich hier noch nie gesehen, großer Bruder, aber ich möchte gerne deine Braut sein. Da dachte Sheng: Träume ich am helllichten Tage? Gibt es so etwas? Und er sagte: Ich bin Sheng und wohne im alten Tempelchen am Fuß des Berges. Da sagte das Mädchen: Großer Bruder, wir wollen in Zukunft zusammen fröhlich sein und auch zusammen weinen! Da sagte Sheng: Aber willst du mit mir in dem alten verfallenen Tempelchen wohnen? Das Mädchen lächelte: Mein Vater hat in den Bergen ein schönes großes Haus, darin ist alles, was wir brauchen. Laß uns da zusammen wohnen.

Je länger sie miteinander sprachen, desto besser verstanden sie sich. Das junge Mädchen ging voran und Sheng kletterte hinter ihr den steilen Bergpfad hinan, sie schien zu schweben, zu flattern, ihre weiße Seide flatterte in den Lüften. Das Mädchen lachte glücklich. Lachend spielten sie unter großen Kiefernbäumen Verstecken, und Sheng kitzelte das junge Mädchen und brachte sie zum Lachen. Dann kamen sie an ein Wäldchen und am Rand des Wäldchens lag ein Haus. Von außen sah es nicht besonders aus, aber im Innern war es wunderschön. Dort lebten nun Sheng und sein Meh-Meh-Mädchen, sein Schwesterchen, wie Braut und Bräutigam.



DAS PARADIES


In einem Dorfe lebte allein mit seiner Mutter der junge Mann Ming. Er war verliebt in die Tochter seiner Tante im Nachbardorf, die junge schöne Tsai. Aber die Tante war geldgierig und sagte: Du wirst nicht eher mein liebes Mädchen zur Braut bekommen, bis du drei goldene Haare aus den Locken des göttlichen Kindes im Himmel gezupft hast.

Ming wanderte los und kam an ein Meer. Da saß er nun und wartete. Da kam ein Fährmann in einem Boot. Ming stieg in das Boot. Der Fährmann fragte: Wohin willst du? Ming sprach: Ich will ins Paradies! Und was willst du im Paradies, fragte der Fährmann? Ich will das göttliche Kind besuchen, sprach Ming. Und was willst du vom göttlichen Kind, fragte der Fährmann. Ich, sprach Ming, will dem göttlichen Kind drei goldene Haare aus seinen goldenen Locken zupfen.

Der Fährmann setzte Ming an Land. Ming wanderte noch drei Tage, dann kam er ins Paradies. Wie schön war es hier! Die Straßen waren mit weißer Jade gepflastert, die Paläste waren aus Gold, Silber und Perlen, an den Bäumen wuchsen Blätter aus durchsichtigem grünen Edelgestein und auf den Spitzen der Pavillons blitzen funkelndrote Juwelen. Aber Ming war nicht danach zumute, sich im Paradies umzusehen, er suchte allein das göttliche Kind. Wo ist das Haus des göttlichen Kindes? Da sah er am Himmelstor zwei Wächter stehen, der eine war der himmlische Fischer mit dem Himmelsschlüssel und der andere der himmlische Zeltmacher mit dem Schwert, die waren so groß, dass Ming sich vorkam wie ein kleiner Knabe. Der himmlische Fischer mit dem Himmelschlüssel schaute Ming an und sagte: Was suchst du hier? Ming sprach: Ich möchte das göttliche Kind sehen. Warum, sprach der himmlische Fischer. Ich möchte drei goldene Haare aus seinen Locken zupfen, sagte Ming, damit ich ein schönes junges Mädchen heiraten kann. Interessant, sagte der himmlische Zeltmacher und lächelte. Aber leider ist das göttliche Kind gerade spazieren und betet dabei, da darf jetzt niemand stören. Da sprach Ming demütig: Dann warte ich, bis das göttliche Kind Zeit für mich hat. Der himmlische Zeltmacher sprach: Zeit? Was ist das? Wenn das göttliche Kind betet, dauert das drei Tage und Nächte. Komm in drei Tagen wieder!

Ming setzte sich unter einen Feigenbaum im Paradies und war bekümmert. Da habe ich mich nun so abgemüht und bin zehntausend Meilen gewandert und nun sagt man mir, ich solle in drei Tagen wiederkommen. Einfach zurück zu den Menschen gehen, das geht jetzt nicht mehr. Ich muß mir etwas einfallen lassen. Er dachte eben an die Himmelskönigin, da hatte er einen Einfall. Er nahm einen kleinen Vogel vom Feigenbaum und ließ den Vogel fliegen, da flog der Vogel zum himmlischen Fischer und zum himmlischen Zeltmacher und begann zu zwitschern. Schau, sagte der himmlische Fischer lächelnd, was für ein niedliches Vögelchen! Wie das Vögelchen die rote Brust so plustert! Das wollen wir fangen! Aber das Vöglein flatterte fort und die beiden himmlischen Alten immer hinter dem Vöglein mit der roten Brust hinterher. Da schlüpfte Ming unbeachtet durchs Himmelstor.

Als er im Himmel war, sah er einen wunderschönen englischen Park, wo viele Heilige wandelten ins Gebet versunken und wo viele Engel Flöte spielten und Harfen strichen. Da sah Ming am Ende des englischen Gartens das göttliche Kind mit seiner Mutter, der Himmelskönigin, spazieren, sie waren beide ins Gebet versunken. Ming eilte zu den beiden, fiel vor der Himmelskönigin nieder und grüßte sie: Freue dich, himmlische Mutter! Dann wandte sich Ming an das göttliche Kind und sagte: Göttliches Kindlein, liebes göttliches Kindlein, ich brauche drei goldene Haare von deinem Lockenköpfchen, holdseliger Knabe!

Plötzlich sah Ming, dass das göttliche Kind größer als das Weltall war und Ming war nur wie ein kleines Kindlein. Da kletterte Ming wie ein kleiner Knabe auf die Schultern seines Vaters klettert auf die Schultern des Gottes und zupfte ihm drei goldene Haare aus. Der Gott bewegte sich nicht einmal. Ming stieg wieder herunter und legte die drei goldenen Haare in ein kleines Döschen, auf dem ein kindlicher Engelskopf abgebildet war, er steckte das Döschen in seine Tasche. Da sprach das göttliche Kind: Ming, Ming! Und Ming sprach: Was willst du von mir, mein kleiner großer Herr? Und das göttliche Kind gab ihm den Abschiedssegen. So kehrte Ming zur Erde zurück.

Er brachte die drei goldenen Haare des göttlichen Kindes in dem kleinen Döschen dem jungen schönen Mädchen Tsai als Morgengabe und durfte sie heiraten. Sie wurden vereinigt mit dem Segen Gottes.




STÖRTEBECKER



1


König Waldemar Atterdag zerstörte die Stadt Wisby und plünderte ihre Schätze. Die Tore der Stadt waren aus Bronze, die Glocken der Kirchen aus lauterem Silber, die Frauen spannen an goldenen Spindeln und die Kinder spielten mit Münzen. Aber die Schiffe, die König Waldemar mit den Schätzen belud, sind alle von der wilden See verschlungen worden oder im Sturm an der Küste zerschellt.


2


Wir haben Nachricht aus Lübeck erhalten. In Schweden ward eine große Schlacht geschlagen. Königin Margarethe, die große Tochter König Waldemars, hat König Albrecht besiegt und gefangen genommen. Margarethe ist jetzt Herrscherin von Norwegen, Schweden und Dänemark. Nur die schwedische Hauptstadt Stockholm widersteht der Königin Margarethe. In Stockholm sind deutsche Krieger, die dem gefangenen König Albrecht die Treue halten und sich weigern, die Festung Stockholm der Königin Margarethe zu übergeben. Margarethe hat die Festung Stockholm vom Festland aus eingeschlossen, aber sie kann nicht verhindern, dass Schiffe der deutschen Hansa den Kriegern von Stockholm Viktualien zuführen. Um nun Stockholm für den König Albrecht zu retten, beschlossen die beiden mecklenburgischen Städte Wismar und Rostock, einen Aufruf zu erlassen: Alle Freiwilligen, die die Königin Margarethe bekämpfen, ihre Schiffe zerstören, ihre Länder ausrauben und Stockholm Viktualien zuführen, alle diese Freiwilligen erlangen also Kaperbriefe und erlangen das Recht, die Beute, die sie machen, unter sich zu teilen. Viele Ritter aus aller Herren Länder eilten nach Rostock und Wismar, um die Kaperbriefe in Empfang zu nehmen. Viele dieser Ritter wurden so zu Raubrittern. Ich sage euch, wenn die Königin Margarethe sich aus der Ostsee zurückziehen wird, dann werden sich die Seeräuber auf die deutschen Küsten werfen. Dann wird kein Schiff der deutschen Hansa mehr vor den Seeräubern sicher sein. Dann wird man in Hamburg das Hamburger Bier selber trinken müssen, weil man es nicht mehr nach England wird bringen können. Diese Raubritter aber nennt man Viktualienbrüder, weil sie Viktualien nach Stockholm bringen. Sie selbst nennen sich aber Likedeeler, weil sie alles gleich und gerecht teilen.


3


Störtebecker hatte eine private Fehde mit dem Hamburger Kapitän Nyenkerken. Die Kaufmannsstadt Hamburg zitterte vor den Fäusten Störtebeckers. Der Kapitän Nyenkerken aber drohte dem Störtebecker mit dem Henker von Hamburg, Peter Funcke. Störtebecker schwor Rache: Von heute an werde ich jeden Pfeffersack von Hamburg bis zum Galgen verfolgen!


4


Kapitän Nyenkerken mit Seinem Schiff, genannt Walfisch, lag vor der Insel Neuwerk, jenseits des Priels. Der mächtige Turm von Neuwerk war die äußerste Nordwacht der Hansestadt Hamburg. An der Ostseite der Insel segelte der Walfisch ins Meer hinaus. Das Meer erschien als ein Abbild der Ewigkeit. Der Walfisch erschien wie ein Spielzeug des Meeres. Nach zwei Stunden Seefahrt sah Kapitän Nyenkerken den roten Felsen von Helgoland, die Lange Anna. In der Mitte der Insel Helgoland erhob sich ein mächtiger Turm. Möwen flogen über dem Strand. Helgoland war einst das Heiligtum des friesischen Götzen Forsete und Hauptheiligtum der Friesen, bis der heilige Ludger in Helgoland die Friesen christianisierte. Er schenkte dem blinden Barden Bernlef das Augenlicht, aus Dankbarkeit übersetzte Bernlef den Psalter Davids ins Friesische. Die Insel schien ein Hort des Friedens mit ihren Wäldern, Schafherden und Fischernetzen. Auf der Insel herrschte ein dänischer Vogt, der im Bunde mit den Likedeelern stand. Er gewährte ihnen Unterschlupf, sie teilten die Beute mit ihm. Manches Schiff der Hamburger Hansa war hier spurlos verschwunden. Man hisste auf der Insel Helgoland den Danebrog, die Fahne Dänemarks.


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Vorgesehen! Störtebecker war der Heros meiner Jugend in der freien Frisia. Ich reihte ihn in die Reihe meiner Helden ein bei dem Siegfried des Nibelungenliedes, der Gudrun des Gudrunliedes und dem Thor der Alten Edda. Ich sah oft den Störtebeckerturm in Marienhafe, das in enger Nachbarschaft meines Geburtsortes liegt. Ich kannte von den Nordlandreisen meiner Kindheit viele Orte der Störtebeckersaga. Später begegnete ich dem Störtebecker-Mythos noch in Rügen, da dann schon die Söhne meiner Seele sich den Störtebecker zu ihrem Heros wählten.


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Nordfriesische Inseln, Sylt und Genossinnen! Dann fuhren die Schiffe um Skagens Horn, den Skagarak, die Nordspitze Jütlands, und segelten nach Nordwesten. Zu sehen war die Küste Norwegens, des alten Normannen-Landes, eine Küste wie ein dunkler Felsblock. In zerklüftete Felsenwände stürzten strudelnde Fjorde. Tannen wuchsen auf den Felsen, Möwen segelten in den Lüften, Seeadler zogen ihre Kreise. Am Fuß der Felsen lagen einsame Hütten. In den Fjorden fuhren Fischerboote. Öder, weltverlorener Strand! Helle, klare Nächte. Das Firmament glitzerte im Glanz der Sterne wie an den Winterabenden über dem Eis der Alster. Schönheit der nordischen Nacht!


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Die Stadt Bergen in Norwegen. Links das norwegische Königsschloß. Rechts die deutsche Stadt mit der Kirche Sankt Marien. Entlang der Landungsreihe die Gärten der deutschen Hansa-Städte Lübeck, Hamburg, Rostock, Bremen, Emden. Der Adler kreiste um den Turm von Bergenhuus. Der Adler glich der großen Königin Margarethe. Die Königin möchte sich mit drei Kronen schmücken als die große Königin des skandinavischen Germanien. Sie möchte residieren in Bergenhuus, in Stockholm und in Kopenhagen. Die Hansa rüstet ihre Schiffe zum Kampf. In der Königin Margarethe kreist das Blut des Adlers.


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Vorgesehen. Ich sah in meiner Kindheit Kopenhagen, ich sah auch die Statue der kleinen Meerjungfrau, ich sah Stockholm und das Schloß der Königin von Schweden, und schließlich war ich auch in Bergen und speiste dort den Lachs der Weisheit. Der Lachs schwimmt zur Quelle zurück, schwimmt gegen den Strom, darum ist der Lachs ein Symbol der Weisheit. Ich kenne Emden gut und weiß, dass Mephistopheles zu Doktor Faust sprach: Schließe einen Pakt mit dem Teufel, dann gebe ich dir die Herrlichkeit Emden mit all ihren Schiffen! Ich selbst sprach als Dichter von einer Tribüne im Hafen von Emden ein Liebesgedicht an Maria, die Königin des Friedens. Ich sah auch den Hafen von Hamburg und fuhr selber auf der Elbe. Ich war in Lübeck und auch in Kiel auf der Reise nach den dänischen Inseln. In Bremen hab ich oft gebetet im Dom Sankt Ansgari.


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Störtebecker hatte die Insel Neuwerk eingenommen und zu seinem Hauptsitz gemacht. Der Friesenhäuptling Keno tom Broke gab seine Tochter Folka dem Störtebecker zur Frau und schenkte ihm als Brautgabe die Stadt Marienhafe. Im Störtebeckerturm von Marienhafe ward der Schatz Störtebeckers aufbewahrt. An den ostfriesischen Inseln vorbei segelte Störtebecker in seinem Seeadler, mit ihm Meister Hugo in der Silbermöwe, Marquard Preen im Wolf, Eberhard Pilgrimson im Wildeber. Fischerboote lagen vor den ostfriesischen Inseln. Aber wenn Störtebeckers Schiffe kamen, zogen die Fischer ihre Netze ein und zogen sich in den Hafen zurück. Wie eine Schar Hühner flohen sie vor dem Habicht! Aber vor Störtebecker brauchten sich Fischer und Bauern nicht zu fürchten, denn sein Sinn stand auf Gerechtigkeit! In Aurich und Emden hatte Störtebecker seine besten Freunde, den Friesenhäuptling Keno tom Broke und den Probst Hisko. Keno tom Broke hatte ihm ja Marienhafe zur Hochzeit geschenkt. Nun rüsteten sich die Ritter des Meeres zum Kirchgang in die Kirche von Marienhafe. Die Kirche glich einer Burg. Ein feste Burg ist unser Gott! Dieser Choral dröhnte durch das Gotteshaus. Die Kirche war gefüllt mit Viktualienbrüdern. Vor dem Hochaltar kniete Störtebecker, neben ihm Meister Hugo. Der Priester sang die Heilige Messe und teilte das Sakrament aus. Dann sang seine raue Stimme: Großer Gott, wir loben dich, Herr, wir preisen deine Stärke! Dann begrüßte Störtebecker im Namen Unsrer Lieben Frau seine Gemahlin, Liebfraue Folka. Folka begleitete Störtebecker von nun an. Sie fuhren durch die Ems. Sie fuhren an Norderney vorbei gen Osten. Folka stand neben Störtebecker auf dem Schiffsdeck.


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Vorgesehen! Ostfriesische Inseln! Archipelagus! Sieben Perlen an der Perlenschnur des Meeres! Norderney hat mehr als einen rebellischen Dichter inspiriert, von der Nordsee eine Hymne zu singen. Aber meine Inspiration ist Baltrum, die Kleinste der sieben Inseln, der Benjamin. Baltrum hieß früher Balderinge, benannt nach Baldur und Ing, den germanischen Göttern. Heute wird es genannt das Dornröschen der Nordsee, der südlichen Nordsee. Denn die Insel ist sehr verschlafen unter den hohen Heckenrosen. Aus den Hagebutten kann man Wein machen, darum heißen sie auch Weinrosen. Hier betete ich im Millennium des Jahres Zweitausend meinen ersten Rosenkranz. Hier liegen alle meine Mütter und Müttersmütter und Müttersmüttersmütter begraben auf dem Inselfriedhof. Kyrie Christe, komm zu uns auf der See! Meine Großmutter Paula Margarethe, meine Urgroßmutter Petheda Johanna und meine Ururgrossmutter Johanna Margarethe stammen von Balderinge. Meiner Ururgrossmutter Ehegespons war Ulrich Ulrichs, ein Seemann, und seine Seemannstruhe, die Schiffertruhe meines Ururgroßvaters Ulrich Ulrichs sah ich noch in meiner Kindheit. In der Kirche auf Baltrum, nach dem heiligen Nikolaus benannt, diente ich bei der Heiligen Messe am Altar, der aus einer Riesenmuschel geformt ist, und las aus dem Propheten vor.


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Während Störtebecker in Marienhafe Hochzeit feierte mit Liebfraue Folka, hatte eine Flotte von Danzig aus die Insel Helgoland angegriffen, da die Gefährten des Störtebecker wohnten. Eberhard Pilgrimson war verwundet. Die Mannschaft machte die Schiffe wieder seeklar. Störtebecker rief: Danzig, Danzig, erwarte mich in deinem Hafen! Meister Hugo in der Silbermöwe wird den Seeadler begleiten. Marquard Preen wird mein Stellvertreter auf Helgoland. Du schütze Helgoland und Neuwerk! Kapitän Nyenkerken ist alt, der alte Adler ruht sich aus in Hamburg. Halte die Augen offen, Marquard, kein Schiff aus Hamburg darf auf die offene See hinaus. Rache will ich nehmen an der Kaufmannsstadt Hamburg, ich hab es geschworen! Wir kehren erst wieder, wenn die Ostsee erobert ist.


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O Muse, singe mir das Lied von Störtebecker, dem weitgereisten, der das Meer gepflügt, und von seiner Rache und seinem Zorn ein Lied! Begleite mich, o Muse, bis zu seinem Golgatha, und laß seine liebe Frau und seine Gefährten weinen um den großen Toten!


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Um Sylt und die andern Nordfriesischen Inseln, um die Nordspitze Jütlands, hinein ins launische Kattegatmeer! Vor Kopenhagen kamen Schiffe in Sicht. Sie wurden nach kurzem Kampf genommen. Korn und Wein an Bord. Störtebecker ließ die Dänen sich vorführen. Ihr Kapitän war ein blonder Hüne aus Holstein, Jan von Plön. Störtebecker frug ihn: Weißt du, wer ich bin? Jan von Plön sprach: Du bist Goedecke Michels! Nein, sprach Störtebecker, aber

Wenn ich nicht Goedecke Michels bin, wer, meinst du, der ich sei? Jan von Plön sprach: Du bist Störtebecker! Ich weiß, Goedecke Michels hat die dänischen Inseln heimgesucht und ist jetzt auf Fahrt nach Wismar. Und Störtebecker frug ihn: Willst du mein Gefährte sein? Jan von Plön sprach: Ich habe Frau und Kinder. Und Jan von Plön sah Liebfraue Folka und sprach: Störtebecker, ich sehe, du selbst hast eine Frau! Störtebecker sprach: Komm, folge mir und wähle die Freiheit zu deiner Frau! Störtebecker reichte Jan von Plön einen großen Becher voll Wein und sprach: Leere den Becher ganz, in Einem Zuge, dann bist du mein! Und Jan von Plön leerte den Becher mit herbem Wein in Einem Zuge ganz und folgte Störtebecker.


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Sie lagen im Hafen von Wismar. Da lag das Schiff mit dem pommerschen Greif. Ein Mann stand auf dem Schiff, von Narben gezeichnet. Sei mir gegrüßt, Goedecke Michels! Trinke den Bundesbecher in Einem Zuge und schwöre mir Treue bis in den Tod! Goedecke Michels trank den herben Becher in Einem Zuge leer und rief: Der Wein ist gut, komm, füll mir den Becher noch einmal bis über den Rand! Goedecke Michels küsste Störtebecker dreimal: Bruder, sprach er, du bist würdig, mit mir zu ziehen in den Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit! Liebfraue Folka trat an den Tisch und brachte neuen Wein. Goedecke Michels rief: Ha, Störtebecker ist unser Mann! Die Königin des Nordens zittre, denn wir werden unserer Braut, der See, die Freiheit zurückerobern!


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Sie landeten auf der Insel Gotland im Hafen von Wisby. Sie nahmen vom Vogt den Schlüssel des Ratshauses und der Schatzkammer in Empfang. Sie waren nun die Herren der Stadt Wisby und wohnten darin. Goedecke Michels beschloß, in Wisby zu überwintern. Störtebecker ward von Meister Hugo erinnert an seinen Auftrag, den er durch den Kaperbrief erhalten hatte. Ein Edelmann hält sein Wort, sprach Störtebecker. Störtebecker erreichte also Stockhom und wurde von den deutschen Kriegern mit großer Freude empfangen, brachten sie doch Brot und Wein. Das war für Stockholm die kostbarste Gabe, die Störtebecker den deutschen Kriegern brachte. Sieben Tage lag Störtebeckers Seeadler im Hafen von Stockholm, dann kehrte er nach Gotland zurück, um in Wisby den Winter über zu wohnen. Damals sang man in Wisby dieses Lied:

Gold wiegen Goten auf der Zehnpfundwaage,

Die Kinder spielen mit den Edelsteinen,

An goldnen Spindeln spinnen Fraun am Tage,

In Silbertrögen ließ der Fraß den Schweinen.


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Sieben Monde währte der nordische Winter. Sturm ging über die See und die Insel, dann sprengte die See den Panzer aus Eis. Die Frühlingswinde weckten die Lust der Viktualienbrüder zu neuen Kämpfen. Die Sonne rief die Hauptleute auf den Marktplatz von Wisby zusammen und rief sie auf, die ganze Insel Gotland einzunehmen. Wisby auf Gotland sollte der Hauptsitz der Likedeeler werden, von wo aus sie die Eroberung der Ostsee unternehmen wollten. Fünfhundert Seemänner schlugen die Schilde zum Beifall. Beim Hafen von Garn ward das Schloß Landskron eingenommen. Goedecke Michels rief: Dieses Schloß Landskron soll fortan der Viktualienbrüder Zufluchtsort heißen. Hier bleiben wir, dies sei unsre Zuflucht!


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In den Sommermonden pflügte Störtebecker mit seinen Viktualienbrüdern die Otsee. Nur die Flotten Wismars und Rostocks blieben verschont. Die Flotte der Viktualienbrüder wurde immer größer. Ein Lehrer aus Rostock schloß sich ihnen an, Magister Wigbold. Kapitän Wichmann bestand die Becherprobe. Sie beide hatten auch den Adlerblick Störtebeckers. Zu jener Zeit gab die Königin des Nordens den gefangenen König Albrecht gegen teures Lösegeld frei. Die Insel Gotland wurde zum Aufenthaltsort des Königs Albrecht. Störtebecker und Goedecke Michels berieten sich. Sie hatten dem König gute Dienste geleistet. Sie beschlossen, auf Gotland zu bleiben und dem freien König zu dienen. Mit einem Gefolge deutscher und schwedischer Ritter kam König Albrecht nach Gotland. Die Likedeeler von Wisby begrüßten den befreiten König mit lautem Jubel. Der König zog ein in Schloß Landskron. Albrecht brachte keine Schätze mit, die Inselbewohner waren arm, sie lebten alle von den Schätzen der Likedeeler. Der König beauftragte die Viktualienbrüder, die Ostsee zu pflügen und alle Beute ihm zu Füßen zu legen. Der Name Störtebecker war an den Küsten der Nordsee und Ostsee in aller Munde. Störtebecker machte sich auf nach Königsberg und Danzig. Da beschloß Hochmeister Konrad von Königsberg, mit Danziger Rittern den Likedeelern entgegenzutreten.


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Hochmeister Konrad von Königsberg kam mit Deutschordensrittern nach Gotland. König Albrecht hatte die Insel dem Herzog Johann von Mecklenburg übergeben, aber der wahre Herr der Insel war Störtebecker. Eine gewaltige Schlacht begann. Liebfraue Folka rief den Likedeelern Schlachtgesänge zu, die Helden zu ermannen. Aber die Übermacht der Deutschordensritter war zu gewaltig und Störtebecker und seine Likedeeler mussten fliehen. Vielleicht kommt der Tag der Freiheit wieder! Auf, erobern wir die Küste Preußens! Auf nach Danzig!


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Die Likedeeler lagen vor Danzig. Sturm kam auf. Sie warteten bei der Halbinsel Hela. Nachdem der Sturm vorübergezogen war, begann die Seeschlacht. Störtebecker, Goedecke Michels, Wigbold und Wichmann und Jan von Plön kämpften mit ihren Scharen gegen die Krieger von Danzig. Schwerter schlugen aufeinander, Streitäxte wurden geschwungen. Liebfraue Folka ward von einem Ostpreußen mit der Streitaxt bedroht, aber Fraue Folka schlug wie eine Schwertjungfrau den Feind in die Flucht. Die Krieger von Danzig waren nicht zu überwinden. Störtebecker pfiff und gab den Befehl, den Krieg abzubrechen. Er hatte erfahren, dass nicht nur Stralsund und Lübeck, sondern auch Wismar und Rostock Jagd auf die Likedeeler machten. Ich habe Sehnsucht nach meinem Königreich Helgoland, sagte Störtebecker. Goedecke Michels, Wigbold und Wichmann aber segelten nach Bergen, die Gärten der deutschen Hansa leerzupflücken. Störtebecker kehrte mit Liebfraue Folka auf dem Seeadler heim zu seiner Mutter, der Nordsee.


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In Hamburg traf sich der Rat und beriet, wie die Likedeeler zu besiegen wären. Kapitän Nyenkerken und sein Sohn nahmen an dem Ratstreffen teil. Simon von Utrecht rief besonders leidenschaftlich die Hansa auf, Störtebecker um einen Kopf zu kürzen, denn er war vor Helgoland überfallen worden. Simon von Utrecht leitete den letzten Kampf ein. Utrecht, Utrecht, schon den heiligen Bonifazius, den Apostel der Friesen, hast du ermordet! Simon von Utrecht, willst du deine verräterischen Hände nun auch mit dem Blute Störtebeckers besudeln?


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Die Viktualienbrüder kreuzten vor der Elbemündung. Nikolaus Schocke führte den Oberbefehl der Gegenflotte, sein Admiralsschiff war der Isern Hinrick. Nyenkerkens Sohn war Kapitän der Bunten Kuh von Flandern. Als Gallionsfigur trug die Bunte Kuh von Flandern den Kopf des Goldenen Kalbes. Störtebecker hatte noch ein Schiff aus Holland geentert und sich dann nach Helgoland zurückgezogen. Aber Störtebecker liebt es gar nicht, nach seinem Beutezug beim Triumphfestgelage sich stören zu lassen! Die Flotte der Hamburger ankerte in der Nähe von Helgoland und wartete auf die Stunde der Finsternis. Die Bunte Kuh von Flandern sollte Störtebeckers Seeadler angreifen, der Isern Hinrick sollte Goedecke Michels Greif angreifen und die Heidschnucke der Hamburger sollte den Wildeber von Eberhard Pilgrimson entern.


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Hinter dem Schleier der silbernen Nacht zechten die Zechgenossen und feierten ihr letzten Abendmahl mit den vollen Fässern roten Weines, als gingen sie zu einer Hochzeit. Die Stimme Störtebeckers zerteilte den Nebelvorhang. Wie Gespensterschatten glitten die Hamburger von den Schiffen und zogen einen Ring um die Likedeeler. Da erschien Störtebecker. Nyenkerkens Sohn schrie: Jetzt ist deine Stunde aber gekommen! Die Kugeln der Bunten Kuh zerschmetterten den Seeadler. Der wilde Kampf des letzten Gefechts entbrannte. Die Kugeln der Bunten Kuh zerfetzten den Rumpf des Seeadlers, des Seeadlers Wunder klaffte, der salzige Schaum des Meeres troff ihm vom Maule! Störtebecker ging wie der Sensemann durch die Reihen der Hamburger. Aber mehrere Hamburger Männer stürzten sich auf Störtebecker und nahmen ihn mit einem Netz gefangen. Nur Goedecke Michels, der Fuchs, war entkommen.


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Man brachte den gefangenen Störtebecker nach Hamburg. Er sah schrecklich aus, er war nicht mehr schön, wirr hingen ihm die blonden Haare über der blutverschmierten Stirn! Ihrem Hauptmann folgten in Ketten Wigbold und Wichmann und Eberhard Pilgrimson. Der Rat der Stadt Hamburg hielt Gericht und verurteilte Störtebecker zum Tod. Sein Haupt sollte ihm abgeschlagen werden. Liebfraue Folka aber erschien vor dem Rat der Stadt Hamburg und bat um Barmherzigkeit, sie entblößte ihre Brüste und bat um Störtebeckers Leben! Aber die Herren des Rates verlachten Liebfraue Folka! Und so wurde Störtebecker am Tag der Sonnenwende hingerichtet. Er wurde auf den Richtblock geworfen und von der Hand des Henkers geköpft. In dem Augenblick erklang ein Schrei, es war die Stimme von Liebfraue Folka, sie weinte blutige Tränen!


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Vorgesehen! Störtebecker lebt! Seinen Ruhm hat Klopstock in einer Ode verewigt! Rügen, Rostock und Marienhafe zelebrieren seinen Mythos in festlichen Theaterspielen. Er ist der unsterbliche Heros der Friesen!