Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

Die Wilden

ERSTER GESANG


1


Der Hund vergräbt einen Knochen,

Den er noch nicht glattgenagt,

Das Eichhörnchen sammelt Nüsse

Für die späteren Feste,

Die Biene füllt die Honigscheiben,

Die Ameisen speichern Vorräte

Für das Regenwetter,

Sie sind die Schöpfer

Unsrer Zivilisation.

Von ihnen lernten unsre Ahnen,

Aus der Überfülle des Heute

Für morgen

Zu sparen.


Die Zähmung der Tiere begann,

Als die hilflosen Jungen

Geschlachteter Tiere

Auf das Feld getrieben wurden,

Damit sie als Spielzeug der Kinder dienen.


Die Frau entdeckte nun

Die Freigebigkeit der Mutter Erde.

Der Mann ging auf seine Arbeit, nämlich zur Jagd,

Die Frau aber grub in der Zeit

In der Nähe der Hütte

Nach essbaren Dingen.


Wir halten es für möglich,

Daß beim Sammeln des Getreides,

Welches wild gewachsen war,

Auf dem Weg zwischen Feld und Siedlung

Manch ein Samen auf die Erde fiel

Und so das große Geheimnis

Des Wachstums ahnen ließ.


Unsre Ahnen beobachteten

Den Specht, der Eicheln einlagerte,

Die Bienen, die den Honig sammelten,

So schufen sie nach Jahrhunderten

Der Unbekümmertheit

Die Begriffe von Vorratsansammlung

Und Sparsamkeit.


Unsre lieben Primitiven

Haben einen wahren Heißhunger

Auf Fleisch,

Auch wenn sie sich hauptsächlich ernähren

Von Körnern, Gemüse und Obst.


Unsre Ahnen aßen wirklich alles,

Kröten, Schnecken,

Mäuse und Ratten,

Spinnen und Skorpione,

Schlangen und Boas,

Hunde und Pferde,

Läuse, Insekten,

Reptilieneier und Vogeleier,

Das waren alles Delikatessen

Für unsre lieben Primitiven.


Die größte Delikatesse aber

War der liebe Mitmensch!

Ein appetitliches Weib,

So sagt der Mann noch heute!

Ich habe dich zum Fressen gern,

Du appetitliches Weib!

Bin so sehr in Liebe zu dir versunken,

Als hätte ich dein Blut getrunken,

Sagt Goethe der Frau von Stein.


Der weiße Mann aber schmeckt

Dem Polynesier auf Tahiti

Wie eine reife Banane,

Wenn er gut gebraten ist.

Die Fidschibewohner

Fanden aber das Fleisch der Weißen

Zu salzig und zu zäh,

Ein Matrose aus Europa

War nicht sehr lecker, kaum genießbar!

Ein Polynesier schmeckt schon besser!


Ein Philosoph aus Brasilien

Sagte einst beim Rauchen seines Tabaks:
Wenn ich meinen Feind getötet,

Ist es besser, ihn zu essen,

Als ihn einfach wegzuschmeißen.

Schlimm ist es doch nur, zu sterben,

Und nicht, gegessen zu werden.

Wenn ich tot bin,

Ist es mir gleich, ob ich begraben werde

Oder ob mein Feind mich auffrisst.

Aber ich könnte mir keinen Braten vorstellen,

Der mir besser schmecken würde

Als das Fleisch meines Feindes.

Ihr Europäer seid wirklich zu empfindlich!



2


Das Feuer ist doch so wohltätig

Und so geheimnisvoll,

Daß unsre Primitiven das Feuer verehren.


Der Affe schleudert Steine

Und Früchte

Auf seine Feinde,

Der Biber baut Dämme,

Die Vögel bauen Nester,

Die Schimpansen bauen Hütten.

Der Ahn beneidet

Die Tiere um die Kraft ihrer Zähne,

Um die Schärfe ihrer Klauen,

Die Härte ihrer Hauer und Hörner,

Um die Sicherheit ihrer Verstecke.

Da machte sich der Ahn an die Arbeit,

Werkzeuge zu erschaffen

Und Waffen,

Die den Werkzeugen und Waffen

Der Tiere nachgebildet sind.


Die Spinne webt ihr Netz,

Der Vogel flicht sein Nest,

Die Wälder sind wie gestickt,

Ein wahres Fasergewebe die Blätter,

So dass die Primitiven

Als eine der ersten Künste

Das Weben lernten von der Mutter Natur.


Nun begann die Frau zu töpfern

Und ritzte mit dem scharfen Fingernagel

Figuren in den Lehm,

Erste Zeichen und Bilder,

Woraus die Schrift entstand.


Und was berichtet der Missionar Christi?

Überraschend ist es zu beobachten,

Wie liebenswürdig die Wilden

Und voller Achtung sind

Im Umgang miteinander.

Die Worte mein und dein,

Von denen Johannes Goldmund sagt,

Sie töten die Nächstenliebe,

Diese Worte kennen die Wilden nicht

In ihrem Urkommunismus.


Warum ging der Kommunismus unter,

Der Kommunismus unsrer lieben Primitiven?

Der Kommunismus war hinderlich

Für den Erfindergeist,

Den Fleiß und die Sparsamkeit anzuspornen,

Der Fähige wurde nicht belohnt,

Der Taugenichts nicht bestraft.

Alle waren gleichgeschaltet,

So gab es keinen Wetteifer

Und kein Wachstum.

Die Indianer waren so faul,

Daß sie nichts selber pflanzten,

In der Hoffnung,

Die Andern werden ihnen zu essen geben.

Wenn der Fleißige aber nicht mehr genießt

Als der Faule, hört er zu arbeiten auf.


Aber nach den vielen Mühen

Von Jagd und Arbeit,

Muß sich der Wilde erholen,

Das tut er mit einer ekstatischen Faulheit.


Langsam ging der Kannibalismus zurück

Und es trat der große Fortschritt ein,

Daß der Mensch nicht mehr gefressen,

Sondern versklavt ward vom Menschen.

Ein moralischer Fortschritt

Von ungeheurem Ausmaß!



3


Der Mensch ist nicht gerne

Ein politisches Herdentier.

Er schließt sich seinen Mitmenschen an,

Doch weniger aus Liebe

Als mehr aus Gewohnheit,

Er liebt die Gesellschaft nicht so sehr

Als er die Einsamkeit fürchtet.

Er geht mit andern Menschen,

Weil die Isolierung

Gefahren mit sich bringt

Und weil es viele Dinge gibt,

Die man besser zusammen tut als allein.

In seinem Herzen aber

Ist der Mensch einsam

Und stellt sich heldenhaft

Der Welt entgegen.


Im Kriegsfall wählten die Primitiven

Den stärksten Krieger

Zu ihrem Anführer

Und folgten ihm blindlings.

In Friedenzeiten aber

Hatte der Hohepriester

Die oberste Weisungsgewalt.

Schließlich bildete sich bei den Stämmen

Ein ewiges Königtum,

Der König war der oberste Heerführer,

Der Landesvater

Und eine Art zweiter Hoherpriester.

Die Gesellschaft wurde regiert

Vom Schwert des Königs

Und vom Mythos des Hohenpriesters.

Man hat oft versucht,

Den Thron und den Altar zu trennen,

Aber eines Tages

Werden sie sich wieder vereinigen.


Irgendein Ruder blonder Raubtiere,

Sagte Nietzsche von den Ariern,

Unterwarf gewaltsam

Eine friedliche Ackerbaugesellschaft.

Die bäuerliche Gesellschaft

Gibt den Menschen einen Tagesablauf

Und braucht den Menschen in den Mühen auf.

Die Jägerhorden sind ans Morden gewohnt,

Sie betrachten den Krieg

Nur als eine andere Form der Jagd.


Ohne die Autokratie der Herrschaft

Hätte die Entwicklung

Der Gesellschaft nicht begonnen.


Aber ein Staat, der nur auf Macht beruht,

Auf der Gewalt des Schwertes,

Geht bald zugrunde.

Der Mensch ist dickköpfig, leichtgläubig,

Er opfert dem Staate nichts,

Wenn die Macht des Staates nicht begleitet wird

Von der Unterweisung

Durch die Familie, die Schule, die Kirche.

In Kirche, Schule und Familie

Werden die Menschen geschmiedet

Zu Patrioten und frommen Bürgern.


Das Individuum hat weniger Rechte

In den Naturgesellschaften

Als in der Zivilisation.

Der Mensch wird in Ketten geboren,

In Ketten der Vererbung,

Des Milieus, des Brauches, des Gesetzes.

Das primitive Individuum bewegt sich

In einem strengen Vorschriftennetz.

Tausende Tabus schränken den Menschen ein.

Unveränderliche Gesetze bestimmen

Sitzen und Stehen, Essen und Trinken.

Das Individuum ist keine

Souveräne Einheit.

Das Individuum ist nur ein Teil

Der Sippe, der Dorfgemeinschaft.

Erst mit dem privaten Eigentum

Und dem Erscheinen des Staates

Wurde dem Individuum

Eigene Würde zugesprochen.

Die Menschenrechte

Kommen nicht von der Mutter Natur,

Denn die Mutter Natur

Kennt nur das Recht des Stärkeren

Oder der listigeren Kreatur.

Erst in gesicherten Zuständen

Erscheint die Freiheit

Als ein Luxus.

Das freie Individuum ist ein Zeichen

Und ein Erzeugnis

Einer entwickelten Zivilisation.



4


Die Urtriebe des Menschen sind

Der Hunger und die Liebe

(Und zum Hunger zähl ich auch den Durst).

So braucht es für eine Gesellschaft

Viel zu essen

Und viele Kinder!


Bis der Staat

Die soziale Ordnung stiftet,

Tut es die Familie,

Und selbst nach der Errichtung

Der staatlichen Herrschaft

Bleibt die Familie

Das feste Fundament.


Viele Fische

Legen eine Million Eier im Jahr,

Einige Fischarten sind nicht so kinderliebend

Und legen nur fünfzig Eier im Jahr.

Vögel legen fünf

Bis zwölf Eier im Jahr

Und sorgen gut für ihre Brut.

Die Weibchen der Säugetiere

Bringen drei Junge im Jahr zur Welt.

Abnahme der Fruchtbarkeit

Geht Hand in Hand

Mit einer größeren elterlichen Fürsorge

Für die wenigen Kleinen.

Je weiter die Zivilisation sich entwickelt,

Umso weniger Kinder gebären die Frauen.

Die Jugend dauert länger,

Die Jugendlichen werden besser ausgebildet.

Wenn weniger Kinder gezeugt werden,

Wird die menschliche Kreativität frei

Für die Zeugung geistiger Kinder,

Nämlich für Werke der Kultur.


Die einfachste Form der Familie

Ist die Mutter mit ihren Kindern.


Das ursprüngliche Mutterrecht

War aber kein Matriarchat,

Keine Gynäkokratie,

Keine Herrschaft des Weibes über den Mann!


Die Frau war im Ursprung dem Mann

An Widerstandskraft und Mut gleich,

Sie war noch kein hübsches Schmuckstück,

Kein niedliches junges Ding,

Kein sexuelles Spielzeug für den Mann.

Das Weib war ein robustes Tier,

Das stundenlang schwerste Arbeit tun konnte

Und mit Todesverachtung

Für ihre Kinder kämpfen konnte.


Der Fortschritt wurde

Von den Frauen eingeführt.

Der Mann ging als Jäger auf die Jagd

Oder war der Hirte seiner Herde.

Die Frau bearbeitete den Boden

Und entwickelte die Heimarbeit

Als die Grundlage

All unsrer Industrie.


Der Frau verdanken wir

Das Spinnen und Weben,

Das Körbeflechten, Töpfern,

Die Holzarbeiten

Und die erste Architektur.

Die Frau bereitete das Heim

Und fügte unmerklich den Mann

Der Liste ihrer gezähmten Tiere hinzu,

Bildete in dem Mann

Die soziale Neigung aus

Und gab ihm die anmutvolle Zerstreuung,

Die die Grundlage

Und das Klebemittel

Unsrer Zivilisation ist.



5


Die grundlegende Form

Der Regelung der Sexualität

Ist die Ehe,

Eine Verbindung von Gefährten

Zur Pflege der Nachkommenschaft.

Aber die Ehe kannte

Im Laufe der Geschichte

Viele veränderliche Formen,

Angefangen von der primitiven

Versorgung der Kinder durch die Mutter

Ohne Verbindung mit einem Mann

Bis zur dekadenten Form

Der Beziehung von Lebensgefährten

Ohne Nachkommenschaft.


Unsre tierischen Väter

Haben die Ehe erfunden.

Unter den Gorillas und Orang-Utans

Dauert die Ehe

Bis zum Abschluß der Säugeperiode.

Das lose Benehmen der Weibchen

Wird vom Männchen streng bestraft.

Die Orang-Utans auf Borneo

Leben in Familien

Von einem Männchen, einem Weibchen und einem Jungen.

Bei den Gorillas ist es nichts Ungewöhnliches,

Die Alten beim Geschwätz

Und beim gemeinsamen Obstessen

Unter einem Baum zu finden,

Während die Jungen

Um sie herumspringen

Und sich in stürmischer Fröhlichkeit

Von einem Ast zum andern schwingen.


Unter den Buschmännern genügt

Die kleinste Misshelligkeit,

Die Verbindung aufzulösen

Und neue Beziehungen

Werden augenblicklich angeknüpft.


Bei den Wilden wird

Die Ehefrau wöchentlich ausgewechselt,

Man kann kaum erfahren,

Wer gerade der Gatte

Der bestimmten Dame ist.

Die Frauen gehen von einem Mann zum andern.

Kaum zwanzigjährige Mädchen

Haben schon vier oder fünf Männer gehabt.

In der Sprache von Hawai

Bedeutet das selbe Wort

Versuch und Ehe.


Die Scholastiker dachten,

Mohammed habe die Polygamie erfunden.

Aber die Polygamie

Ist bei den Primitiven weit verbreitet.

Im Krieg und bei der Jagd

Sind viele Männer gestorben,

So gab es einen Frauenüberschuß.

Da konnten sich die Frauen nur entscheiden

Zwischen Polygamie

Und unfruchtbarer Ehelosigkeit.


Und der Mann liebt die Mannigfaltigkeit.

Die Neger von Angola sagen,

Der Mann ist nicht fähig,

Immer vom selben Teller zu essen.

Der Mann liebt auch die Jugend

Und die Frauen altern rasch

Bei den Primitiven.


Später begann man,

Die Hauptfrau von den Nebenfrauen zu unterscheiden.

Daraufhin wurde die Hauptfrau

Die einzige Ehefrau

Und die Nebenfrauen wurden

Zu heimlichen Geliebten.


Man nahm auch gerne Frauen

Aus andern Stämmen,

Weil die Nähe der Frau

Die schöne Illusion vertreibt

Und die Ferne der Frau

Die Frau verklärt erscheinen lässt.


Romantische Liebe

Kennen die Primitiven nicht.

Wenn wir Liebe finden,

Hat es nichts mit der Ehe zu tun.

Der Mann nimmt sich eine Frau

Als Arbeitskraft,

Um Kinder zu bekommen

Und eine tägliche Mahlzeit.

Eine Weizenähre zu schneiden

Und eine Frau zu nehmen,

Ist das gleiche.

Voreheliche Beziehungen

Sind bei den Primitiven üblich,

Die Leidenschaft wird nicht

Durch Abweisung gehemmt

Und darum beeinflusst die Leidenschaft selten

Die Wahl der Ehefrau.

Aufgrund dieses Mangels

Einer Verzögerung

Zwischen Wunsch und Erfüllung

Fehlt es an Zeit

Für ein Insichhineinbrüten

Der enttäuschten und darum idealisierten

Leidenschaftlichen Liebe,

Die gewöhnlich die Quelle

Der romantischen Liebe ist.

Darum gibt es bei den Primitiven

Auch keine Liebespoesie.

Als die Missionare die Bibel brachten,

Fanden sie in der Algonkinsprache

Kein Wort für Liebe.

Die Hottentotten

Waren kalt und gleichgültig zueinander.

Als man einen australischen Eingebornen fragte,

Warum er eine Frau heiraten wolle,

Sagte er, er wolle eine tägliche Mahlzeit

Und eine Frau, die ihm seine Siebensachen nachschleppe.



6


Die größte Aufgabe der Moral

Ist die Regelung des Geschlechtslebens.

Der Instinkt versetzt doch den Menschen

Innerhalb oder außerhalb der Ehe

In manche schwierige Lage

Und bedroht durch seine hartnäckige Stärke

Und Unbekümmertheit um die Gesetze

Und durch seine Perversionen

Die gesunde soziale Ordnung.

Sollen voreheliche Beziehungen

Verboten oder erlaubt sein?

Selbst unter Tieren

Ist die Auslebung sexuellen Triebes

Nicht völlig schrankenlos,

Vielmehr weist das ablehnende Verhalten

Des Weibchens während der Brunstzeit

Dem Geschlechtsverlangen in der Tierwelt

Einen bescheidenern Platz ein

Als bei den Menschen der freien Liebe.


Bei den Primitiven wird nämlich

Dem vorehelichen Geschlechtsverkehr

Freies Spiel gelassen.


Die primitiven Mädchen

Fürchten den Verlust ihrer Jungfräulichkeit nicht,

Vielmehr fürchten sie unbegattet zu bleiben.


Die Primitiven kennen keine Scham

Über die Nacktheit des Körpers.

Die Neger schüttelten sich vor Lachen,

Als ein Engländer sie bat,

Vor der Ankunft seiner weißen Frau

Sich doch bitte zu bekleiden.

Eine Anzahl von primitiven Stämmen

Übt den Geschlechtsverkehr

In der Öffentlichkeit aus.


Erst wenn die Frauen genommen worden vom Mann,

Haben sie das Bedürfnis, Kleider anzulegen.

Die Frauen im alten Ägypten

Und im zeitgenössischen Bali

Schämen sich nicht,

Ihre Brüste öffentlich nackt zu zeigen.


Unter den Papuas kam Abtreibung häufig vor.

Kinder sind lästig, sagten die Frauen,

Wir sind der Kinder müde,

Wir sterben an ihnen!


Wenn die Abtreibung misslang,

Blieb noch der Kindermord übrig.

Wenn ein Neugeborenes missgestaltet war

Oder irgendwie krank,

War die Ausrottung gestattet.


Stämme auf Madagaskar setzten die Kinder aus,

Die im Frühling geboren worden,

Ertränkten sie oder begruben sie lebendig.

Das gleiche Schicksal erwartete alle Kinder,

Die an einem Freitag geboren waren.

Wenn eine Frau Zwillingen das Leben schenkte,

Nahm man das als Beweis für ihren Ehebruch,

Da kein Mann zu gleicher Zeit

Vater von zwei Kindern werden kann,

Deswegen wurde eins der Kinder getötet.


Der Individualismus wie die Freiheit

Wird erst von der Zivilisation erzeugt.

Erst in der Morgenröte der Zivilisation

Wurde eine kleine Anzahl von Männern freigestellt

Und befreit von den Sorgen und Mühen des Alltags,

Um in schöpferische Muße

Die Werte der Wissenschaft und Kunst zu schaffen.



7


Was ist Schönheit?
Schönheit ist, was gefällt.


Das Gefällige kann

Die ersehnte Genossin sein,

Dann übernimmt das Schönheitsgefühl

Die Intensität und Kraft

Des Geschlechtstriebes

Und weitet den Heiligenschein auf alles aus,

Was mit der Geliebten in Berührung kam,

Auf alle Formen, die der ihren ähneln,

Auf alle Farben, die ihr Anmut verleihen,

Die ihr gefallen, an sie erinnern,

Auf Schmuck und Kleidung, die sie zieren,

Auf alle Körper,

Die den Körper der Geliebten widerspiegeln,

Ihre Grazie und ihr Ebenmaß.


Kunst ist die Schöpfung der Schönheit,

Kunst ist Ausdruck des Denkens und Fühlens

Einer schönen und erhabenen Form,

Deshalb weckt die Kunst in uns

Den Widerschein ursprünglichen Entzückens,

Das die Frau dem Manne gibt.


Was ist Philosophie anders als die Kunst,

Dem Gewirr der Erfahrung

Eine schöne Form zu geben?


Wenn der Schönheitssinn

Bei den Primitiven nicht hoch entwickelt ist,

Liegt der Grund in dem Fehlen der Verzögerung

Zwischen Wunsch und Erfüllung,

Begierde und Befriedigung,

Denn so fehlt der Raum

Für die phantasievolle Erhöhung

Der begehrten Geliebten

Und so kann der Schönheitssinn

Nicht befruchtet werden.


Die Frauen der Fellata

In Zentralafrika

Verloren mehrere Stunden am Tag

Mit ihrer Toilette,

Sie färbten Finger und Zehen purpurrot,

Indem sie sie über Nacht in Hennablätter wickelten,

Sie bemalten ihre Zähne blau oder rot,

Färbten das Haar mit Indigo

Und bestrichen die Augenlider

Mit Schwefel-Antimon.

Jedes Bongo-Weib besaß

Ihren Vanity Bag

Mit Pinzetten zum Auszupfen der Augenbrauen,

Lange Haarnadeln,

Ringe und Kettchen mit Glöckchen.


Die Kleidung ist bei der Primitiven

Mehr sexuelles Anziehungsmittel

Als Schutz vor Kälte.


Sie sind zufrieden, nackt,

Ehrgeizig, schön zu sein.


Die Körperbedeckung dient vor allem dazu,

Die weiblichen Formen und Reize hervorzuheben.

Die primitive Frau erreicht durch ihre Kleidung

Dasselbe wie die moderne Frau,

Nämlich nicht so sehr die Nacktheit zu verbergen,

Als ihre Vorzüge zu erhöhen

Und verborgene Reize verführerisch anzudeuten.


Nun freuen sich die Wilden auch

Am Rhythmus und beginnen

Das Schreien mancher Vögel nachzuahmen,

Das Zurschaustellen ihres Federschmuckes

In Gesang und Tanz nachzuahmen.


Tatsächlich gibt es keine Kunst,

Die die Wilden so sehr lieben

Wie den Tanz.


Auch ihre religiösen Zeremonien

Stellen ein Gemisch von Gesang

Und Tanz und Drama dar.


Der Tanz ist Ausdruck sexueller Begierde

Und die Wilden kennen

Die Gruppentechnik erotischer Stimulation.


Aus dem Tanz entwickelte sich

Die Instrumentalmusik

Und das Drama.

Musik war nichts als der Wunsch,

Den erotisch stimulierenden Tanz

Mit Geräusch zu begleiten

Und mit schrillen und rhythmischen Klängen

Die dem Zeugungsakt notwenige

Erotische Erregung zu steigern.


Australische Neger führten einen sexuellen Tanz auf

Rund um einen umbuschten Brunnen,

Der die Vulva darstellte,

Da die Tänzer nach erotischen Zuckungen

Und dem Aufbäumen ihrer Körper

Ihre phallischen Speere schleuderten

In den Schoß des Brunnens.




ZWEITER GESANG



Manche Völker haben anscheinend

Gar keine Religion.

Pygmäen kennen nicht Kultus, nicht Ritus.

Sie begruben die Toten

Ohne Zeremonie.

Sie kennen kein Tabu und keinen Gott.

Sie waren noch nicht einmal abergläubisch.

Die Zwerge von Kamerun

Kannten nur den bösen Gott

Und taten nichts, ihn zu versöhnen,

Da der Böse unversöhnlich ist.

Die Vedda von Ceylon glaubten an Götter und Geister,

Kannten aber weder Gebet noch Opfer.

Fragte man die Wilden nach Gott,

So sagten sie: Wohnt er auf einem Berg?

Wohnt er in einem Baum

Oder auf einem Ameisenhügel?

Ich hab niemals einen Gott gesehen!

Die Indianer glaubten zwar an einen guten Gott,

Doch sei er so groß und fern,

Er kümmre sich nicht um ihre Nöte.

Ein Wilder sagte einem Missionar:
Unsre Väter und Großväter waren es gewohnt,

Nur an die Erde zu denken,

Ob es genug zu essen und zu trinken gibt.

Sie fragten nie danach, wie der Himmel sei

Und ob ein Schöpfer sei, ein Herr im Himmel.

Wenn wir die Bäume sehen, so sehen wir sie,

Wir wissen aber nicht, wie sie geworden sind,

Wir denken, die Bäume haben sich selbst erschaffen.


Die Todesangst aber ist die Mutter der Götter.

Wie kam der Tod in die Welt?

Der gute Gott sprach zu seinem törichten Bruder:
Geh zu den Menschen und sprich zu ihnen,

Sie sollen sich häuten,

So werden sie unsterblich,

Aber sage der Schlange,

Daß sie sterben muß.

Der törichte Bruder des guten Gottes

Verwechselte aber die Botschaft,

Er schenkte der Schlange

Das Geheimnis der Unsterblichkeit

Und den Menschen das Todesurteil.


Die Todesangst, das Erstaunen über manchen Zufall,

Der Dank für gute Ernte,

Die Hoffnung auf Hilfe

Erzeugten den Glauben an die Götter.

Wunderbar und geheimnisvoll

Sind den Wilden vor allem

Die nächtlichen Träume

Und die Sexualität,

Auch glauben sie an einen Einfluß

Des Mondes und der Sterne.

Wenn ihnen im Traum die Toten erscheinen,

Glauben sie an die Totengeister.


Wenn die Wilden von den Toten träumen,

Beginnen sie, an eine Seele zu glauben,

Sie glauben, jedes Lebewesen

Habe eine Seele, sei von einem Geist bewohnt.

Nicht allein der Mensch,

Sondern alle Dinge sind beseelt,

Von Geistern bewohnt.

Der Animismus ist die Poesie

Der primitiven Religion.

Dem Primitiven sind die Berge und die Bäume,

Sonne, Mond und Sterne,

Ja, das ganze Universum

Wohnort von Geistern

Und Gegenstand der Verehrung.

Sie beten den Mond an als die Göttin Luna,

Das Meer gebiert die Göttin Aphrodite,

Die Nacht ist erfüllt von Hekate und ihrer Magie.


Weil alle Dinge beseelt sind

Und von elementaren Geistern besessen,

Wird alles religiös verehrt,

Die kosmischen Welten,

Die Erde,

Die Geschlechtsorgane,

Die Tiere,

Der Mensch und eine Menge von Göttern.


Der Erste aller Götter

Ist der Mann im Mond,

Ein Draufgänger, der die Weiber verführt

Und ihnen die Monatsblutung beschert,

Der Lieblingsgott der Frauen,

Ihr Schutzherr,

Zu dem selbst die Frösche um Regen beten.


Irgendwann begannen die Wilden

Auch zur Sonne zu beten.

Die Erde ist ihnen eine Muttergöttin,

Der heiße Strahl des Sonnengottes

Befruchtet die Mutter Erde,

So ist der Sonnengott

Der Vater aller Lebewesen.

Der Philosoph Anaxagoras aber wurde verbannt,

Weil er sagte, die Sonne sei kein Gott,

Die Sonne sei ein Feuerball,

So groß wie der Peloponnes.

Noch heute ist den Heiden im Fernen Osten

Der Kaiser ein Sonnengott.

Kultur ist Luxus einer kleinen Minderheit,

Die große Masse des Haufens

Glaubt auch heute noch

An die alten Götter der Natur.


Jeder Stern ist Wohnsitz eines Gottes.

Auf dem Mars wohnt der Kriegsgott,

Der Herr der Männer,

Auf der Venus wohnt die Liebesgöttin,

Die Herrin der Frauen.


Im Fernen Osten glaubt man heute noch,

Der Himmel sei ein Gott.


Das Zentralmysterium der Heiden

Ist die Hochzeit von Himmel und Erde,

Die sexuelle Vereinigung

Von Gott und Göttin,

Von göttlichem Phallus und göttlicher Vulva.

Denn der Himmel ist der Vatergott

Und die Erde ist die Muttergöttin

Und die Menschen sind ihre Kinder.


Bäume haben ja Seelen,

Und wer einen Baum fällt,

Der mordet die Seele des Baumes.

Aber, wie ein Heide einem Christen sagte,

Die Seelen der Bäume, die gemordet wurden,

Werden zu Rachegeistern

Und treiben den Mörder in den Wahnsinn

Und in den Selbstmord.


Ja, am Anfang beteten alle

Zu Bergen und Bäumen,

Quellen und Flüssen,

Der Berg ist die Muttergöttin,

Im Baum lebt die Fee,

In den Quellen plätschern die nackten Nymphen.


Noch heute sprechen wir ja von der Mutter,

Von der Mater und der Materia.


Die Babylonier nannten sie Ishtar,

Die Zyprioten nannten sie Aphrodite,

Die neuen Heiden nennen sie Demeter

Und danken ihr für das tägliche Brot.


Die Mutter Erde wird geboren,

Sie wird vermählt,

Sie gebiert in schöpferischer Fruchtbarkeit,

Sie altert und welkt

Und stirbt, um wieder neu geboren zu werden.

Die Philosophen der Heiden nennen das

Die ewige Wiederkehr des Gleichen

Und die heidnischen Theologinnen

Nennen die ewige Wiedergeburt

Unsterblichkeit der Seele und ewiges Leben.


Was weiß der Wilde von Ovum und Sperma?
Der Wilde sieht wohl Phallus und Vulva,

In Phallus und Vulva wohnen göttliche Kräfte,

Zeugungskräfte und Schöpfermächte,

Sie sind angebetete Gottheiten,

Ja, die wundervollsten Götter von allen!

Der Phallusgott bewacht den Rosengarten,

Um die Vulva wird eine Kirche gebaut

In Gestalt der Vulva,

In der die Vulva angebetet wird.

Die Primitivsten der Primitiven

Beten Phallus und Vulva an,

Und auch die feineren Wilden

Beten Phallus und Vulva

Auf höchst verfeinerte Weise an.

Besonders verehrt wird der starke Stier

Wegen seiner Zeugungskraft.

Sie beten alle die Schlange an,

Sie beten die Schlange als Phallusgott an,

Sie lieben vor allem das Bild

Des nackten Weibes, umschlungen von der Schlange,

Das Götterbild der sündigen Sinnlichkeit,

Sie beten zur Schlange des Gartens Eden,

Die Eva in den Mund nahm.


Es gibt ja kaum ein Tier,

Zu dem nicht gebetet wird.

Sie lieben den ägyptischen Mistkäfer

Und den hinduistischen Elefantengott.


Im Laufe der Zeit tritt die Tieranbetung zurück.

Die grausamen Tiergötter

Verwandelten sich in grausame Götter.

Einst waren die Götter Tiere,

Darum Athene, die Göttin der Weisheit,

Die Augen einer Eule hat,

Hera, die Himmelskönigin,

Die Augen einer Kuh hat,

Und Aphrodite, die Göttin der Liebe,

Augen einer Taube hat.


Die meisten Götter aber

Waren einst nicht Tiere,

Sondern Menschen, die gestorben sind.

Die Toten erschienen in den Träumen

Und wurden als Geister verehrt.

Ob man aber einen Geist verehrt

Oder ein Gespenst, ist nicht zu unterscheiden.

Aus dem Gespensterkult

Wird Ahnenverehrung.

Der tote Vater wird zu einem Vater im Himmel.

Erst war der Schrecken des Todes,

Dann die Furcht vor den Totengeistern,

Dann die Vergötterung des Toten

Und dann die Pietät

Der Verehrung des Vaters im Himmel.

Aus dem Menschenidol

Wird ein Gottideal.

Der Gott erscheint in Gestalt eines Menschen.

Von den Elementargeistern

Dämonischer Besessenheit

Gehen die Wilden über zum Kult

Der Hochzeit von Gott-Phallus und Göttin-Vulva,

Verehren dann die Ahnen

Und beten zum vergöttlichten Vater.

Manchmal aber beten sie

Schon zu Lebzeiten einen Menschen als Gott an.


Nachdem die Wilden sich

Die elementaren Geister ersonnen,

Wollten sie die Geister zwingen,

Ihnen zu Diensten zu sein.

Zum Animismus trat die Magie,

Die Seele ihrer Religion.


Es gibt ein Reservoir

An magischen Kräften,

Manas genannt,

Aus dem die Magier schöpfen.


Man macht den Geistern verständlich,

Was man von ihnen will,

Indem man ihnen das Gewünschte vorspielt.

Man gießt Wasser auf die Erde,

Wenn man Regen braucht.

Die Wilden forderten von einem Missionar,

Mit offenem Regenschirm

Durch ihre Felder zu spazieren,

Als sie Regen brauchten.

Die unfruchtbare Frau

Trägt auf ihrem unfruchtbaren Schoß

Ein Kinderpüppchen, damit sie schwanger wird.

Die werdende Mutter

Legt ein Püppchen an die Brust,

Als wolle sie das Püppchen säugen,

Und spricht dabei die magische Formel,

Dann verkündet sie im Dorf,

Sie sei jetzt schwanger,

Die Freunde wünschen ihr Glück

Und glückliche Niederkunft.

Der Magier windet sich selbst

In Wehenschmerzen

Und nimmt der gebärenden Mutter

Die Schmerzen der Wehen ab.

Der Magier rollt einen magischen Stein

Über den Bauch der schwangeren Frau,

Einen Bernstein oder Kristall,

Und lässt den Stein zur Erde fallen,

Das träge Kind wird es ihm schon nachtun.

Der moderne Pöbel

Ist solcher Magie sehr zugetan.


Zur Befruchtung des Bodens

Und um den Segen der großen Göttin Demeter zu erflehen,

Brüht man die Genitalien

Eines Mannes in bestem Alter,

Zerreibt die Mixtur zu einem Pulver

Und streut es der Muttergöttin in den Schoß.


Sie feiern auch den Maienkönig

Und die Maienkönigin,

Die in aller Öffentlichkeit

Den Beischlaf vollziehen,

Damit Himmel und Erde

Sich an den Menschen ein Vorbild nehmen

Und Hochzeit feiern

Und fruchtbar werden.


Die Bauern paaren sich mit ihren Weibern

Auf den Feldern,

Um die Ernte zu sichern.


Die Feste zur Zeit der Saat

Sind Ferien für die Moral,

Frauen unfruchtbarer Männer

Werden dann beglückt und geschwängert.

So will man die Mutter Erde anreizen,

Doch den Samen in ihrem Schoß zu empfangen

Und als Kinder die Ähren zu gebären.


Da sind Bacchanalien!

Sexuelle Zügellosigkeit!

Ausschweifende Sinnlichkeit!

Orgien! Rausch!

Die Prostitution ist frei!

Der Ehebruch ist keine Sünde!

Der Christ wendet seine Augen ab

Voll Ekel und Scham.


Damit die Muttergöttin fruchtbar wird,

Wird ihr ein Mann geopfert,

Sein Blut macht sie fruchtbar.

Kommt dann die Ernte,

Feiert man die Wiederauferstehung des Opfers.

Der geschlachtete Mann wird als Gott verehrt,

Der jährlich stirbt und aufersteht.

Die Poesie webt um den magischen Opferkult

Einen mythologischen Schleier

Und besingt Aphrodite und Adonis.

Allabendlich stirbt der Sonnengott,

Allmorgendlich feiert er Auferstehung.


Menschenopfer fordern die Götter der Heiden.

Der edle Wilde, der weise Indianer,

Der arme Azteke, von den Spaniern ermordet,

Er diente einem Götterbild,

In dessen Innern die Menschen geschlachtet wurden.

Moloch frisst am Liebsten Kinder!

Die Abtreibung unsres heutigen Pöbels

Ist der selbe Molochsgötzendienst!

Denn die Wilden sind Kannibalen,

Ihnen schmeckt vor allem Menschenfleisch,

Und so lieben auch die Götter,

Menschenfleisch zu fressen.


Später gab sich die große Göttin Diana

Mit einer Hirschkuh zufrieden,

Die alten Barbaren

Brachten ihr weiter Menschenopfer,

Aber die edlen Griechen

Opferten ihr die Hirschkuh.


Und so wie der Gott die Kinder frisst,

So frisst der Heide seinen Götzen.

Das Blut geopferter Kinder

Wird mit Mais vermischt,

Der Götze wird gebacken und gefressen.

Wahrlich, dies ist die Schwarze Messe Satans!


Die Wilden glauben alle an die Macht des Fluches

Und des bösen Blickes.

Sie sind sich sicher,

Der Fluch eines gewaltigen Magiers

Kann über weite Entfernung töten.


Darum haben sie Amulette

Gegen den bösen Blick

Und andre Mittel des Abwehrzaubers.


Der Animismus

Speist die Poesie,

Die Magie erzeugt

Die Naturwissenschaft.

Denn weil die Magie oft fehlschlägt,

Ist es für den Magier gut,

Die Gesetze der Natur zu kennen,

Um auf die Götter einzuwirken,

Das Gewünschte hervorzubringen.

So wird aus dem Magier ein Arzt,

So wird aus dem Magier ein Astronom.


Die heidnischen Priester sind Magier.

Der Priester besitzt die Macht, in der Trance,

Im Rausch und der Ekstase

Sich den Göttern zu nähern

Und sie zu zwingen,

Den Menschen dienstbar zu sein.

Der magische Priester

Wird zum Orakel der Geister

Und bestimmt Kultur und Moral

Der abergläubischen Heiden.


Es gibt Tabus.

Das Tabu tritt an die Stelle des Gesetzes.

Die Ägypter fressen

Während einer Hungernot

Lieber Menschen,

Als dass sie das Totemtier fressen,

Denn das heilige Tier zu essen, war tabu.


Über die Art der Ernährung

Herrschen diätetische Tabus.


Das Lieblingstabu der Wilden

Ist aber das Weib.

Von Zeit zu Zeit ist das Weib

Unrein, unberührbar, gefährlich.

Im Anfang der Menschheit

Brachte das Weib das Übel in die Welt.

Vor allem ist das Weib tabu

Während ihrer Monatsblutung.

Was mit einem Weib in Berührung kommt,

Das ihre Regel hat, verliert die Reinheit.

Den Weibern, die ihre Blutung haben,

Ist es verboten, ein Bad zu nehmen,

Da sie das Wasser vergiften.

Verboten ist dem blutenden Weib,

In den Wald zu gehen, es könnte sein,

Daß eine verliebte Schlange

Sie dort vergewaltigen würde.


Wo stehen wir heute?

Erziehung, Gesetz, Moral und Ehe

Lagen einst in den Händen

Der geistlichen Hierarchie.

Aber Erziehung, Moral

Und Geschlechtsbeziehungen

Entfliehen der Kirche,

Werden weltlich,

Werden schließlich heidnisch.

Die Intellektuellen

Verlassen die Theologie

Der alten heiligen Väter

Und verlassen die Moral der Kirche.

Die Literatur wird kirchenfeindlich,

Die Philosophie wird gottfeindlich.

Die Revolutionäre

Beten die Göttin der menschlichen Vernunft an,

Bis die Menschen enttäuscht, ernüchtert

Sich von jeder Idee verabschieden.

Ihres religiösen Fundamentes beraubt

Und der Säulen der Kirche,

Geht das Leben der neuen Heiden

In das tierische Wohlbehagen

Der süßsauren Fäulnis

Von epikuräischen Säuen über.

Das Leben, jedes Trostes des Glaubens beraubt,

Wird zum trostlosen Jammer der Elenden

Und zum sinnlosen Spaß der Reichen.

Am Ende stirbt

Nach dem Tod des Glaubens

Auch die Gesellschaft ihren Tod

Und es stirbt der Leib

Und die Seele stirbt den ewigen Tod.


Inzwischen steigt in dem letzten Rest

Der verfolgten Untergrundkirche

Der ewige Mythos Gottes erneuert auf

Und spendet wieder die göttliche Tugend der Hoffnung

Und spendet wieder freudigen Lebensmut

Für den apokalyptischen Endkampf!

Und nach den Kriegen der Satanisten

Baut die jugendliche Zukunftskirche

Die Zivilisation der Liebe!