Von Josef Maria Mayer
DIE FREUNDSCHAFT MIT GOTT
Er küsse mich mit Küssen seines Mundes!
Deine Brüste sind berauschender als der Wein!
Spricht die Seele doch zu einer Person
Und sagt: Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes,
Und spricht dann gleicherweise:
Deine Brüste sind berauschender als der Wein!
Das übersteigt wohl den Menschenverstand
Und weckt doch in mir eine große
Himmlische Wollust!
Wir sollten uns ruhig freuen,
Daß wir einen solchen wunderbaren Gott haben,
Der, wenn seine Worte ins Deutsche übersetzt werden,
Immer noch nicht verstanden werden kann.
So süße Gnaden
Erweist uns Gott
Im Lied der Lieder von der Liebe
Und gibt die Gnaden zu erkennen,
Die Gott der Seele schenkt,
Jener, die den Gott liebt,
Damit die Seele mit der göttlichen Majestät
Sprechen kann
Und sich erlustigen kann
Und eine noch größere Liebe
Zur göttlichen Majestät
Aus dem Lied der Lieder schöpfen.
Ich hörte einmal einen geistlichen Menschen sprechen
Von den Liebeswonnen
Und lustvollen Ergötzungen der Seele
In der Vereinigung mit der Gottheit,
Daß die alten Nonnen schamrot wurden
Und die jungen Mädchen kicherten albern,
Obwohl er doch, was er von der Liebe sagte
Und von der lustvollen Vereinigung
Des Herrn und seiner Braut,
Am Karfreitag sagte
Und sich gründete auf das Lied der Lieder,
Da musste ich doch staunen.
Das kommt wohl daher,
Dies falsche Schämen und alberne Kichern,
Daß wir so wenig ergriffen sind
Von der göttlichen Liebe,
Daß uns scheint, als könnte einer Seele
Nicht solche Wollust widerfahren
Und als dürfe ein geistlicher Mensch
Nicht erotisch von der Gottheit sprechen.
Wenn aber eine Seele
Ausgezogen die Freuden der Welt
Und sich nackt in Gottes Hände gelegt,
Ganz sich ergeben dem Herrn,
Dann wird die Seele als Braut des Herrn
Von ihrem Gemahl erfahren
Solche süßen Tröstungen,
Solche Ohnmacht,
Solche Trübsal
Und solche tausend Tode
Und auch solche Freuden der Liebe
Und solche göttliche Wollust!
Wundert ihr euch also,
Daß Gott so liebevoll spricht
Und solche liebkosenden Worte gebraucht
Für seine Freundin Seele,
So wundert mich doch noch mehr,
Daß noch mehr als liebevolle Worte zu sprechen
Gott seine Liebe in der Tat erweist!
Wenn ihr nämlich erst einmal erkennt,
Daß Christi Liebe zu uns so groß ist,
Daß er aus Liebe leidet,
Daß er krank vor Liebe ist
Und betrübt bis an den Tod
Und dass er in der Passion seiner Liebe
Den Liebestod für uns stirbt,
Wenn ihr dann erkennt, mit welchen Worten
Erotischer Liebe
Gott zu uns spricht,
Dann müsst ihr wohl staunen
Über solche göttliche Liebe.
Wenn ich mich nun erlustige
An der göttlichen Liebe
Und an den süßen Liebesreden Gottes,
Dann will ich nur eines,
Daß das, was mich erlustigt,
Auch euch ergötze
Mit der selben Wonne der Liebe.
O küsse mich doch mit dem Kusse deines Mundes!
Es mögen wohl die Theologen sagen,
Ich sei ein armer Narr,
Daß ich nicht wüsste,
Mund und Kuß sei allegorisch auszulegen
Und nicht etwa sinnlich zu verstehen,
Darum es auch ratsam sei,
Daß junge Mädchen das Hohelied nicht zu lesen bekommen.
Ich gestehe zu,
Daß die Worte der Schrift
So manche geheime und geheimere Bedeutung haben,
Aber wenn die Seele erst einmal verrückt vor Liebe zu Gott ist,
Wird sie nicht die Deutungen der Theologen suchen,
Sondern sprechen einfach mit den selben Worten,
Mit denen Gott zur Seele spricht:
O küss mich doch mit dem Kusse deines Mundes!
Treten wir nicht immer wieder
Zum Allerheiligsten Altarsakrament?
Mir scheint doch, die geistliche Seele
Bittet in der Kommunion
Um die Vereinigung mit Gott!
Die sinnlichen Worte
Von der sinnlich-erotischen Liebe
Flößen vielleicht manchen Frommen einen Schauder ein,
Doch nicht den verrückten Seelen.
Ist es vielleicht vermessen, Gott,
So von dir zu sprechen?
Aber wenn der Kuß deines Mundes,
O Gott,
Freundschaft bedeutet,
Warum sollte meine Seele nicht begehren
Die Freundschaft mit Gott?
Was soll ich mehr begehren von Gott?
Ich bitte Gott,
Mir mit dem Kusse seines Mundes
Seine Freundschaft zu schenken,
So dass meine Seele sich geliebt weiß
Als geliebte Freundin Gottes!
DIE HEILIGUNG
Wenn eine Seele nicht tot ist,
Sondern lebendige Liebe zu Gott hat,
Dann ist es eine schöne Gnade,
Wenn sie alles, was ihrer Berufung zuwider ist,
Schmerzlich empfindet und ablehnt.
Ah, wie macht sie doch ein schönes Bett
Von dornenlosen Rosen
Und gelben Lilien der mystischen Ehe
Für ihren Gott und Herrn,
Sie, der Gott so große Achtsamkeit eingegeben.
Gott wird es sich nicht versagen,
Zur Seele zu kommen
Und sich mit ihr zu ergötzen,
Ob sie auch manchmal länger auf ihn warten muß.
Was tun die Karmeliter sonst in ihrer Zelle,
Die die Welt verlassen haben?
Wozu sind sie eingeschlossen in ihrer Zelle?
Womit könnten wir besser unsere Zeit totschlagen,
Als in unserer Seele
Eine schöne Wohnung für Gott zu bereiten,
Ein schönes Bett für unsern Bräutigam?
Darum haben die Karmeliter die Gelübde abgelegt.
Habe doch Mitleid mit dir selber
Und sei dir selber barmherzig,
Denn du weißt, dass du nicht aus eigener Kraft
Zur Freundschaft mit Gott gekommen bist.
Solltest du dir mit weniger genügen lassen
Als mit der vertrauten Freundschaft mit Gott?
O Gott, ist es nicht das Beste,
Die Gedanken zu richten
Auf den schönen Liebeslohn
In Ewigkeit?
Und sollte ich mich nicht freuen,
Daß Gott den süßen Liebeslohn
Auch schon auf Erden erteilt,
Wenn man zur Freundin Gottes geworden ist?
Aber wenn du demütig werden willst,
Dann beurteile deine Nächsten nicht so böse.
Es könnte ja gut sein, dass sie besser wären als du,
Wenn sie ihre Sünden beweinten
Und sich gute Vorsätze vornähmen,
Nämlich den ernsten strengen Vorsatz,
Jesus nie mehr zu beleidigen,
Nicht in großen Sünden
Und auch nicht in kleinen Sünden!
Wenn du aber von dir denkst,
Daß du keine großen Frevel begehst,
So nimmst du dir doch die Freiheit
Zu deinen kleinen eigenen Sünden!
Was nützen dir die abgelesenen Psalmen,
Wenn du nicht ganz fein und subtil
Dich um die Reinheit deines Herzen sorgst?
Es gibt wohl Menschen, die sich den Vorsatz nehmen,
Jesus nie mehr zu beleidigen.
Aber meiden sie auch die Versuchung zur Sünde?
Gott hat ihnen schon eine tiefe Andacht geschenkt
Und viele herzerweichende Tränen,
Aber doch wollen sie die Genüsse des irdischen Lebens
Und die Eitelkeiten der Welt nicht missen,
Sondern ein bequemes, ruhiges Leben führen,
Weil sie meinen, sie bräuchten viel Ruhe
Und müssten unbedingt im Frieden leben.
Das ist in jedem Fall ein Wunder,
Wenn die Bequemen in der Tugend verbleiben.
Denn wer sich den irdischen Freuden
Und eitlen Ergötzungen dieser Welt
Nicht ernsthaft entzieht,
Der wird auf dem Weg des Herrn
Leicht lässig und träge,
Und da sind auch mächtige Feinde,
Die uns behindern
Auf dem Weg mit Gott.
So muß ich euch von einem Menschen erzählen,
Der kommunizierte oft
Und lästerte keinen,
War im Gebet voll Andacht
Und liebte die Einsamkeit,
Der Mensch wohnte allein in seinem Haus,
Auch war der Mensch von solcher Selbstbeherrschung,
Daß er sich nicht zum Zorn hinreißen ließ.
Der Mensch sprach nicht Böses über andre,
Fluchte nicht
Und hatte auch die Heirat verschmäht
Und hatte auch viel zu erdulden gehabt
Auf diesem seinem geistlichen Weg.
Da dachte ich: Ein Heiliger!
Da merkte ich aber, dass der Mensch
Nur friedlich war, wenn alle ihn liebten und ehrten.
Sobald man aber seine Ehre angetastet,
So wurde er ziemlich zornig
Und fing sogar zu fluchen an.
Da merkte ich, dass der Mensch
Eine so hohe Meinung von sich selber hatte,
Daß jede Geringschätzung seiner Person
Ihm eine Majestätsbeleidigung schien.
Dann merkte ich, dass dieser Mensch
Auch gern Neuigkeiten von andern Leuten hörte,
Und ich wunderte mich, wie dieser Mensch
Auch nur eine Stunde allein in seinem Hause bleiben konnte.
Darüber hinaus wusste derselbe Mensch
Auch immer, seines Leibes Lüste zu suchen.
Du aber, geistlicher Mensch, sei froh,
Daß der Herr dich in deine Einsamkeit eingesperrt,
Damit der Satan dich nicht versuche,
Denn der Satan versucht sehr stark die Armen,
Die draußen in der Welt zu kämpfen haben.
Es gibt wohl manche Seele,
Die scheint schon zum Himmel zu fliegen,
Sie scheinen schon fast vollkommen,
Es ist auch kein Mensch da, der sie versteht.
Aber der Karmelit in seiner Zelle
Braucht nur der geistlichen Obrigkeit gehorsam zu folgen,
Dieweil der Fromme,
Der in seinem eigenen Hause lebt,
Alles nach seinem eignen Willen tut.
Wo ist denn eine Seele,
Die dem heiligen Petrus ähnlich wäre,
Der sich nämlich nackt ins Meer geworfen,
Um zu Jesus zu schwimmen,
Und andern Heiligen ähnlich wäre,
Die ihre Ruhe und ihr feines Leben aufgegeben,
Um Seelen zu retten!
Die meisten wollen zwar Seelen retten,
Aber dabei auch bequem und ruhig leben.
So sind auch nur wenige in der Welt,
Die in der Frage ihrer Kleidung
Und in der Frage des Brotes und Weines
Auf Gott den Vater allein vertrauen.
Und wenn du nun ein kontemplativer Mensch bist
Und den Menschen nicht helfen kannst
Mit den aktiven Werken der Caritas,
So hast du doch ein heißes Verlangen,
Den geliebten Seelen beizustehen
Mit deinen Tränen und deinem Flehen
Vor dem himmlischen Vater
Und der heiligen Gottesmutter.
Das Gebet hat wirklich Macht!
Wenn es Gott gefällt,
Wirst du mit deinem Gebet den Seelen helfen
Schon zu deinen Lebzeiten
Oder auch nach deinem Tod!
So denke ich an einen Laienbruder,
Der Unsrer Lieben Frau vom Karmel verbunden war,
Der den Seelen zu seinen Lebzeiten diente
Und viele Jahre nach seinem Tode
Erweckte Gott sein Gedächtnis
Und gab ihn den Frommen zum Exempel.
Dafür wollen wir die göttliche Majestät sehr loben!
DER KUSS DER GOTTHEIT
Der Mensch kommt zu einem Frieden,
So dass er es wagen kann,
In die Welt hinauszuziehen,
In den Kampf des Alltags,
Ohne seine Ruhe und seinen Frieden zu verlieren.
Wenn der Mensch erkennt,
Daß er seiner Braut, der göttlichen Weisheit,
An einer anderen Stelle
Mehr und besser dienen kann,
Wird er die Einwände seines Verstandes
Beiseite tun
Und an die gewiesene Stelle eilen.
Weißt du es sicher, o Mensch,
Daß deine Braut, die göttliche Weisheit,
Dich geküsst hat
Mit dem Kuß ihres Mundes?
Du musst es aus der Wirkung erkennen.
Laß dich nicht hindern,
Sondern laß die Weisheit durch dich wirken,
Damit du dieser göttlichen Braut gefällst!
Du sollst nur in ihren Augen schön sein wollen!
Es lässt sich die göttliche Majestät erkennen
An Menschen, denen ihre Gnade teilhaftig wurde,
Denn diese achten die irdischen Güter
Nicht höher, als sie es wert sind.
Auch hat solch ein Mensch
Keine Freunde als allein solche,
Die Jesus lieben.
Diese mystische Vereinigung
Zwischen der Braut und dem Bräutigam
Lehrt tiefere Weisheiten,
Als der rationale Menschenverstand
Mit all seiner Logik erkennen kann.
Darum hält der Mensch
Die Vernunft
Unter den Füßen des Glaubens.
Siehe, wenn eine arme Bauernmagd
Heiraten würde eine großen Kaiser
Und Kinder von ihm bekäme,
Wären ihre Kinder auch
Kaiserliche Hoheiten.
Wenn nun Gott
Der Seele solche Wohltat erweist
Einer solchen Liebesvereinigung,
Dann werden die Kinder der Seele,
Nämlich ihre kraftvollen Werke,
Kaiserliche Hoheiten sein.
O Gottheit des Himmels und der Erde,
Ist es wirklich wahr,
Daß ein Mensch auf Erden schon
Solche himmlischen Wonnen von dir empfängt?
Der Geist spricht doch im Lied der Lieder der Liebe,
Wie die Seele sprechen soll
Mit Gott, dem Gemahl der Seele.
Welche Worte sagt die göttliche Weisheit,
Welche süßen Worte!
Ein einziges dieser Worte der Liebe
Kann genügen, die Seele zu berauschen
Mit den Wonnen der göttlichen Liebe!
Ein Wort vom Geist geschenkt genügt,
Den Menschen mit der Gottheit
Mystisch zu verschmelzen!
Gesegnet bist du, Frau Weisheit!
Deine Worte sind so süß,
O Braut, Frau Weisheit,
Wie kann sie einer übersetzen,
Als wer deine Liebe erfahren hat?
Wenn du aber deine brennende Liebe sendest,
Kann der Mensch das Hohelied wohl übersetzen.
So bitt ich denn von dir, Frau Weisheit,
Nichts als dass du mich küsst
Mit den Küssen deines geheimnisvollen Mundes!
Nichts soll mich hindern zu sagen,
O meine Gottheit, o meine Gloria,
Daß deine Brüste berauschender sind als der Wein!
DIE GÖTTLICHEN BRÜSTE
Ich singe von der süßen,
Lieblichen Liebe
Und von den Ergötzungen göttlicher Liebe,
Wie Gott in der Seele wohnt
In der betenden Ruhe,
Welche vergleichbar ist
Dem Saugen an den göttlichen Brüsten.
Wenn die göttliche Majestät
Einem gottverlobten Menschen
Diese Bitte gewährt,
Solche Freundschaft mit der Gottheit zu führen,
So erlebt der Mensch Wonnen,
Die allein jene glauben werden,
Die es selber erfahren haben.
Der Mensch gerät
In eine göttliche Trunkenheit,
Daß er selbst nicht mehr versteht,
Was er will und was er begehrt.
Wenn die Gottheit
Den Menschen noch mehr begnaden will,
Zieht die Gottheit den Menschen in sich hinein,
Daß der Mensch ohnmächtig wird!
Ihm scheint, er liege in den göttlichen Armen
Und trinke an den göttlichen Brüsten
Die Milch des Trostes
Der Mutterliebe Gottes,
Wo Gott wie eine Mutter
Den Menschen überströmt
Mit Wollust und Wonne
Bedingungsloser Liebe!
Wenn der Mensch von dieser Trunkenheit
Und von diesem Schlaf erwacht,
Ist der Mensch erschüttert
Und wie ein Wahnsinniger,
Der den Verstand verloren hat.
Aber er weiß doch,
Die göttlichen Brüste
Berauschen mehr
Und machen trunkener
Als der dunkelste Wein von Frankreich.
Dem Menschen scheint,
Höher in der Seligkeit
Könne er nicht mehr steigen
Als so in den göttlichen Armen ruhend
Gebettet zu sein auf den göttlichen Brüsten!
So weiß ja auch ein Säugling nicht,
Wie ihm geschieht,
Wenn er noch nicht einmal schreit,
Die Mutter schon kommt
Und legt ihm die Brust in den Mund.
Das ist wirklich die größte Gnade,
Die der Mensch auf Erden schmecken kann.
Mögen sich auch alle Freuden
Des leckersten Fleisches und des teuersten Weines
Und der erotischen Menschenliebe vereinen,
Kommt es doch nicht an die Glückseligkeit heran,
Die der Mensch empfindet,
Wenn er an den göttlichen Brüsten trinkt.
Womit soll ich es sonst vergleichen
Als mit einem liebenden Mutterherzen,
Daß dem geliebten Säugling
Milch von ihrem Herzen gibt?
Das sagte doch der heilige Paulus mir schon oft,
Daß die Leiden dieser Welt,
Alle Leiden dieser kurz bemessenen Zeit auf Erden
Nicht ins Gewicht fallen
Angesichts der Schönheit der himmlischen Wonnen,
Die uns geschenkt werden sollen.
Keine Freude eines Kusses von menschlichen Lippen,
Keine körperliche Zärtlichkeit
Und nicht die Lust des Aktes mit einer Frau
Ist auch nur entfernt so schön
Wie dieses genüssliche Saugen
An den göttlichen Brüsten,
Da die Milch der Mutterliebe Gottes
Berauschender ist als der beste Wein.
Wache wieder auf, meine Seele,
Um der göttlichen Liebe willen,
Wache auf vom Schlaf der Erde,
Freue dich, meine Seele,
Daß die göttliche Weisheit
In ihrer göttlichen Liebe
Den Genuß der Gottheit
Nicht allein aufspart für die himmlische Hochzeit
In der Ewigkeit,
Sondern dich den Genuß der Gottheit
Schon auf Erden genüsslich schmecken lässt.
Die Gottheit zahlt dir den Liebeslohn
Nicht erst im Reich der Ewigkeit,
Sondern schon auf Erden
Belohnt sie dich für deinen treuen Liebesdienst.
DIE GÖTTLICHE TRUNKENHEIT
Jesus Christus führte mich in seinen Weinkeller
Und hat dort die Liebe in mir geordnet.
Erst war der Mensch
Wie ein kleines Kind
Und wurde von der Gottheit
An den göttlichen Brüsten
Ernährt, wie eine Mutter
Ihr Kind mit Milch ernährt.
Aber nun ist der Mensch
Eine Braut geworden
Und Christus ist der Bräutigam
Und führt die Braut in den Weinkeller,
Dort erquickt er sie mit Trauben,
Sie muß dort erkennen,
Wie viel sie für Christus noch zu leiden haben wird.
Aber Jesus Christus hört nicht auf,
Sich der Brautseele hinzugeben.
Christus weiß, dass er
Die Hagia Sophia ist.
Es scheint, als könne er der Seele mehr nicht geben,
Als den Kuß des Mundes
Und die göttlichen Brüste.
Aber nun führt Christus die Brautseele
Zum Weintrinken in den Weinkeller.
Wenn die Seele ruht im Schatten der Gottheit
Wie schlummernd in einer goldenen Wolke,
Was will sie mehr,
Was kann ihr Gott noch geben
Als diese ewige Ruhe?
So gibt Christus der Brautseele dies,
Nämlich solche harten und schrecklichen Leiden,
Daß die Seele schreien muß:
Herr, Herr, ich kann nicht mehr!
O Gott, wie schrecklich ist deine Gnade!
Soviel Gnade, mein Gott,
Um den Preis solcher grausamen Leiden,
Hab ich nicht begehrt!
Und doch, gestärkt durch den wahren Glauben,
Wollte die Brautseele diese Trübsal,
Diesen Feuerofen der Drangsal
Nicht tauschen
Gegen alle Lüste der eitlen Welt.
Darum sagt die Psyche
Zu ihrem göttlichen Eros:
Der König hat mich geführt
In den Keller zum blutroten Wein.
Die Größe dieser Gnade Christi
Ist über die Maßen groß.
Dem einen gibt Christus
Weniger Wein,
Dem andern schenkt Christus voll ein.
Den einen macht Christus
Wenig trunken,
Den andern macht Christus
Bis zum Wahnsinn betrunken
Von den blutigen Gnaden Christi des Gekreuzigten!
Dem einen gibt Christus
Wenig Wein der Andacht,
Dem andern schenkt Christus
So viel starken Wein der Kontemplation ein,
Daß der Mensch schon fast
Entrückt der Erde
Zwischen den himmlischen Schönheiten wandelt.
Dem einen schenkt er einmal
Den Wein der Nächstenliebe ein,
Daß er in großer Kraft und Stärke
Die Liebe Gottes
Zu den Armen und den Kleinen trägt,
Dem einen schenkt er ein andermal
Den Wein der mystischen Weisheit ein,
Daß er die Geheimnisse des Urgeheimnisses
Verzückt in seligen Schauungen ahnt.
Darum führt nämlich Jesus Christus
Die Brautseele in den Weinkeller,
Daß Christus ohne Maß
Den Wein ihr einschenken kann,
Daß sie kräftig trinken möge
Und von allen Weinen Christi kosten möge
Und alle Freuden des göttlichen Rausches
Und der göttlichen Trunkenheit
Genießen möge ohne Maß,
Daß sie trinke von Gottes Wein
Mehr als ihre sterbliche Natur erträgt,
So dass der trunkenen Seele scheint,
Sie sterbe jetzt
Und schwebe im Paradies!
Selig, dreimal selig ist der Tod,
Der einem solch ein Leben im Paradiese schenkt!