Herausgegeben von Dr. P.M. – Herausgeber der

König Gilgamesch


von Josef Maria Mayer



ERSTER GESANG


Der alles schaute, überall, der König,

Der Fernes kannte, Jegliches erfasste,

Das Nahe kannte gleichermaßen er,

Der Himmelsgott verlieh ihm die Erkenntnis.

Geheimes sah er und Verborgnes auch,

Er brachte uns die Kunde von der Sündflut,

Fuhr weite Wege, matt, und wieder frisch,

In Stein gemeißelt seine ganze Mühsal.

Die Mauer baute er um Uruk-Gart,

Ums heilige Eanna, um den Hort,

Der Mauer Friese wie aus Bronzeplatten,

Der Sockel keinem andern Werke gleich.

Der Eckstein, seit der Urzeit ist er da!

Schau an Eanna, Sitz der Königin,

Es kann kein Mensch, kein König Gleiches machen.

Steig auf den Wall von Uruk, wandle weiter,

Die Gründung prüfe, schau die Ziegel an,

Gewiß aus Backstein ist das Ziegelwerk,

Der Grund gelegt ward von den sieben Weisen!

Ein Drittel Stadt, ein Drittel Palmengarten,

Ein Drittel Heiligtum der Königin!

Urkunden sind in Kupferkapseln dort,

Nimm von der Kapsel ab das Schloß aus Bronze,

Tu auf die Tür zu dem verborgnen Schatz,

Die Tafel lies aus Lapislazuli,

Wie Gilgamesch durch alle Drangsal ging!

Er ist der König aller Könige

Und hochgerühmt für seine große Schönheit!

O Held von Uruk! O du wilder Stier!

Er geht voran, er ist der Allererste,

Geht hinterher, die Stütze seiner Brüder!

Ein Fangnetz er, ein Schirm der Heeresscharen,

Wie Wasserflut, die Mauern zu zerstören,

Ist er, der Sohn des Vaters Lugulbanda,

Er, Gilgamesch, vollkommen in der Kraft,

Kind der erhabnen Mutter Rimat-Ninsun!

Der Wildstier Gilgamesch, vollkommen, kraftvoll,

Gebieterisch gebietet er die Ehrfurcht,

Er fand den Weg durch das Gebirge, trank

Aus der Zisterne an dem Steppensaum,

Fuhr durch die See zum Meer der Morgenröte,

Der Erde Ende fasste er ins Auge

Und suchte überall das ew’ge Leben!

Er kam zum heiligen Utnapischtim,

Vernichtete die Sündflut, baute Städte.

Bei den umwölkten Menschen war nicht Einer,

Der sich vergleichen könnte solchem König,

Der herrlich wär wie König Gilgamesch.

Seit jenem Tag, da er geboren wurde,

Sein Name ist voll Ruhm und Herrlichkeit.

Zwei Drittel sind an ihm von Gottes Art,

Ein Drittel ist an ihm des Menschen Art!

Den Körper machte ihm die Muttergöttin,

Sie machte seine prächtige Gestalt.

In Uruks Hürden wandelt er umher,

Er schreitet voller Stärke wie ein Wildstier.

Er hatte nirgends einen Nebenbuhler,

Wenn er bewaffnet aufbrach in den Kampf,

Er trommelt, so marschieren die Genossen,

Die Männer Uruks regten oft sich auf

Und lästerten des Königs Willkürherrschaft:

Der König lässt zum Vater nicht den Sohn!

Er bäumt sich auf am Tag und in der Nacht,

Der Hirte Uruk-Garts ist Gilgamesch,

Ist übermächtig, herrlich, wahrlich weise!

Die Jungfrau lässt der König nicht zum Freier!

Die Heldentochter lässt er nicht zum Freier

Und die Gespons nicht zu dem Anvertrauten!

Die Klagen hörten oft die großen Götter,

Die Götter riefen an den Himmelsgott:

Erschufest du nicht diesen starken Wildstier?

Er hat doch nirgends einen Nebenbuhler,

Wenn er bewaffnet aufbricht in den Kampf,

Er trommelt, so marschieren die Genossen.

Zum Vater lässt der König nicht den Sohn!

Wie wild ist er am Tag und in der Nacht,

Der Hirte Uruk-Garts ist Gilgamesch,

Ihr Hirte, aber auch ihr Unterdrücker.

Ja, er ist übermächtig, herrlich, weise!

Der König lässt die Jungfrau nicht zum Freier,

Die Heldentochter nicht zu ihrem Freier

Und die Gespons nicht zu dem Anvertrauten!

Die Klagen hörte an der Himmelsgott.

Man rief herbei die Große Muttergöttin:

Du hast erschaffen, Große Muttergöttin,

Wie dir gebot der Himmelsgott, der Vater,

Nun schaffe wieder, was der Herr gebietet,

Schaff einen Andern, ähnlich Gilgamesch,

Dem König gleich an Ungestüm des Herzens!



ZWEITER GESANG


Kaum hörte dies die Große Muttergöttin,

Schuf sie im Herzen, was der Herr geboten,

Die Muttergöttin wusch sich ihre Hände

Und kniff sich Lehm ab, warf ihn draußen hin,

Da schuf sie Enkidu, den starken Helden,

Den Sohn der Nacht, die Stärke von der Mutter,

Bepelzt mit rotem Haar am ganzen Leib,

Mit langem Haar versehen wie ein Weib,

Das Haar wächst ihm wie der Getreidegöttin.

Auch kennt er nicht das Land und nicht die Leute,

Gekleidet ist er wie der Gott der Tiere.

So frisst mit den Gazellen er das Gras,

So drängt er mit dem Wilde an die Tränke,

Ward wohl ihm wie dem Wilde an dem Wasser.

Auf ihn stieß gegenüber nun der Tränke

Ein Jäger, der ein Mann war der Gewalt,

Er sah ihn einen Tag und einen zweiten

Und dritten gegenüber jener Tränke,

Da wurde regungslos des Jägers Antlitz,

Mit seinen Tieren trat er in sein Haus,

Erregt, erstarrte er und wurde stumm,

Verstört sein Herz, umwölkt sein Angesicht.

Der Jäger tat den Mund zum Reden auf

Und sprach zu seinem Vater: O mein Vater,

Ein Mann gekommen ist vom Steppenland,

Der Stärkste er im Lande, voller Kraft,

Wie Gottes Burg gewaltig seine Stärke,

Er streift beständig durch das Steppenland

Und immer frisst er mit dem Wild das Gras

Und immer weilt sein Fuß am Wasserloch,

Da mochte ich vor Furcht mich ihm nicht nahen.

Die Gruben, die ich grub, die füllte er,

Die Netze, die ich spann, er riß sie aus,

Entrinnen ließ er meiner Hand das Wild

Und alles das Getier des Steppenlandes.

So nicht gelingt das Werk mir in der Steppe.

Da tat der Vater auf den Mund zum Reden

Und sprach zum Jäger: Wisse, o mein Sohn,

In Uruk wohnt der König Gilgamesch,

Kein Mensch lebt, der ihn überwinden kann,

Wie Gottes Burg ist seine Kraft und Stärke.

Auf diesen König richte du dein Antlitz,

Ihm bringe Kunde von dem wilden Menschen!

Es leihe dir der König eine Hure!

Die Hure führe in das Steppenland!

Das Weib soll überwinden dort den Mann!

Dann wenn das Wild heran kommt an die Tränke,

Die Hure lege ihre Kleider ab,

Er schwelge in der Liebeslust der Hure!

Wenn er sie sieht, wird er gewiß ihr nahen,

Dann werden untreu ihm die wilden Tiere,

Die lange mit ihm lebten in der Steppe.

Auf seines Vaters Rat brach auf der Jäger,

Der Jäger ging direkt zu Gilgamesch,

Er nahm den Weg, er stand in Uruks Mitte:

O höre mich, o Gilgamesch, gib Rat!

Ein Mann gekommen ist vom Steppenland,

Der Stärkste er, Besitzer großer Kraft,

Wie Gottes Burg gewaltig seine Macht,

Beständig streift er durch das Land der Steppe,

Dort frisst er mit den wilden Tieren Gras

Und immer weilt sein Fuß am Wasserloch,

Vor Furcht vermochte ich ihm nicht zu nahen.

Die Gruben, die ich grub, er füllte sie,

Die Netze, die ich spann, er riß sie aus,

Entrinnen lässt er meiner Hand das Wild

Und alle Tiere aus dem Steppenland.

So mir gelingt mein Werk nicht in der Steppe.

Und Gilgamesch antwortete dem Jäger:
Geh, Jäger, nimm du mit dir eine Hure!

Wenn dann das Wild herankommt an die Tränke,

Dann lege ihre Kleider ab die Hure,

Enthülle ihre Wollust dann die Hure!

Wenn er sie sieht, gewiß wird er ihr nahen,

Dann werden untreu ihm die wilden Tiere,

Die lange mit ihm lebten in der Steppe.

So nahm der Jäger mit sich eine Hure,

Die rechte Straße wählten sie, den Weg,

Am dritten Tage kamen sie zum Ort,

Wo sich versteckt der Jäger mit der Hure.

Den ersten Tag, den zweiten Tag sie saßen

Am Wasserloch, es kam das Wild und trank,

Die Tiere fanden Wohlsein an dem Wasser.

Und Enkidu, geboren in der Steppe,

Er aß mit den Gazellen auch das Gras,

Er trank mit wilden Tieren an der Tränke,

Fand Wohlsein an dem Wasser mit dem Wild.



DRITTER GESANG


Ihn sah die Hure, diesen wilden Menschen,

Den Würger aus dem Inneren der Steppe.

Das ist er, Hure, nun entblöß die Brüste!

Den Schoß tu auf, dass er sich Wonne hole!

Du sei nicht scheu, nimm seinen Atemstoß!

Sieht er dich erst, wird er gewiß dir nahen.

Du lege deine Kleider auf die Erde,

Daß sich der Wildmensch auf der Hure bette!

Dem wilden Menschen schaff das Werk des Weibes!

Dann werden untreu ihm die wilden Tiere,

Die lange mit ihm lebten in der Steppe,

Wenn über dir er raunt sein Liebeswerk!

Da machte ihre Brüste frei die Hure,

Da tat sie auf den Schoß, er nahm die Wonne,

Sie war nicht scheu, nahm seinen Atemstoß,

Sie breitete die Kleider auf der Erde,

Daß sich der Wildmensch auf der Hure bette,

Sie schaffte ihm, dem Mann, das Werk des Weibes,

Er raunte über ihr sein Liebeswerk!

Sechs Tage, sieben Nächte liebten sie,

Der wilde Enkidu beschlief die Hure.

Als satt er war vom liebenden Genuss,

Da richtet er sein Antlitz auf das Wild.

Doch da das Wild den wilden Menschen sah,

Da flohen fort die hüpfenden Gazellen,

Da wich von Enkidu das Wild der Steppe.

Sie sprangen hoch an seinem reinen Leib,

Ihm zitterten die Knie, das Wild entfloh.

Nun Enkidu ging nicht mehr wie zuvor.

Er wuchs, sein Sinn ward weit, er wendet

Sich um und setzt sich zu der Hure Füßen

Und sah ins schöne Angesicht der Hure

Und seine Ohren lauschten ihrer Rede,

Die Hure also sprach zu Enkidu:

Du, Enkidu, bist weise wie ein Gott!

Was läufst du durch die Steppe mit den Tieren?

Ich bringe dich hinein nach Uruk-Gart,

Ich bringe dich zum herrlichschönen Tempel

Des Vaters und der Himmelskönigin!

Dort ist auch Gilgamesch, vollkommen stark,

Ein Wildstier, überragend seine Kraft,

Erprobt die Stärke dort an seinen Männern.

Da so die Hure sprach zu Enkidu,

Fand ihre Rede Beifall bei dem Mann.

Der Kluggesinnte suchte einen Freund!

Und Enkidu sprach also zu der Hure:

Komm, schöne Hure, lade du mich ein

Und führe mich zum herrlichschönen Tempel

Des Vaters und der Himmelskönigin,

Wo Gilgamesch vollkommen ist an Stärke,

Ein Wildstier, überragend seine Kraft,

Wo er die Kraft erprobt an seinen Männern.

Den Fehdehandschuh werfe ich ihm zu,

Es tobe wütend dann der Kampf der Männer.

Ich will mich rühmen dann in Uruk-Gart:
Der Allgewaltigste ist Enkidu!

Ich komme und ich ändere das Schicksal,

Geboren in der Steppe, hab ich Kraft!

Die schöne Hure sprach: Komm, laß uns gehen,

Laß anschaun uns das Antlitz Gilgameschs,

Ich zeige dir den König Gilgamesch,

Denn wo der König ist, das weiß ich wohl,

Er wohnt in Uruk-Gart, o Enkidu,

Die Männer sind gegürtet dort mit Gürteln,

Dort täglich feiert man ein Freudenfest,

Erdröhnen lässt man Trommeln dort und Pauken

Und da sind Huren, wie es sich gehört,

Geschaffen schön, wie Huren schön sein müssen,

Die Fülle ihrer Brüste überreich,

Sind voll sie von der Liebeswonne Jauchzen!

Des Nachts auf Betten liegen weiche Decken.

Du, Enkidu, du kennst das Leben nicht,

Ich zeige dir den König Gilgamesch,

Ihn, der so ungleich allen andern Männern.

Du schaue an des Königs Angesicht,

Ein schöner Mann, ein würdevoller Mann,

An Stärke überreich am ganzen Leibe,

Der mehr der Kraft besitzt als du, mein Freund,

Bei Tag und Nacht ist ruhelos der König.

Du, Enkidu, gib deine Unart auf!

Schau, Gilgamesch, der Gott erweist ihm Liebe,

Die Götter haben ihm den Sinn geweitet.

Bevor du aus dem Steppenland gekommen,

Sah Gilgamesch dich schon in einem Traum.

Und Gilgamesch erzählte diesen Traum

Und sprach zu seiner Mutter Rimat-Ninsun:
O Mami! In dem Traum der letzten Nacht

Ging ich voll Kraft inmitten meiner Männer,

Da sah ich über mir die Himmelssterne,

Da fiel herab der Donnerhammer Gottes,

Ich wollt ihn heben, doch er war zu schwer,

Bewegen wollt ich ihn und konnt es nicht.

Da sammelten sich alle Männer Uruks,

Den Donnerhammer Gottes küssten sie.

Da lehnte ich mich an den Donnerhammer,

Die Männer Uruks standen um mich her,

Da hob ich auf den Donnerhammer Gottes

Und brachte ihn zu dir, o liebste Mami.

Die weise Mutter sprach zu Gilgamesch:
O Gilgamesch, geboren wurde Einer

Im Steppenlande, der dir ähnlich ist,

Wenn du ihn siehst, so wirst du Freude haben.

Die Männer werden ihn mit Ehrfurcht küssen,

Umarmen wirst du ihn und zu mir bringen.

Das ist der starke Bruder Enkidu,

Genosse, der dem Freund hilft in der Not.

Der Stärkste ist er in dem Land, voll Kraft,

Wie Gottes Burg gewaltig seine Macht.

Du raunst noch über ihm wie über Weibern,

Er aber wird dich immer wieder retten.

Da legte König Gilgamesch sich schlafen

Und wieder träumte nachts er einen Traum,

Dann stand er auf und sprach zu seiner Mutter:
O Mami! Wieder habe ich geträumt,

Ich schaute eine Axt auf Uruks Marktplatz,

Die Männer sammelten sich um die Axt,

Unheimlich war das Aussehn dieser Axt,

Doch da ich sie erblickte, ward ich fröhlich,

Ich raunte über ihr wie über Weibern,

Gewann sie lieb und legte sie mir an.

Da sprach die weise Mutter zu dem Sohn,

Die aller Weisheit kundig war, die Mutter:

Die Axt, die du gesehen, ist ein Mann,

Du raunst noch über ihm wie über Weibern,

Gewinnst ihn lieb, er wird dir ähnlich sein,

Ich nehm ihn an als meinen andern Sohn,

Ein Freund ist er, der beisteht in der Not,

Wie Gottes Burg gewaltig seine Kraft.

Und Gilgamesch sprach zu der weisen Mutter:
Nach dem Gebot des Herrn geschah es so,

Gewinnen soll ich einen Freund und Bruder,

Der mir Berater ist und treuer Vater!

O Mami, du hast meinen Traum gedeutet.



VIERTER GESANG


Und Enkidu saß vor der schönen Hure,

Einander sie umschmeichelnd sich mit Süße,

Und Enkidu vergaß das Steppenland,

Den öden Ort, wo er geboren war.

Er hörte ihre Rede, ihre Worte,

Des Weibes Ratschlag fiel ihm süß ins Herz

Und ihr Gewand zog sie sehr kunstreich aus

Und zog ihm an ihr schönes reines Kleid

Und trug auch noch ein Kleidchen an dem Leib.

Sie nahm ihn an der Hand, wie einen Gott

Zu führen ihn zum Tisch des Herrn und Hirten,

Und um ihn scharten sich die frommen Hirten.

Und Enkidu war im Gebirg daheim

Und speiste mit Gazellen grünes Gras.

Er saugte auch die Milch der Muttertiere.

Die Hirten setzten ihm die Speise vor,

Er sah, er wusste nicht das Brot zu essen

Und wusste nicht den roten Wein zu trinken!

Da tat die schöne Hure auf den Mund,

Die schöne Hure sprach zu Enkidu:

Iß Brot, o Enkidu, das spendet Leben,

Trink von dem Kelch, so ist es Brauch im Lande!

Und Enkidu aß Brot, bis er gesättigt,

Trank sieben Becher Wein, bis er betrunken!

Da wurde frei sein Inneres und heiter,

Frohlockend jauchzte ihm erfrischt das Herz!

Sein Antlitz strahlte auf vor großer Wonne!

Mit reinem Wasser wusch er seinen Leib

Und salbte sich mit Öl und ward ein Mensch,

Zog ein Gewand an wie es Männer tragen.

Die Waffe nahm er, kämpfte gegen Löwen,

Erschlug den Wolf, verjagte junge Füchse.

Die alten Hüter ruhten. Enkidu

Geworden war zum Wächter, wachen Mann.

Der Wollust-Wonne gab er ganz sich hin!

Er hob die Augen, schaute einen Mann,

Zur schönen Hure sagte Enkidu:
O schöne Hure, schick den Menschen fort!

Warum ist er gekommen und wie heißt er?

Die schöne Hure sprach zu jenem Mann:
O Mann, was tust du? Wem gilt deine Mühsal?

Da sprach der Mann dies Wort zu Enkidu:

Zum Hochzeitshause bin ich eingeladen,

Der König hat das Recht der Ersten Nacht!

Ich häufte auf den Tisch das Festtagsmahl

Des köstlichsten Gerichts im Hochzeitshaus.

Dem König mit dem Recht der Ersten Nacht

Gehoben ist der Vorhang von dem Bett!

Die Frauen, welche Ehefrauen werden,

Beschläft der König in der Ersten Nacht,

Der König erst, und dann der Ehemann.

Der Rat des Gottes stiftete die Ordnung,

Im Mutterschoße schon ward ich berufen,

Zu sein der Frauen allererster Freier.

So sprach der Mann. Sein Antlitz wurde blass.

Nun wandelt Enkidu, die Hure mit ihm,

Sie kommen auf den Markt von Uruk-Gart,

Da scharte um ihn sich das Bürgertum,

Die Leute sprachen über Enkidu:
Der ist gebaut wie König Gilgamesch,

Ist kleiner zwar und doch gewaltig stark.

Als er geboren ward, aß er vielleicht

Des Frühlings grüne Kräuter und Gemüse

Und saugte an der Mutterbrust der Tiere.

In Uruk fanden täglich Opfer statt,

Da reinigten sich von dem Schmutz die Männer,

Wie Knaben küssten sie des Königs Füße.

Hier ist die goldne Leier für den Mann,

Des Angesicht schaut so gelassen drein.

Dem König bringt man Gottes Opfergabe.

Der Göttin ist das Lager schon bereitet –

Der König steigt zur Göttin in das Bett...




FÜNFTER GESANG


Den Schmutz wusch ab der König Gilgamesch,

Dann reinigte er seine Waffenrüstung,

Die Haare warf er sich auf seinen Rücken

Und zog sich die beschmutzten Kleider aus

Und zog sich neue saubre Kleider an,

Den Gürtel legt er an und seinen Mantel.

Als Gilgamesch den Turban aufgesetzt,

Erhob zu Gilgameschs gesalbter Schönheit

Der Augen Glanz die Himmelskönigin!

Komm, Gilgamesch, du sollst mein Gatte sein!

So schenke du mir deiner Liebe Fülle!

Du sollst mein Mann sein, ich will deine Frau sein!

Bespannen lasse ich dir einen Wagen

Von reinem Gold und Lapislazuli,

Mit goldnen Rädern und dem Horn von Mondstein!

Maulesel spann ich vor wie Wetterstürme!

Betritt nur unser grünes Zedernhaus!

Beim Eintritt dein in unser Zedernhaus

Der Sessel soll dir deine Füße küssen!

Dann knieen vor dir Könige und Fürsten,

Der Libanon soll dir Tribut entrichten,

Es werfen dir die Zicken Zwillingszicklein,

Das Mutterschäfchen dir ein liebes Lamm!

Dein starker Esel holt die Stute ein!

Dein Roß vorm Wagen ist ein schneller Hengst!

Dein Rind im Joch hat keines, das ihm gleicht!

Und Gilgamesch tat auf den Mund zur Rede

Und sprach zur jungen Himmelskönigin:

Was soll ich geben dir, wenn ich dich nehme?

Brauchst du für deinen Kopf geweihte Salbe,

Brauchst du für deinen Körper weiße Kleider?

Fehlt etwa Brot dir oder andre Speise?

Ich habe wahrlich eine Götterspeise

Und manchen Trank, der eines Fürsten würdig!

Jedoch warum? Du stehe an der Straße

Und hülle dich in einen feinen Schleier,

Dann nimmt dich jeder Mann, der dich begehrt!

Ein Feuerofen bist du, der das Eis schmilzt,

Bist offne Tür, da bläst herein der Wind,

Palast bist du, der da zerstört den Helden,

Ein Elefant, der abreißt seine Decke,

Ein Wasserschlauch, der jeden Mann durchnässt,

Ein Jaspis, der die Feinde lockt ins Land,

Ein enger Schuh, der drückt des Mannes Fuß!

Wen deiner Freier wirst du ewig lieben?

Wen deiner Racker, die du aufgenommen?

Wohlan, ich nenn dir deine Vielgeliebten!

Den Lenzgott, den Geliebten deiner Jugend,

Den lässt du jedes Jahr im Kulte weinen.

Die Nachtigall, da du das Vöglein liebtest,

Die Nachtigall zerbrach sich ihre Flügel

Und weint nun in dem Wald: Weh, meine Flügel!

Den Löwen liebtest du, den kraftvollkommnen,

Du fingest ihn in sieben Gruben schließlich.

Dann liebtest du das Ross, den Schlachtenrenner,

Hast ihm nur Peitschenschnur und Sporn bestimmt,

Der Renner musste sieben Stunden rennen

Und aufgewühlte Wasserpfützen saufen

Und seiner Mutter schenktest du nur Tränen.

Da du den Hirten liebtest, den Behüter,

Der immer Aschenkuchen aufgeschichtet

Und täglich eine Zicke dir geschlachtet,

Da hast du ihn in einen Wolf verwandelt,

Die eignen Knaben haben ihn verjagt

Und Hunde bissen ihm in seine Waden.

Dann liebtest du den Bruder Palmengärtner,

Der ständig Körbe dir voll Feigen brachte,

Der täglich schmückte deinen Mittagstisch,

Und da erhobest du zu ihm die Augen:
Mein Gärtner, lass genießen deine Kraft!

Mein Gärtner, strecke deine Rechte aus

Und fasse liebevoll an Unsre Scham!

Der Palmengärtner aber sprach zu dir:

Was willst du eigentlich von mir, o Herrin?

Hat meine Mutter Kuchen nicht gebacken

Und habe ich den Kuchen nicht gegessen,

Den Feigenkuchen und Rosinenkuchen?

Muß ich mein Brot nun essen unter Flüchen

Und nur mit Hanf bedecken meine Blöße?

Da du die Rede hörtest, Königin,

Da ließest du ihn leben in der Trübsal.

Nicht reicht sein Eimer in des Brunnens Tiefe.

Wenn du mich liebst, machst du mich ihnen gleich!

Die Himmelskönigin vernahm die Worte,

Im Zorne fuhr die Königin gen Himmel

Und eilte zu dem Vater in den Himmeln.

Da weint vor Gott die Himmelskönigin:
Gott Vater! Gilgamesch hat mich beleidigt,

Beschimpft hat er die Königin, verschmäht!

Gott Vater öffnete den Mund zum Wort

Und sprach zur jungen Himmelskönigin:
O Tochter! Sicher reiztest du den König,

Drum hat er dich beschimpft und dich verschmäht.

Die Himmelskönigin tat auf den Mund

Und sprach zu Gott, dem Vater in den Himmeln:
O Vater! Gib du mir den Goldnen Stier,

Der Goldne Stier ermorde Gilgamesch!

Willst du mir geben nicht den Goldnen Stier,

Zerschlage ich der Hölle breite Pforte,

Dann sind mehr Tote da als Lebende!

Dann lasse ich die Toten auferstehen!

Gott Vater tat den Mund zum Worte auf

Und sprach zur jungen Himmelskönigin:
Wenn du begehrst von mir den Goldnen Stier,

Dann gibt’s für Uruk sieben magre Jahre,

Getreide muß ich sammeln für die Menschen

Und wachsen lassen Weidegras den Herden.

Die Himmelskönigin tat auf den Mund

Und sprach zu Gott, dem Vater in den Himmeln:

O Herr! Getreide sammle ich den Menschen

Und lasse wachsen Weidegras den Herden,

Ich mach sie satt in sieben magern Jahren!

Als Gott vernahm die Himmelskönigin,

Da gab der Vater ihr den Goldnen Stier.

Sie führte ihn hinab zu Mutter Erde,

So kam der Goldne Stier nach Uruk-Gart.



SECHSTER GESANG


Fern in der Einsamkeit des Meeres wohnte

Siduri, eine wunderschöne Schenkin.

Sie hatte einen Kelch von reinem Gold,

Als Hülle trug sie reinste Duftgewänder.

Umhergetrieben irrte Gilgamesch

Und kam zur fernen Einsamkeit des Meeres.

Als Kleidung trug er Fell von wilden Tieren,

Was ihn ernährte, war das Götterfleisch.

Doch Schmerz und Trauer war in seiner Seele,

Sein Antlitz wie das Antlitz eines Pilgers.

Die Schenkin schaute in die Ferne aus,

Bedachte alles still in ihrem Herzen,

Ging mit sich selbst zu Rate, sprach die Worte:
Vielleicht ist dieser Mensch ein Menschenmörder?

Wo will er hin? Was wählt er sich zum Ziel?

Die Schenkin schaute König Gilgamesch,

Verriegelte die Pforte ihrer Wohnung,

Die Pforte sie verschloss mit hartem Riegel.

Doch Gilgamesch vernahm der Schenkin Stimme

Und achtete auf alle ihre Worte

Und richtete der Augen Strahl auf sie

Und König Gilgamesch sprach zu der Schenkin:

Was schautest du, dass du die Tür verschlossest,

Verriegeltest die Pforte mit dem Riegel?

Den Riegel brech ich auf! Tu auf die Pforte!

Zur Schenkin sagte König Gilgamesch:
Erschlagen habe ich den Goldnen Stier,

Erschlug den Drachen aus dem Zedernwald,

Vertrieben habe ich die Steppenwölfe!

Die Schenkin sprach zu König Gilgamesch:

Bist du der hochberühmte Gilgamesch,

Der da erschlagen hat den Goldnen Stier,

Erschlug den Drachen aus dem Zedernwald

Und Steppenwölfe ausgetrieben hat?

Was sind so dunkel deine Augenränder?

Warum ist denn dein Herz so voller Kummer?
Warum ist welk vor Alter denn dein Antlitz?

Warum in deiner Seele solche Schwermut?

Dein Antlitz ist das Antlitz eines Pilgers,

Verbrannt von Sonnenhitze deine Haut.

Sag, warum irrst du durch der Öde Mitte?

Da sagte König Gilgamesch zur Schenkin:

Mein Bruder, den ich über alles liebte,

Der mit mir pilgerte durch alle Drangsal,

Freund Enkidu, den ich so sehr geliebt,

Der mit mir trug die dunkle Nacht der Trübsal,

Er ging hinab die Straße alles Fleisches!

Ich weinte Tag und Nacht um meinen Bruder,

Ich wollt den Bruder nicht begraben lassen,

Vielleicht kehrt er doch noch zurück ins Leben?

Sechs Tage weinte ich und sieben Nächte,

Bis Schwester Wurm zerfressen seinen Körper.

Seit er gestorben, ist es um mich Nacht.

Seit jenem Tag des Todes meines Bruders

Bin ich ein Pilger zur Unsterblichkeit!

So irr ich wie ein Räuber durch die Wüste.

Nun, Schenkin, schaue ich dein schönes Antlitz,

Nun möchte ich den Tod noch nicht erblicken.

Die Schenkin sprach zu König Gilgamesch:
Wo, Gilgamesch, ist deines Weges Ziel?

Wo willst du die Unsterblichkeit denn finden?

Als Himmelsgötter einst die Menschheit schufen,

Da ward der Menschheit Schicksal auch der Tod.

Nur Götter haben Leben in sich selber.

Ach, König Gilgamesch, iss fettes Fleisch,

Ergötze dich am Tag und in der Nacht,

Ein Freudenfest sollst allezeit du feiern

Und freu an Tänzen dich bei Tag und Nacht

Und spiele Kinderspiele, Saitenspiele,

Laß immer sauber deine Kleider sein

Und stets gewaschen und gesalbt dein Haupt

Und bade deinen Leib in frischem Wasser,

Sei fröhlich, hält dein Knabe deine Hand!

Ein junges Weib auf deinem Schoße liege!

Das ist die Seligkeit, die menschenmöglich.



SIEBENTER GESANG


Ach, hätte ich gelassen doch die Trommel

Im Hause jenes guten Zimmermannes!

Des guten Zimmermannes liebe Frau,

Sie wäre meine eignen Mutter gleich!

Des Zimmermannes Sohn wär dann mein Bruder!

Die Trommel ist gefallen in die Erde,

Die Trommelstöcke fielen in die Erde!

Zu König Gilgamesch sprach Enkidu:

Freund, warum ist dein Herz so voller Schmerzen?

Die Trommel will ich aus der Erde holen,

Die Trommelstöcke aus dem Totenreich!

Sprach König Gilgamesch zu Enkidu:
Steigst du herunter in das Totenreich,

Dann nimm du meine Weisung dir zu Herzen:
Ein reines weißes Linnen zieh nicht an,

Denn sonst erkennen sie dich dort als Fremden,

Und salbe dich nicht mit geweihtem Salböl,

Sie riechen sonst, dass du Geweihter bist,

Nimm nicht den Hirtenstab in deine Hand,

Vorm Hirtenstab erzittern Totengeister,

Geh du nur barfuß in das Totenreich!

Und küsse nicht das Weibchen, das du liebst!

Und schlage nicht das Weibchen, das du hasst!

Und küsse nicht das Söhnchen, das du liebst!

Und schlage nicht das Söhnchen, das du hasst!

Dort ruht die Mutterkönigin der Toten,

Die weiße Schulter unbedeckt vom Hemd,

Die Brüste sind perfekte Marmorkugeln,

Die Brust der Totenkönigin ist nackt!

Doch Enkidu der Weisung folgte nicht,

Er zog sich an ein reines weißes Linnen,

Er salbte sich und nahm den Hirtenstab,

Die Totengeister zitterten vor ihm!

Das Weibchen, das er liebte, küsste er!

Das Weibchen, das er hasste, jene schlug er!

Das Söhnchen, das er liebte, küsste er!

Das Söhnchen, das er hasste, jenes schlug er!

Voll Ruhe dort die Königin der Toten

Bedeckte nicht die schöne weiße Schulter,

Entblößte der perfekten Brüste Wollust!