Eine Tragödie
Von Josef Maria Mayer
ERSTE SZENE
(Die Familie des Vaters Gilead. Gileads Leichenschmaus. Gileads Gattin, ihre Söhne, und Jephtah.)
FRAU GILEAD
Nun tot mein Gatte, der Vergötterte,
Nun seine Asche ruht in goldner Urne,
Gedenken wollen wir nicht mehr des Todes,
Denn tot die Toten sind in Ewigkeit,
Wir aber leben auf der Mutter Erde.
Wenn ich auch sterbe, wenn ich bald auch tot bin,
Zerflattert ja mein Geist ins leere Nichts.
Drum, weil wir leben, weil wir morgen tot sind,
Drum lasst uns heute Rosenblüten pflücken
Und Kränze uns von roten Nelken winden
Und lasst uns, wenn der Lenz zurück kommt, tanzen,
Und trinken lasst uns nur den besten Wein!
ERSTER SOHN GILEADS
Wenn wir schon sterben und zur Hölle fahren,
So wollen wir zumindest doch auf Erden
Nicht Essig saufen, sondern Traubenblut!
Ein jeder Tag ist kostbar, viel zu kostbar
Das kurze Leben, um es zu verschandeln
Mit schlechtem Wein. Man trinkt nicht in der Hölle,
Drum lasst uns trinken, trinken hier auf Erden!
ZWEITER SOHN GILEADS
Was Vater Gilead uns hinterließ,
Verkaufen wir dem Krämer Kanaans,
Dann bleibt uns in der harten Schekel-Währung
Ein Erbteil unausrottbar. Unser Erbe
Beträgt so etwa tausend Silberschekel,
Ein Drittel für die Gattin Gileads,
Ein Drittel für den ersten Sohn der Gattin,
Ein Drittel für den andern Sohn der Gattin.
ERSTER SOHN GILEADS
Du, Jephtah, was willst du von deinem Vater
Empfangen als ein Erbe, Sohn der Hure?
JEPHTAH
Vom Vater will ich nichts als nur den Glauben.
ERSTER SOHN
Den Glauben! Dafür kannst du dir nichts kaufen!
JEPHTAH
Doch wenn ich glaube an den Gott Jehowah,
Dann kauft er mich dereinst vom Tode los.
FRAU GILEADS
Du Sohn der Hure, ungezogner Bastard!
Ist’s wahr und gibt’s ein göttliches Gericht,
Verklagst du vorm Gericht des Totenrichters
Und der Dämonen-Schöffen deinen Vater,
Denn du erinnerst an den Ehebruch
Und an die Unzucht mit der Tempelhure!
ERSTER SOHN
Da unser Vater in der Erde liegt,
Was suchst du noch in unserer Familie?
Geh, unsre Mutter ist nicht deine Mutter!
ZWEITER SOHN
Verwandt sind unter sich der Mutter Kinder,
Ein Bastard aber und ein Hurensohn
Ist nicht willkommen in der edlen Sippe.
FRAU GILEADS
Nein, du bist nicht mein Sohn, du Sohn der Hure,
Ich dulde dich nicht länger hier im Haus,
Aus meinen Augen, deines Vaters Schandfleck!
JEPHTAH
Als Gott Jehowah sprach zu Abraham:
Geh fort aus deiner Heimat, deiner Sippe,
Da folgte Abraham gehorsam gleich,
Er wusste nicht, wohin der Weg ihn führt,
Doch wusste er, dass ihn Jehowah führte.
So geh auch ich von eurer Sippschaft fort,
Gott führe mich ins Land von Milch und Honig,
Gott segne mich mit Huld von Brust und Schoß!
(Jephtah ab.)
FRAU GILEADS
Der war ja nicht von uns. Den sind wir los.
Nun lasst uns aber essen, lasst uns trinken!
(Bote tritt herein, hastig atmend.)
BOTE
Ihr Söhne Israels, der Krieg brach aus,
Die Ammoniter fingen an den Krieg
Und Israel muß zu den Waffen greifen!
Ihr Söhne Israels, zieht in den Krieg!
Die Juden aber brauchen einen Führer
Und darum komme ich in euer Haus,
Jehowah will berufen euern Jephtah
Zum Juden-Führer von Jehowahs Gnaden!
(Alle schweigen erschrocken.)
ZWEITE SZENE
(Freies Feld.)
DIE ÄLTESTEN
Nun Ammons König eingefallen ist
In unser Land, das uns der Herr gegeben,
Da kann sich Israel nicht wehren, weil
Zerstreut sind unsre Stämme, unsre Scharen.
Ist heilig Juda mit Jerusalem
Und Benjamin mit ihm, der kleine Liebling!
Doch abgespalten ist die schöne Tirza
Und Josefs Söhne Ephraim, Manasse.
Wenn wir nur einig wären, glaubten wir
An Einen Gott, Ein Reich und Einen Glauben,
Vereint im Glauben an den wahren Gott,
Vereinigt in der Lehre wahren Glaubens!
Doch unsres Volkes Spaltung macht uns schwach,
Da ringsumher sich sammeln Heidenvölker,
Da uns bedrängt die wilde Tochter Moab
Und Edom uns bedrängt, der Sohn von Esau,
Und Amoriterinnen, Amoriter
Bedrängen uns mit ihren vielen Göttern
Und ihren vielen Göttinnen der Heiden!
Und nun zuletzt kommt noch der König Ammon!
Wer aber wird die auserwählten Stämme
Vereinigen und Führer sein der Juden?
Wir bitten Jephtah, Sohn des Gilead,
Des auserwählten Gottesvolkes Retter
Und Richter in Gerechtigkeit zu sein!
(Sie treten vor Jephtah, der auf einem Felsblock wie auf einem Thronsessel sitzt.)
Heil Führer Israels, des Volkes Gottes!
JEPHTAH
Ihr wisst, dass meine Brüder mich verjagten,
Stiefmütterlich die Gattin meines Vaters
Verjagte mich aus meines Vaters Hause.
DIE ÄLTESTEN
Wir kennen alle deine Leiden, Jephtah.
JEPHTAH
Wo ich geredet hab, da hörte keiner,
Mich lehnten alle ab und hassten mich!
Ich war der Letzte in der ganzen Welt,
Ein toter Hund, ein Wurm und eine Motte!
Wenn andere zu Gott gebetet haben,
So hörte Gott auf alle ihre Wünsche
Und eilte, ihre Wünsche zu erfüllen.
Wenn aber ich zu Gott gebetet habe,
Verstopfte sich Jehowah seine Ohren!
Mein Beten drang nicht durch die Wolkendecke!
Vielmehr die Wolkendecke schwarzer Trauer
Hing also niedrig über dieser Erde,
Daß ich gebückt einher ging, schlich gekrümmt!
Ich flehte Gott um seine Gnade an,
Und welche Gnade schenkte mir der Herr?
Daß Satan mich mit Fäusten prügelte,
Mich prügelte, bis mir der Atem ausblieb,
Daß ich nur heulen konnte vor Jehowah
Und schrie und hörte meiner Schreie Echo:
Ah Gott, was tust du meiner Seele an!
DIE ÄLTESTEN
Der Auserwählten Zeichen ist das Leiden.
JEPHTAH
Ich fürchte mich vor Gottes großer Gnade,
Wenn seine Gnade solches Leid bedeutet!
Da wär ich lieber unbegnadet fröhlich,
Als auserwählt und so zu Tod gemartert!
DIE ÄLTESTEN
Schau auf die Ewigkeit bei Gott dem Herrn!
Denn so spricht Gott der Herr: Mein lieber Sohn,
Weil du auf Erden warst der Allerletzte,
Sollst du den ersten Platz im Himmel haben!
JEPHTAH
Ihr wisst zu trösten, meine weisen Alten.
DIE ÄLTESTEN
Nun, auserwählter Liebling unsres Gottes,
Komm, sei der Führer du des Judenvolkes,
Sei Richter in Gerechtigkeit des Herrn
Und rette Israel, das Volk Jehowahs,
Befrei uns von den Feinden, von den Heiden!
JEPHTAH
Ich soll der Führer sein von Israel?
DIE ÄLTESTEN
Der Geist des Heiligen hat dies beschlossen.
JEPHTAH
O Gott, mein Herr, laß dieses Richterschwert
An meinem Haupt vorübergehn! Erbarmen!
Dein Wille aber soll geschehen, Herr!
DRITTE SZENE
(Jephtah und der König von Ammon in Kriegsrüstung stehen einander zur diplomatischen Verhandlung gegenüber.)
JEPHTAH
Warum seid ihr in unser Land gekommen
Und streitet gegen Gottes Israel?
KÖNIG
Als Israel geflohen aus Ägypten,
Geflohen aus der Knechtschaft Feuerofen,
Da habt ihr unser Land von uns genommen.
Wir lebten hier zuerst im Jordanland
Und dienten alle Morgen, alle Abend
Gott Kemosch. Kemosch ist der wahre Gott
Und Ammon ist sein auserwähltes Volk!
JEPHTAH
So laß uns weiter keine Kriege führen.
Soll euer Kemosch doch beweisen, dass
Er Gott ist. Israel glaubt an Jehowah!
Jehowah, wahrer Gott, Gott Israels,
Wird für uns streiten, der Allmächtige!
Gott straft zwar seine auserwählten Juden
Und seine Rechte lastet schwer auf uns,
Ob wir gezüchtigt werden von dem Vater,
Er lässt nicht zu, dass uns die Feinde fluchen!
Er wandelt allen Fluch in Segen um!
KÖNIG
Ihr habt ja Ammon nicht allein erobert,
Auch Moab, Edom und die Amoriter.
Der ganze Nahe Osten sich vereinigt
Und rüstet gegen Israel und Juda.
Ihr meint, ihr seid ein auserwähltes Volk
Und euer Gott sei einzig wahrer Gott.
Wir aber glauben an den Gott der Götter,
Wir nennen Kemosch unsern Gott der Götter,
In Kanaan der große Gott ist Baal,
In Kedar heißt der große Gott Allah,
In Persien heißt Gott Ahura Mazda,
Am Ganges heißt der Gott der Götter Indra,
Ägypten preist den Gott der Götter Amun.
Wir alle glauben nur an Einen Gott,
Denn Kemosch, Baal, Ahura Mazda,
Re, Amun, Indra, alle sind der Eine,
Sein wahrer Name aber ist Gott Baal!
JEPHTAH
Hör, Israel, Gott ist allein der Herr!
KÖNIG
Die Götter werden streiten in dem Himmel,
Soll euer Gott sich zanken mit dem Baal,
Wir aber auf der Erde führen Krieg,
Weil wir das Land am Jordan haben wollen.
JEPHTAH
Der Jordan und das Land am Jordan ist
Das Eigentum des dreimalheiligen
Jehowah und das Wildbachtal am Jabbok.
Ich aber seh im Wildbachtal des Jabbok
Die Himmlischen in ihrem Doppellager,
Die Himmlischen von Mahanajim helfen
Den Heeresscharen Israels im Kampf,
Der Vater gibt uns das Gelobte Land.
KÖNIG
Sieg Heil dem auserwählten Volk von Ammon!
(König ab.)
JEPHTAH
Der Arnon-Strom sei Tochter Moabs Grenze,
Das Wildbachtal von Jabbok aber und
Das Doppellager Mahanajim und
Der Jordanstrom ist Israel zu eigen.
Gott hörte von dem Stolz der Tochter Moab,
Von ihrem Hochmut, ihrem Eigensinn,
Von dem unendlich törichten Geschwätz!
Nun aber statt der Pracht der schwarzen Haare
Ist Tochter Moabs Schädel kahlgeschoren!
Man hört ein Weinen bei der Tochter Moab!
Die Tochter Moab hat nun keinen Wein mehr!
Da wendet Tochter Moab sich um Hilfe
An Israel: Nimm meine Zwillingslämmer
In deine Obhut, weide sie als Hirte!
Doch nimmt kein Ende Tochter Moabs Prahlen,
Ihr hartes Herz, ihr kalter Eigensinn,
Ihr völlig sinnlos törichtes Geschwätz!
Drei Jahre lang regierte Tochter Moab
Und Israel half ihr als Guter Hirte
Und weidete die kleinen Zwillingslämmer.
Zuletzt blieb aber kaum noch etwas übrig
Von all der Herrlichkeit der Tochter Moab.
Du aber, Edom-Esau, Jakobs Bruder,
Jehowah liebt von ganzem Herzen Jakob,
Doch Esaus Haus macht er zur Drachenwohnung!
Ja, Jakob wird geliebt von seinem Gott,
Und selbst wenn Jakob spricht: Ich bin verlassen,
Mein Gott, mein Gott, was hast du mich verlassen!
Dann spricht der Herr: Verlässt den Sohn die Mutter?
Selbst wenn die Mutter ihren Sohn verlässt,
Die Gottheit nicht verlässt den Gottgeliebten!
VIERTE SZENE
(Jephtah im Kriegskleid mit einer israelitischen Truppe, vor allem den Drei Helden, vor einem Steinaltar.)
JEPHTAH
Wir schwören unserm Gott und Herrn die Treue,
Die Freiheit Israels ist herzustellen,
Daß Israel in gottgeschenkter Freiheit
Und in dem Frieden und der Ruhe Gottes
Gebot und Weisung Gottes ruhig lebe
Und durch den Segen solchen frommen Lebens
Bezaubere die Heidenvölker alle!
DIE DREI HELDEN
Wir sind bereit, zu sterben für die Freiheit!
Der Friede Gottes ruh auf Israel!
JEPHTAH
Wenn Israel nach Gottes Weisung lebt,
Dann werden sie vom Ganges bis nach Ofir
In Ehrfurcht schauen nach Jerusalem
Und von dem Götterberg im hohen Norden
Bis zu der Insel in dem Meer des Westens
Die Heidenwelt wallfahren wird nach Zion.
DIE DREI HELDEN
Wir geben unser Leben hin für Gott!
JEPHTAH
Wenn nicht Jehowah selbst die Schlachten führt,
Umsonst die Krieger kämpfen in dem Krieg.
Wenn nicht Jehowah uns den Frieden schenkt,
Umsonst beraten sich die weisen Männer.
Wir gehen hin und säen Blut und Tränen,
Am Morgen aber feiern wir den Frieden.
Wohl dem, der solche Helden hat wie euch,
Die ihr wie Samson seid und Gideon,
Denn solcher Heeresfürst wird nicht zuschanden,
Begegnet er dem Feind auf offnem Feld.
ERSTER HELD
Gott, der Allmächtige, ist Triumphator!
ZWEITER HELD
Der kommende Messias schenkt uns Frieden!
DRITTER HELD
Wir lieben über alles Gottes Frieden!
JEPHTAH
Versammelt meine Heiligen beim Opfer,
Beim Sühneopfer schließen wir den Bund.
Freiwillig opfern wir den Holocaustus,
Freiwillig opfern wir das Ganzbrandopfer.
Drei Helden mein, wir weihn uns dem Messias!
DREI HELDEN
Als Sklaven sind wir ganz das Eigentum
Jehowahs und des göttlichen Messias!
JEPHTAH
Ich bringe Gott zur Weihe mein Gelübde:
Hör, Gott, der du das Ohr gemacht, Gott, höre,
Für Kemosch will sich Ammon töten lassen,
Ja, schlimmer noch, für Kemosch will er morden,
Sein Kemosch herrschen soll in Terrorherrschaft!
Jehowah, der du Freiheit bist und Frieden,
Ein Vater voller Liebe allen Menschen,
Wenn du uns hilfst, die Feinde zu besiegen,
Die Götzendiener und die Menschenmörder,
Die Kindermörder und die Zauberpriester,
Die Judenhasser und die Hurenböcke,
Jehowah, schenkst den Sieg uns in dem Kampf
Und schenkst du Israel und aller Welt
Das Friedensreich des göttlichen Messias,
So opfre ich als Ganzbrandopfer dir
Das Erste auf, das mir entgegenkommt
Aus meinem Haus, wenn ich vom Siege heimkehr!
(Es donnert am Himmel.)
Die Stimme Gottes donnert über Wassern,
Die Stimme Gottes wirbelt Wälder kahl,
Die Stimme Gottes macht die Hirschkuh kreißen,
Die Stimme Gottes lässt den Hermon hüpfen!
(Es blitzt am Himmel.)
Seht, meine Helden, Gott zeigt seine Waffen,
Jehowah reißt die Himmelskuppel auf!
Seht ihr den weißen Thron im offnen Himmel,
Jehowah auf dem weißen Throne thronend?
DREI HELDEN
Heil, dreimalheiliger Jehowah, Heil!
FÜNFTE SZENE
(Jephtah eilt übers Feld, in zerlumpter Rüstung, blutüberströmt. Ihm folgen mit letzter Kraft die ebenfalls verwundeten Drei Helden.)
JEPHTAH
Triumph und Sieg des reinen Herzens Gottes!
Der Feind ist überwunden und zerschlagen,
Geopfert hab ich meines Herzens Blut,
Nur mit der Zähne Haut kam ich davon!
ERSTER HELD
Ein Stich zerschnitt mir meine rechte Wange,
Ich weihe Gott mein Fleisch und meinen Eiter!
ZWEITER HELD
Zerbrochen sind die Zähne mir im Maul,
Ich weihe Gott den Rachen meiner Kehle!
DRITTER HELD
Zerfetzt die Lunge ist in meiner Brust,
Ich weihe Gott das Röcheln meines Atems!
JEPHTAH
Und ob wir auch zerschunden sind, zerfleischt,
Ob wir verblutet sind im Kampfgefild,
Ob auch die Seele pfiff schon aus der Nase,
Triumph und Sieg des reinen Herzens Gottes!
ERSTER HELD
Ich sah die todgeweihten Mütter schreien!
ZWEITER HELD
Ich sah die Waisenkinder bitter weinen!
DRITTER HELD
Ich sah die Toten auf dem Gräberfelde!
JEPHTAH
Doch aus der Katastrophe dieses Krieges
Steigt triumphal der Friede Gottes auf!
Ihr Helden, hört von meinem Traum heut Nacht:
Im Kerker ich, gefangen von dem Feinde,
Gefesselt, Ratten nur bei mir im Kerker
Und um mich nichts als Todes Finsternis,
Da tat sich auf die Decke meines Kerkers
Und an dem Himmel glorreich ist erschienen
Die Freiheit in dem Leibe eines Mädchens,
Es war das Mädchen ähnlich meiner Tochter,
Die Freiheit hielt in ihrer Hand ein Schwert
Und in der andern Hand den Ruhmeskranz,
Da neigte sich die Freiheit sanft zu mir
Und rief mich: Auserwählter Bräutigam!
ERSTER HELD
Die Freiheit ist die Mutter Israels!
ZWEITER HELD
Die Freiheit ist die erste Tochter Gottes!
DRITTER HELD
Die Herrin Freiheit ist die Braut von Jephtah!
JEPHTAH
Ihr meine Helden, lasst mich nun allein,
Kehrt heim zu euren Frauen, euren Kindern,
Küsst euren Frauen liebevoll die Wangen
Und spielt mit euern Kindern voller Frieden!
Ich bringe nun Jehowah mein Gelübde.
(Die Drei Helden ab. Jephtah schreitet weiter. In der Ferne ist Jephtahs Haus zu sehen.)
Was kann ich meinem Gott und Herrn noch opfern?
Ich opfere dem Herrn Mutlosigkeit,
Ich opfere dem Herrn Freudlosigkeit,
Ich opfere dem Herrn Kraftlosigkeit!
Dort in der Ferne sehe ich mein Haus,
Was mir als Erstes wird entgegenkommen,
Das bring ich Gott dar als ein Ganzbrandopfer,
Gott selber wähle sich sein Opfertier,
Gott zeige mir, ob er den Stier begehrt,
Ob er begehrt den Widder oder ob
Der Herr begehrt ein makelloses Lamm!
Was seh ich? Eine himmlische Erscheinung?
Ist das die Freiheit, die ich sah im Traum?
Ist das vielleicht die göttliche Astarte?
Ein Wesen schwebt heran im langen Schleier
Und ist umglänzt von solcher Herrlichkeit,
Die Herrlichkeit des Herrn ruht auf dem Wesen,
Das Wesen wandelt in der Wolke Gottes,
Sie ist es selbst, die Herrlichkeit des Herrn
In weiblich-jugendlicher Lichtgestalt,
Die Schechinah, die Matronita Zions!
Nun kommt sie näher! Jungfrau Schechinah,
Matrone! Matronita! Gott-Natur!
Was schaue ich? – Du bist ja meine Tochter!
Bist Jephtahs Tochter, die die Zimbel schlägt!
Ah weh mir! Meine Tochter ist das Opfer!
(Jephtas Tochter, vierzehn Jahre jung, im langen weißen Kleid, verschleiert von langen rotbraunen Locken, in der Hand die Zimbel, kommt sie tanzend dem Vater entgegen, ihr Antlitz strahlt vor Freude, ihre Augen lachen, ihr kleiner roter Mund ist bereit, den Vater zu küssen.)
SECHSTE SZENE
(Jephtah und seine junge Tochter vor dem Haus.)
JEPHTAH
Ich habe kaum die Kämpfe überwunden
Und im Moment mich unsres Siegs gefreut,
Da steht ein neues Leiden vor der Tür.
Und gehe nachts ich schlafen in mein Bett,
So leg ich mich dem Leiden in die Arme,
Und geht mein Geist des Nachts im Traum spazieren,
Begegnet ihm das Leiden als Gespenst.
Erwach ich morgens mit der Morgenröte,
So steht das Leiden schon an meinem Bett,
Und steh ich auf und tu mein Tagewerk,
Begleitet mich das Leiden als Gefährte.
Ist denn das Leiden meine Ehefrau?
Hat Gott in seinem Himmelreich beschlossen,
Das Leiden mir zur Ehefrau zu geben?
Die Ehefrau bereitet mir mein Mahl,
Ich esse Asche, trinke Trauertränen,
Die Ehefrau webt alle meine Kleider,
Ich trag das Sacktuch, den Kamelhaarmantel,
Die Ehefrau schenkt ein den roten Wein,
Ich trink das Blut aus allen meinen Wunden,
Die Ehefrau entblößt die großen Brüste,
Ich schlage jammernd mir an meine Brust,
Die Ehefrau legt nackt sich in mein Bett,
Ich schlafe auf dem nackten Marterpfahl,
Die Ehefrau vereinigt sich mit mir,
Ganz eins ist meine Seele mit dem Leiden,
Und meine Ehefrau wird von mir schwanger,
Denn Jephtahs Tochter ist des Leidens Tochter!
JEPHTAHS TOCHTER
O Vater, welcher namenlose Jammer!
Mein Vater, schütte du die Seele aus
In meinen Busen, denn ich will dich trösten!
JEPHTAH
Mein Kind, ich kenne nur das nackte Leiden,
Kein Mantel warmen Trostes hüllt mich ein.
TOCHTER
So möge dich mein langes Haar bedecken!
Komm, flüstre in mein Muschelohr dein Leiden!
JEPHTAH
Ein auserwähltes Volk ist Israel,
Gott wählte Israel aus allen Völkern
Sich aus zum Eigentum des Allerhöchsten.
Gott bot den Völkern seine Weisung an.
Ägypten sprach: Was sagt die Weisung Gottes?
Hab keine andren Götter neben Gott!
Da sprach Ägypten: Nein, das will ich nicht,
Ich halte alle Götter doch für wahr.
Sprach Griechenland: Was sagt die Weisung Gottes?
Gott stiftet Ehen, brich du nicht die Ehe!
Sprach Griechenland: Das will ich aber nicht,
Ich will nur folgen meiner Leidenschaft.
Sprach Israel: Ich tu’s und möchte hören!
Weil Israel die Weisung wollte tun
Und wollte hören Gottes Wort der Weisheit,
Drum gab der Höchste Israel die Weisung,
Drum Israel ist Gottes Auserwählter!
Doch ist die Auserwählung eine Gnade?
Wie schrecklich ist die Gnade unsres Gottes!
Wie furchterregend schrecklich ist doch Gott!
Die Auserwählung Israels besagt:
Du, Israel, musst in den Feuerofen,
Bring dar das Opfer deines Holocaustus,
Geh, opfre deine eingeborne Tochter!
TOCHTER
Gebietet Gott, dass du die Tochter opferst?
JEPHTAH
Gott einst gebot dem Vater Abraham,
Den vielgeliebten Lieblingssohn zu opfern!
Die Menschen halten das für schrecklich grausam,
Doch Vater Abraham besaß ja noch
Ketura, Hagar, Sara, Ismael,
Und schließlich griff ja auch der Engel ein
Und Gott nahm an, an seines Sohnes statt,
Das Opferlamm als einen Sündenbock.
TOCHTER
Gott ist voll Gnade und Barmherzigkeit!
JEPHTAH
Gott, furchterregend, unerforschlich, Gott!
Ich aber mehr als Vater Abraham
Muß meine eingeborne Tochter opfern,
Die einzige Geliebte meines Lebens,
Mein Ein und Alles, meiner Seele Seele,
Die mehr ich liebe als die eigne Seele!
Ich muß dich opfern Gott, gelobt sei Gott,
Und Gott schickt mir kein Stellvertreter-Lamm!
O Israel, so bist du auserwählt,
So schrecklich ist des großen Gottes Gnade!
TOCHTER
Ich gehe hin, zu tun den Willen Gottes.
SIEBENTE SZENE
JEPHTAS TOCHTER
(Allein auf dem Bergrücken.)
Beweinen will ich meine Mädchenzeit,
Beweinen alle Mädchen Israels,
Beweinen alle Frauen Israels,
Beweinen alle Kinder Israels!
Ich sehe doch die Töchter Israels,
Samaria, Jerusalem, die Töchter,
Die Gott dem Herrn vermählt als Ehefrauen,
Doch treiben Unzucht sie und Hurerei,
Vereinen sich den Göttern von Ägypten
Und treiben babylonische Magie.
Ja, weinen muß ich über diese Frauen,
Die Leibesfrucht empfangen von dem Schöpfer,
Und jede Lebensfrucht als Gabe Gottes
Ist in Potenz der heilige Messias!
Ihr Frauen Israels, von Gott gewürdigt
Wird eine Tochter von den Töchtern Zions,
Den heiligen Messias zu gebären!
Ihr aber, was tut ihr mit euern Kindern?
Ihr opfert eure eigne Leibesfrucht
Und schlachtet eure Leibesfrucht dahin
Und opfert eure Leibesfrucht dem Moloch
Und werft sie in des steinernen Idols
Glutofen, und so weiht ihr euch dem Satan!
Die Feinde Israels sind sehr gewaltig,
Von Norden und von Mitternacht der Feind
Ist schrecklich, er verlangt nach unserm Blut,
Errichten will die Hölle er auf Erden
Und Israel verdammen in die Hölle!
Der Herr, geheiligt sei sein Name, wird
Erlösen Israel aus dieser Hölle
Und wird die Kinder Israels versammeln
In dem Gelobten Land von Milch und Honig!
Denn wer die Kinder Israels betastet,
Der tastet unsres Gottes Auge an!
Gott züchtigt zwar die Kinder Israel
Als Vater voller Stärke, voller Weisheit,
Doch wehe dem, der Israel verflucht,
Der Fluch wird wenden sich auf ihn zurück,
Wer flucht den Fluch, der wird sich bald erhängen,
Der wird sich selbst ermorden und verdammen
Sich und die Seinen in den Feuerpfuhl!
Der Name Israels geschrieben steht
In Gottes Hand, der Herr liebt Israel
Wie eine Mutter voll Barmherzigkeit!
Ihr Frauen Israels, doch wehe euch,
Wenn ihr die Seelen weiht dem Dämon Lilith!
Es ist doch die satanische Dämonin
Frau Lilith eine Göttin aller Huren,
Frau Lilith eine Göttin aller Hexen,
Frau Lilith ist Verführerin zur Unzucht
Und eine große Kindermörderin!
Wenn eine Tochter Israels geschwängert
Ist mit des Schöpfers Gabe, kommt Frau Lilith,
Das Kind zu kratzen aus dem Mutterschoß!
Ich sehe unter Tränen im Gesicht
Die Tochter Zion, des Messias Mutter,
Die Almah-Mutter des Immanuel,
Das Mädchen, schwanger mit dem Gottesknecht,
Die Kindsfrau, schwanger mit dem Menschensohn,
Und sehe Lilith diesem Mädchen nahen,
Seh Lilith nahen diesem Mädchen Mirjam,
Und seh, wie Lilith will dem Mädchen Mirjam
Den Menschensohn im Jungfraunschoß ermorden!
O Lilith, Lilith, finstere Dämonin,
Bist du die Ehefrau des Götzen Moloch,
Des Kindermörders unter allen Teufeln?
Bist du die Ehefrau des Asmodäus,
Des Unzuchtsteufels unter den Dämonen?
Ich sehe unter Tränen im Gesicht
Den Schutzgeist Israels, Sankt Michael,
Sankt Michael vertreibt den Dämon Lilith,
Das Mädchen wird gebären den Messias!
O Heiland und Messias Israels!
Ich, die ich meine Mädchenschaft beweine,
Ich weihe alle meine Tränen dir
Und meinen Tod als Sühneopferleiden,
Daß bald das Reich des Friedens des Messias
Auf Erden anbricht und in Israel!
Messias Israels und Tochter Zion,
Wenn eurer Herzen Doppelherrschaft siegt,
Lasst alle jungen Mädchen tanzen, tanzen,
Lehrt alle jungen Mädchen tanzen, tanzen,
Lehrt Mädchen mit den Engeln tanzen, tanzen,
Dann lasst auch Jephtahs Tochter tanzen, tanzen
Wie eine Gauklerin vor Gott dem Vater!